Prof. Dr. Rainer Lindner ist Vorsitzender des Vorstands der Heine + Beisswenger Stiftung + Co. KG in Fellbach
Marco Henry Neumueller: Lieber Herr Lindner, ein Osteuropaexperte mit Habilitation und internationaler Netzwerker als Chef eines mittelständischen Stahlunternehmens? Ihre Vita ist alles, aber nicht gewöhnlich. Welcher rote Faden zieht sich durch Ihr bisheriges Berufsleben?
Rainer Lindner: Der rote Faden ist das Interesse an wirtschaftlichen und politischen Veränderungen und an unternehmerischen Herausforderungen. Als Wissenschaftler habe ich mich sehr intensiv mit den Transformationsgesellschaften im Osten Europas beschäftigt, ein paar Bücher geschrieben und die Bundesregierung in außenpolitischen und wirtschaftlichen Fragen beraten. Nach meiner achtjährigen Tätigkeit als Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und beim BDI habe ich den operativen Weg in die Wirtschaft gesucht. Es hat sich so ergeben, dass Unternehmen meine Expertise nachgefragt haben, sicherlich auch um mit Hilfe meines Netzwerks die Türen in die Region hinein zu öffnen. Sie dürfen nicht vergessen, wir haben im Ost-Ausschuss über 200 deutsche Unternehmen vertreten dürfen. Über Delegationsreisen und Veranstaltungen, auch über kleinere exklusive Meetings mit Präsidenten, Regierungen und Unternehmen dieser Länder, haben wir es geschafft, für Unternehmen und insbesondere für den Mittelstand Zugänge zu ermöglichen. Es wurde dort in den letzten Jahren viel investiert; der Ost-Ausschuss versteht sich mit seiner fast 70-jährigen Tradition noch immer als Brückenbauer. Um es kurz zu sagen: Das Interesse für die Veränderung in Gesellschaften, die Frage, was Unternehmen, vor allem der Mittelstand, dazu beitragen können, das sind Themen, die mich beschäftigen. Das ist der rote Faden.
Marco Henry Neumueller: Zu Schaeffler kamen Sie Anfang 2016 und damit zu einem – wenn auch recht großen – Familienunternehmen. Auch Heine + Beisswenger würde ich als solches bezeichnen. Was reizt Sie an Familienunternehmen?
Rainer Lindner: Meine Familie führte lange selbst ein mittelständisches Unternehmen. Diese Tradition, die Erinnerungen, die Bilder und Gegenstände, sind bis heute für mich lebendig geblieben. Mich hat seither fasziniert, wie man um ein Produkt herum, um eine Geschäftsidee herum Lieferanten und Kunden entwickeln und Märkte erschließen kann. Die deutsche Wirtschaft basiert auf diesem Erbe und auch auf der aktuellen Tätigkeit exzellenter Familienunternehmen. Bei Schaeffler habe ich das sehr intensiv erlebt. Ich war dort zuständig für die Wachstumsregionen in Osteuropa, dem Mittleren Osten und Afrika. Es war eine spannende Erfahrung, an der Entwicklung des Unternehmens in neuen Märkten mitwirken zu können.
Heine + Beisswenger, sicherlich kleiner, noch dazu eine andere Branche, also Stahlhandel und Stahlverarbeitung, ist ein Unternehmen, das Unternehmenswerte und Familienwerte lebt. Wir haben gerade unsere Unternehmensstrategie entwickelt, in der wir u.a. zeigen, was beispielsweise Wertschätzung im Unternehmen, auch gegenüber unseren Geschäftspartnern bedeutet, was wir unter Exzellenz verstehen oder wofür Performance steht. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orientieren sich an diesen Werten, aber auch das Management wird sich daran messen. Wir wollen ein attraktiver Arbeitgeber sein. Das – so finde ich – macht ein Familienunternehmen aus. Insofern sind es für mich im Grunde genommen zwei Dinge, die meine Faszination für Familienunternehmen erklären: Einerseits die sehr persönliche Komponente, die Geschichte meiner Familie und andererseits die Erfahrungen, die ich bisher in Familienunternehmen sammeln durfte.
Marco Henry Neumueller: Welche Situation haben Sie zu Beginn Ihrer Tätigkeit bei Heine + Beisswenger vorgefunden und wohin soll die Reise gehen? Mit welchen besonderen Herausforderungen rechnen Sie?
Rainer Lindner: Wir sind im 120. Jahr unserer Firmengeschichte. Das ist ein bedeutendes Ereignis. Die Firma Heine + Beisswenger wurde 1901 in Stuttgart gegründet. Es ist überliefert, dass Ferdinand Heine, der Firmengründer, schon mit Robert Bosch in Stuttgart Geschäftsbeziehungen unterhielt. Heine + Beisswenger ist ein Unternehmen, das auf eine große Tradition zurückblickt – mit vielen unterschiedlichen Phasen der Entwicklung. Beispielsweise gab es vor dem 2. Weltkrieg eine große Niederlassung in Leipzig. Heute sind wir insbesondere sehr stark in Baden-Württemberg und Bayern, aber auch in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Thüringen vertreten. Man könnte sagen: inzwischen sind wir fast ein gesamtdeutsches Unternehmen.
Ich habe das Unternehmen in einer Situation vorgefunden, in der man sich den neuen Herausforderungen des Marktes und des Wettbewerbs gegenübersah. Wir nehmen als Handelsunternehmen die Chancen der Digitalisierung wahr. Wir wollen uns robuster aufstellen gegenüber der Marktsituation, den Schwankungen im Preis, der Verfügbarkeit von Material oder der Krise des Verbrenners. Als Zulieferer sind wir sehr stark mit der Automobilindustrie verbunden.
Dies sind alles verschiedene Transformationen, die wir derzeit parallel angehen. H+B steht für Tradition und Innovation. Wir haben Ende letzten Jahres unsere Unternehmensstrategie für die nächsten fünf Jahre entwickelt. Wir nennen sie „Steel+ 2025“ – also im übertragenen Sinne „etwas mehr als Stahl“. Das Plus steht aber auch für die Offenheit der Entwicklungen, die jetzt kommen werden. Deswegen haben wir verschiedene Initiativen gestartet und uns mit unseren eigenen Prozessen beschäftigt. Sind wir effizient genug? Wo gibt es Chancen und Tools, die wir entwickeln und hinzufügen wollen? Wir sind als Unternehmen im Handel und in der Bereitstellung unserer Produkte zunächst einmal sehr national aufgestellt. Wir kaufen jedoch unsere Materialien und Werkstoffe sehr international ein. Wir werden dieses Feld noch erweitern. Dabei werden wir auch unsere Lieferantenstrukturen sehr genau ansehen und Chancen nutzen. Insofern habe ich ein Unternehmen vorgefunden, das bereit ist für einen Wandlungsprozess, den ich unterstützen möchte. Wir haben eine große Technologieoffenheit. So beginnen wir in unserem Tochterunternehmen H+B Hightech unterdessen auch mit pulvermetallurgischen 3D-Drucklösungen – übrigens in einem Non-Automotive-Sektor. Wir wollen unsere Kunden künftig auch in anderen Bereichen überraschen, mit Technologie und Innovation.
Marco Henry Neumueller: Was raten Sie einem Manager, der ein C-Level Mandat in einem Familienunternehmen übernehmen möchte?
Rainer Lindner: Familienunternehmen sind zumeist ebenso lokal wie international geprägt, d.h. der Qualitätsanspruch im Management wird größer und internationaler. Ich empfehle eine gute Ausbildung, unterschiedliche Erfahrungen, einen klaren Fokus auf die operativen Themen und natürlich ein hohes Maß an Teamfähigkeit. Gerade in Familienunternehmen muss sich ein Manager auf die Kultur des Unternehmens einlassen. Man muss sie auch leben, idealerweise auch mitprägen. Wer im falschen Unternehmen ist, wird es merken. Insofern bin ich davon überzeugt, dass man sich mit dem Produkt, mit dem besonderen Umfeld, mit der Tradition des Unternehmens, aber auch mit der spezifischen Unternehmenskultur beschäftigen muss. Wer in ein Familienunternehmen eintritt, muss jedoch auch in der Lage sein, eigene Akzente zu setzen, das Team zu begeistern und die Organisation voranzubringen. Dann passt es für beide Seiten.
Marco Henry Neumueller: Worauf sind Sie in Ihrem Leben richtig stolz?
Rainer Lindner: Persönlich bin ich stolz auf unseren Sohn, der gerade den Master of Science in Maschinenbau am KIT macht. Das erfüllt Eltern immer mit Stolz. In Bezug auf meine Entwicklung bin ich stolz darauf, dass es mir gelungen ist, diese ungewöhnliche Biografie, von der Sie gesprochen haben, so zu gestalten, dass ich immer etwas lernen konnte, egal wohin ich kam. Sicherlich gibt es auch unternehmerische Erfolge. Beispielsweise während meiner Zeit im Verband, wo es uns trotz der schwierigen Zeit – auch im Verhältnis zu Russland – gelungen war, Kurs zu halten und die Investitionen zu entwickeln. Bei Schaeffler konnte ich neue Märkte erschließen und Kunden gewinnen. Es freut mich, dass der H+B Stiftungsrat mir im vergangenen Jahr die Gesamtverantwortung als Vorstandsvorsitzender übertragen hat, die ich in Abstimmung mit meinen Vorstandskollegen wahrnehme. Es fühlt sich so an, dass meine Erfahrungen, die ich in den unterschiedlichen Phasen meiner bisherigen beruflichen Entwicklung machen durfte, hier in Summe gefragt sind. Das macht mich auch demütig, ein Traditionsunternehmen wie Heine + Beisswenger mit diesen Erfahrungen zu unterstützen.
Marco Henry Neumueller: Herr Lindner, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Über Rainer Lindner
Jg. 1966. Nach Studium (M.A. 1993) und Promotion (Dr. phil. 1997) an der Universität Tübingen folgte 2005 die Habilitation an der Universität Konstanz. Forschungsaufenthalte an den Universitäten Harvard, Moskau, Minsk und Kiew. Von 1994-1998 und 2005-2008 war Lindner Senior Researcher an der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Seit Januar 2008 hat er eine außerplanmäßige Professur an der Universität Konstanz. Von 2008 bis 2015 arbeitete er als Geschäftsführer/CEO des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und Abteilungsleiter beim BDI. Von 2016 bis 2020 war er CEO Central & Eastern Europe/Middle East & Africa bei Schaeffler. Seit Juli 2020 ist er Vorsitzender des Vorstands der Heine + Beisswenger Gruppe. Im Ehrenamt ist Lindner Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Forums, Chairman des Caspian Europe Forum, Mitglied im Kuratorium des Deutsch-Russischen Forums; Gründer des Minsk Forums und Ko-Vorsitzender der AG Internationale Konnektivität (in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt).
Rainer Lindner ist verheiratet und hat einen Sohn. Er hat mehrere Bücher und zahlreiche Artikel zu Geschichte, Politik, Wirtschaft und Unternehmertum geschrieben. In seiner Freizeit macht er u.a. Musik und spielt Saxophon und Gitarre in einer Band.
Über das Familienunternehmen Heine + Beisswenger Gruppe
Die Heine + Beisswenger Stiftung + Co. KG gehört zu den großen lagerhaltenden Stahl- und Metallhändlern Deutschlands; zusätzlich ist das Unternehmen in der Metallverarbeitung tätig. Die Unternehmen der Heine + Beisswenger Gruppe beliefert Kunden in Automotive und Industrie. Heine + Beisswenger Gruppe beschäftigt über 500 qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und verfügt über mehr als 25.000 vorrätige Artikel in unterschiedlichen Güten, Profilen und Abmessungen und über 55.000 Tonnen Lagerbestand. Ein umfangreiches Service- und Anarbeitungsangebot an 12 Standorten, darunter zwei Fertigungsstandorten in Deutschland, gepaart mit einer professionellen Logistik, sorgt dafür, dass Stahl- und Metallprodukte termingerecht gefertigt und geliefert werden.