Andreas Kiefner & Arne Buthmann

Die Krise als Chance: Warum Familienunternehmen jetzt über Rückverlagerung nachdenken sollten

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Von Andreas Kiefner & Arne Buthmann

Ab der späten Mitte des 20. Jahrhunderts hatten grosse und mittelständische Unternehmen begonnen, ihre Produktion und Dienstleistungen in Länder außerhalb Europas zu verlagern. Seit einiger Zeit jedoch, und insbesondere nach Krisensituationen, beobachten wir, wie Organisationen ihre Strategie zugunsten von Rückverlagerung, auch als Reshoring bzw. Nearshoring bezeichnet, überdenken.

Was meinen wir damit?

Während Offshoring sich darauf bezieht, dass Unternehmen ihre Fertigung in entfernte Regionen auslagern, bedeutet Reshoring oder Nearshoring, dass Organisationen ihre Produktion wieder in ihre eigenen Landesgrenzen oder in Nachbarländer derselben Region zurückverlagern.

Was waren die ursprünglichen Anreize für die Auslagerung in andere Regionen?

Der Trend zum Offshoring begann in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Gründe waren je nach Branche unterschiedlich, aber letztendlich mehrheitlich kostengetrieben. Während beispielsweise in der arbeitsintensiven Textilindustrie die damit verbundenen Arbeitskosten der Haupttreiber waren, verlagerte die Pharmaindustrie die Fertigung häufig aufgrund geringerer Gesamtkosten im Vergleich zu ihren Heimatländern. Letzteres hat u.a. zu massiven Kosteneinsparungen im Gesundheitssystem geführt, führt aber heutzutage oft zu Lieferengpässen. Interessanterweise war Offshoring in der schnelllebigen Konsumgüterindustrie aufgrund der nachteiligen Auswirkungen auf die Reaktionsfähigkeit und des fehlenden Kosten-Nutzen-Verhältnisses viel weniger verbreitet. Hier wurde eher der Aufbau von regionalen oder lokalen Produktionsstätten betrieben, um eine höhere Agilität zu erzielen und damit die spezifischen Marktanforderungen besser und schneller zu erfüllen. Auch einige Familienunternehmen, wie zum Beispiel der Textilienhersteller Trigema, haben sich nicht zum Offshoring verleiten lassen, um so die Kontrolle über die Lieferkette und Arbeitsplätze langfristig sicher zu stellen.

Warum beobachten wir eine Trendwende zur Rückverlagerung der Produktion?

In den letzten Jahren haben sich viele Anreize und Vorteilsfaktoren für Offshoring geändert. Zugleich hat sich das Kunden- und Marktumfeld gewandelt und ist oft viel anspruchsvoller geworden. Viele Unternehmen haben daher begonnen, ihre Strategie zu überdenken und die Rückverlagerung der Produktion in Betracht zu ziehen. Vor kurzem kündigte beispielsweise Sanofi an, einer der weltgrößten Pharmakonzerne, die Errichtung einer neuen großen Produktionsstätte in Europa voranzutreiben.

Die vier Hauptgründe, warum Unternehmen eine Rückverlagerung betreiben oder zumindest näher an ihren Heimatort verlagern, sind:

  • Erhöhte Anforderung an die Qualitätsstandards: Insbesondere in der High-Tech-Branche entspricht die in Offshoring-Ländern produzierte Qualität nicht immer den gestiegenen Erwartungen der Kunden. Oft ist es auch sehr schwierig, die erforderlichen, hohen Ausbildungsstandards des Personals aufrechtzuerhalten. Auch sind Verbraucher sensibler geworden, was die Herkunft und Rückverfolgbarkeit eines Produktes betrifft. Lokale oder regionale Produkte werden mitlerweile wieder häufig als qualitativ hochwertiger wahrgenommen, was zusätzlich zu einer weiteren emotionalen Bindung an eine Marke führen kann.
  • Höherer Bedarf nach Agilität: Offshoring führt in der Regel zu einer Verlängerung der Lieferzeiten und birgt insbesondere in Krisenzeiten ein erhöhtes Risiko für Versorgungsschwierigkeiten bis hin zur kompletten Lieferunfähigkeit. Für innovative Produkte ist „Time-to-Market“ entscheidend. Die enge Nähe zwischen Kunde, Entwicklung und Produktion hat insbesondere für Familienunternehmen große Vorteile gegenüber geografischen Hürden, die durch Offshoring entstehen können.
  • Kosten getriebene Wettbewerbsfähigkeit: In den letzten Jahrzehnten haben erhebliche Produktivitätssteigerungen, insbesondere in Europa, und der Anstieg der Produktionskosten in Offshoring-Ländern – ganz zu schweigen von Währungsrisiken – die finanzielle Attraktivität für Offshoring erheblich verringert. Mit dem zunehmenden Einsatz intelligenter Technologien – Stichwort „Industrie 4.0“ – sind weitere Produktivitätssteigerungen möglich. Dieser Trend wird sich fortsetzen und wird auch für Familienunternehmen zunehmend als Wettbewerbsvorteil an Bedeutung gewinnen.
  • Erhöhter Bedarf an Nachhaltigkeit: Mit einem stärkeren ethischen und kostenorientierten Fokus auf einen klimaneutralen oder sogar CO2-positiven Footprint, verliert Offshoring mehr und mehr an Attraktivität. Unternehmen ergreifen zunehmend ernst gemeinte Maßnahmen, um ihr Engagement für eine nachhaltige Wertschöpfungskette zu demonstrieren. Auch die Nachhaltigkeit von Arbeitsplätzen, sowie die Weiterentwicklung des Personals ist in diesem Zusammenhang von Relevanz.

Welche konkreten Punkte sollten Familienunternehmen in Erwägung ziehen, bevor sie sich für die Rückverlagerung entscheiden?

  • Qualitätserwartungen für Ihre Produkte und Serviceleistungen für Verbraucher und Kunden: Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die Bedürfnisse und Erwartungshaltungen Ihrer Kunden sich verändert haben oder sich zukünftig erheblich verändern werden.
  • Kostenmodell: Es sollte ein ganzheitlicher Kostenansatz gewählt werden, bei dem die Gesamtkosten in Betracht gezogen werden, d.h. alle Kosten, bis Ihr Produkt Ihren Kunden erreicht hat. Zu beachten ist u.a., dass bei Kostenrechnungen beispielsweise Zölle und Subventionen sehr unsichere Faktoren darstellen, da diese sich plötzlich ändern können. Diese sollten deshalb nicht notwendigerweise Parameter eines langfristigen Kostenmodells darstellen.
  • Aktuelle und zukünftige Technologietrends und Möglichkeiten für Ihr Produktangebot: Diese können die Automatisierung erheblich beeinflussen, Innovationszyklen beschleunigen und bei erfolgreicher Implementierung in Konsumentennähe problemlos auch besseren Umsatz- bzw. Gewinnwert erzielen. Auch hat die Digitalisierung der Lieferkette zunehmend an Beutung gewonnen, um auf eventuelle Störungen enstprechend schnell agieren zu können.
  • Fähigkeiten und Know-how: Für die Rückverlagerung müssen möglicherweise Experten mit den richtigen Kompetenzen vor Ort eingestellt werden oder bestehendes Personal entsprechend ausgebildet werden. Die Sicherstellung des Wissenstransfers ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, insbesondere für Fertigungsvorgänge, die hochqualifizierte Arbeitskräfte erfordern.

Die Autoren

Andreas Kiefner ist Managing Partner bei der Ortum Consulting GmbH. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Industrieerfahrung in multinationalen (Familien-) Unternehmen aus der Konsumgüter- und Pharmabranche und hilft Unternehmen, sich auf eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft vorzubereiten. Andreas lebt in der Region Basel und ist erreichbar unter a.kiefner@ortum.ch.

Arne Buthmann ist Partner bei OXYGY. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Arne mit Kunden von der Geschäftsleitung bis zum Projektteam zusammen, um dabei zu helfen, ihr Geschäftsmodell zu transformieren und neue Kompetenzen aufzubauen. Er lebt in Basel und ist erreichbar unter arne.buthmann@oxygyconsulting.com.

Als Gastkommentar gekennzeichnete Texte geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder.

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