Noch nie war die Bereitschaft von Führungskräften, ihr berufliches Domizil zu verlassen, so ausgeprägt wie heute. Das „Manager Barometer 2025“ von Odgers weist nüchtern aus: Wir erleben ein Zehnjahreshoch in puncto Wechselbereitschaft. Für Unternehmen müsste das eine frohe Botschaft sein. Ein offener Markt, reich an Optionen, eine Bühne voller Talente, die auf den nächsten Karriereschritt warten.
Doch die Realität ist komplexer – und ernüchternder. Denn die vermeintliche Fülle an Kandidaten wird durch eine gegenläufige Erwartungskurve neutralisiert. Auf Unternehmensseite dominiert der Wunsch nach Perfektion: Gesucht wird die sprichwörtliche Eierlegende Wollmilchsau. Gefordert sind strategische Exzellenz, digitale Versiertheit, Krisenfestigkeit (was neudeutsch auch gerne als Resilienz bezeichnet wird), interkulturelle Kompetenz, Agilität im Denken, Empathie im Handeln – und all dies bitteschön ohne Abstriche. Der kleinste Makel, die geringste Abweichung vom Ideal genügt, um Kandidatenlisten in den Papierkorb wandern zu lassen.
Gleichzeitig haben sich die Ansprüche der Führungskräfte verschoben. Wer bereit ist zu wechseln, tut dies nicht aus Abenteuerlust, sondern nur unter streng definierten Bedingungen. Mobilität, ja – aber bitte eingebettet in Homeoffice-Regelungen, die inzwischen selbst auf C-Level diskutiert werden. Standort, ja – aber nur, wenn er mit dem Lebensumfeld harmoniert. Vergütung, ja – aber selbstverständlich mindestens marktgerecht. Hinzu kommt der Wunsch nach Sinn, nach Unternehmenskultur, nach Vertrauen. Die Wechselbereitschaft ist groß, der eigentliche Wechsel indes bleibt ein seltener Moment der Konstellation, in dem alle Sterne exakt auf Linie stehen.
Was treibt diese paradoxe Gleichzeitigkeit von Bewegung und Stillstand? Die Komplexität der Gegenwart. Wir leben in einer Epoche permanenter Gleichzeitigkeit: geopolitische Verwerfungen, Lieferkettenrisiken, technologische Disruptionen, gesellschaftliche Spannungen – alles tritt parallel auf, alles hat Tragweite. Für Führungskräfte bedeutet dies, dass jeder Schritt wohlbedacht sein muss. Für Unternehmen bedeutet es, dass sie den Glauben an das Ausnahmetalent kultivieren, das alle Krisen mit einem Schlag zu meistern vermag.
Gerade für Familienunternehmen steckt in dieser Gemengelage eine stille Botschaft. Wer heute Köpfe gewinnen will, muss nicht nur Gehalt und Titel bieten, sondern Werte und Verlässlichkeit. Das Ergebnis des Manager Barometer 2025 zeigt ebenfalls deutlich: Vertrauen ist zu einer zentralen Führungswährung geworden, Unternehmenskultur zu einem entscheidenden Differenzierungsmerkmal. Hier können Familienunternehmen punkten – wenn sie es wagen, ihre Besonderheit nicht als Nischencharakter, sondern als Stärke im Wettbewerb auszuspielen.
Die entscheidende Frage lautet daher: Sollten wir weiter der Illusion nachjagen, dass irgendwo da draußen die makellose Eierlegende Wollmilchsau existiert? Oder sollten wir beginnen, wieder jene Kompromissfähigkeit zu kultivieren, die im Kern erfolgreicher Führungskarrieren stets verborgen lag? Wechselbereitschaft mag heute so hoch sein wie nie. Doch wer in Schwarz-Weiß-Kategorien sucht, wird nur selten Farbe finden.