Moritz Netzsch, Dr. Marco Henry Neumueller, Heike Niehues (Familienunternehmen Netzsch Group)

FiFo Talk mit Moritz Netzsch und Heike Niehues über Generationenwechsel, Innovationskraft und Wertebewusstsein

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Moritz Netzsch ist Member of the Executive Board der NETZSCH Group.
Heike Niehues ist Mitglied des Beirats der NETZSCH Group.

Marco Henry Neumueller: Herr Netzsch, Sie haben vor einigen Jahren gemeinsam mit Ihrem Bruder die Führung der NETZSCH-Gruppe übernommen und damit den Generationswechsel im Familienunternehmen eingeleitet. Was hat Sie persönlich daran gereizt, in die Verantwortung an der Spitze zu gehen? Und welche Erfahrungen oder Werte aus Ihrer Familie und Karriere helfen Ihnen nun dabei, diese Rolle erfolgreich auszufüllen?

Moritz Netzsch: Das Familienunternehmen war schon sehr früh Teil meines Lebens,. Man bekommt mit, dass da ein eigenes Unternehmen irgendwo ist. Unser Vater war lange Jahre CEO, fast 20 Jahre am Ende des Tages. So haben wir einen sehr positiven Zugang zu dem Thema Unternehmertum und eigenes Familienunternehmen durch unsere Eltern erfahren und uns auch früh die Frage gestellt, wollen wir mal in eine führende Rolle gehen?
Später war es dann nur noch die Frage des Zeitpunktes. Was besonders Spaß macht: man hat eine relativ hohe Gestaltungsfreiheit – und damit geht natürlich auch Verantwortung einher.
Ich habe während des Studiums und dann in der ersten Phase meiner Karriere, die ja bei anderen Familienunternehmen stattfand, immer den Spaß und die Freude an der Technik gehabt. Ich glaube, ich verstehe sehr gut, was wir anbieten und was wir an Lösungen bringen. Das macht einfach unwahrscheinlich viel Spaß. Wir sind in sehr unterschiedlichen Branchen tätig, werden immer wieder mit neuen Trends konfrontiert und haben zusätzlich die internationale Herausforderung.
Sie fragten nach den Werten – sicherlich das Thema Verantwortungsbewusstsein. Wir tragen Verantwortung für 4.800 Mitarbeiter und deren Familien. Das prägt auch unsere Strategie, etwa in Fragen der Nachhaltigkeit. Ich sehe uns da in Generationen denken – nicht nur als Unternehmerfamilie, sondern auch in Generationen unserer Mitarbeitenden. Und dann ist da noch der Spaß am Wettbewerb: sich mit anderen am Markt zu messen und die bessere Lösung anzubieten.
Ich sage immer: Ich habe meine Aufgabe erfüllt, wenn ich das Unternehmen gesund in die nächste Generation gebracht habe. Dann ist meine eigentliche Rolle erfüllt.

Marco Henry Neumueller: Frau Niehues, Sie waren viele Jahre in Führungspositionen beim Automobilzulieferer Webasto tätig und sind heute Beirätin bei der NETZSCH-Gruppe. Was hat Sie gereizt, in den Beirat dieses familiengeführten Technologiekonzerns einzutreten? Und welche Erfahrungen aus Ihrer bisherigen Karriere – etwa aus Ihrer Zeit bei Webasto – bringen Sie in diese Rolle ein, um Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen?

Heike Niehues: Zum einen ist das Thema Familienunternehmen ein Kern unserer Gesellschaft. Ich glaube, dass genau das uns auch weiterhin in Wohlstand und Zukunft führen wird. Ein Unternehmen wie NETZSCH zu begleiten, das sowohl durch seine technologische Vielfalt als auch durch Zukunftsfähigkeit besticht – das reizt mich besonders. NETZSCH ist einer der Hidden Champions in Deutschland.
Und natürlich reizt es mich, mit einem jungen Führungsteam zu gestalten und zu challengen. Ich bringe Erfahrungen aus einer globalen P&L-Rolle mit, andere Perspektiven, moderne Führungsformen, Diversity. Wir haben sehr vielfältige Diskussionen im Beirat, und da möchte ich Mehrwert schaffen – in gewisser Weise auch als Mentorin. Das macht wahnsinnig viel Spaß.

Marco Henry Neumueller: Die NETZSCH-Gruppe blickt auf über 150 Jahre Firmengeschichte zurück. Welche Stärken erwachsen aus dieser langen Tradition eines Familienunternehmens für Sie und Ihre Mitarbeiter? Und wie fördern Sie gleichzeitig die Innovationskraft im Unternehmen, um im globalen technologischen Wettbewerb weiterhin ganz vorne mitzuspielen?

Moritz Netzsch: Was aus dieser Tradition erwächst, ist die Fähigkeit, sich immer wieder zu verändern. Wir kommen aus einem kleinen Handwerks- und Montagebetrieb, waren jahrzehntelang Zulieferer für die keramische Industrie, und daraus haben sich vier Geschäftsbereiche entwickelt – drei davon sind noch heute Teil der NETZSCH Gruppe
Diese Wandlungsfähigkeit ist unsere große Stärke. Wann immer es Umbrüche in unseren Branchen oder global gab, haben wir sie soweit wie möglich aktiv mitgestaltet. Sonst hätte es uns wohl an mancher Stelle nicht mehr gegeben.
Wir sind außerdem sehr früh international aktiv geworden – seit 60 Jahren in den USA, über 50 Jahren in Brasilien, über 30 Jahren in China. Dieses internationale Setup hilft uns heute extrem, gerade in einer sich erneut verändernden Welt.
Ich kann heute nicht sagen, wie die Unternehmensgruppe in zehn Jahren genau aussieht – aber wir werden Maschinen- und Anlagenbauer bleiben, stärker digital, mit internationalem Setup.
Innovation ist seit jeher Kern unserer Strategie. Wir betrachten sie aus zwei Richtungen: Welche Technologien können wir weiterentwickeln und welche zukünftigen Applikationen können wir mit unserer Expertise bedienen? Das ist der Kern unseres Handelns.
Gerade in unseren drei Geschäftsbereichen – Analysieren & Prüfen, Mahlen & Dispergieren, Pumpen & Systeme – sind wir sehr nah an technologischen Trends. Wir sehen Innovationszyklen, wo sich innerhalb weniger Jahre ganze neue Industrien bilden. Aktuell etwa die Batterietechnologie.
Unsere Innovationskultur war immer stark, und sie muss fortwährend gepflegt werden. Wir versuchen, früh mit Industrien in Kontakt zu treten, erste Applikationen zu entwickeln und bereit zu sein, wenn der Hype-Cycle kommt. Das ist unser Weg.

Marco Henry Neumueller: Frau Niehues, in Familienunternehmen gilt es oft, das Gleichgewicht zwischen Bewahrung der Tradition und notwendigen Veränderungen zu halten. Wie erleben Sie als externe Beirätin diesen Balanceakt bei NETZSCH? Wie schaffen Sie es, einerseits die gewachsenen Werte und die Kultur des Unternehmens zu respektieren und andererseits den Mut für neue Impulse und Innovationen einzubringen?

Heike Niehues: Ich sehe das gar nicht als Balanceakt, sondern als Ergänzung. Familienunternehmen haben starke Werte, die tief verankert sind. Die Mitarbeiter leben für das Unternehmen, sie sind Teil der Familie und damit Teil dieser Werte. Diese gilt es zu respektieren – gerade bei schwierigen Entscheidungen, etwa Standortthemen.
Da kann man als Beirätin unterstützen: Wie kommuniziert man richtig? Wie kann man gemeinsam handeln?
NETZSCH ist ein sehr innovatives Unternehmen – ich sehe meine Rolle nicht darin, Innovation zu fordern, sondern Perspektiven einzubringen: Wo geht der Markt hin, welche Risiken gibt es?
Wir diskutieren intensiv Themen wie Batterie, Innovation und Investitionstiming. Da ist es wichtig, mit anderen Erfahrungen und globalen Perspektiven Mehrwert zu stiften.

Marco Henry Neumueller: Die digitale Transformation macht auch vor dem Mittelstand nicht halt. Was bedeutet Digitalisierung konkret für NETZSCH und Ihre Geschäftsbereiche? Welche Chancen sehen Sie durch neue digitale Technologien und Geschäftsmodelle – sowohl in Ihren Produkten als auch in internen Prozessen – und wo liegen die größten Herausforderungen bei der Umsetzung der digitalen Transformation im Unternehmen?

Moritz Netzsch: Ich finde es schön, dass Sie das Thema zweiteilen – so machen wir es auch: Produkte und Prozesse.
Bei den Prozessen liegt ein enormes Potenzial. Digitalisierung, KI-gestützte Abläufe, Effizienzsteigerung – da steckt viel drin. Wir müssen parallel auch noch einiges glattziehen: Datenqualität verbessern, Systeme vernetzen.
Die größte Herausforderung liegt in der gemeinsamen Transformation der Belegschaft. Rollen werden sich verändern. Expertise, die heute durch Menschen getragen wird, wird künftig anders gebraucht. Ich sage immer: Die Mitarbeiter und Unternehmen, die sich jetzt nicht mit KI beschäftigen, werden künftig nicht mehr bestehen.
Beim Produktportfolio wird es noch spannender. Wir sitzen in zwei Geschäftsbereichen im Herzen der Prozesse unserer Kunden. Viele Branchen tun sich schwer, Daten zu teilen. Aber Datentransparenz wird kommen – und sie wird riesige Effizienzgewinne bringen. Wir bereiten unsere Maschinen und Steuerungen offen darauf vor, keine geschlossenen Systeme.
Natürlich probieren wir auch digitale Geschäftsmodelle aus – wie viele Unternehmen haben wir eine Digitaleinheit mit Mandat dafür. Wir sind da mitten in der Lernkurve. Es wird noch dauern, aber klar ist: Ohne digitale Geschäftsmodelle wird man künftig nur noch ein Me-Too im globalen Wettbewerb sein.

Marco Henry Neumueller: Frau Niehues, Sie haben in Ihrer Laufbahn – insbesondere bei Webasto – umfassende Erfahrung mit Digitalisierungsinitiativen gesammelt. Was raten Sie einem traditionsreichen Maschinenbauunternehmen wie NETZSCH in Bezug auf die digitale Transformation? Wo sehen Sie aktuell die größten Handlungsfelder, und wie können etablierte Familienunternehmen den Spagat schaffen, einerseits ihre bewährten Prozesse zu erhalten und andererseits agil auf die Anforderungen der Digitalisierung zu reagieren?

Heike Niehues: Ein zentrales Thema sind die Mitarbeiter. Viele haben Angst vor Digitalisierung, vor KI, vor der Zusammenarbeit mit Agenten. Diese Angst zu nehmen, ist Grundvoraussetzung.
Das gelingt durch Formate wie interne Talks, Austausch und Weiterbildung. Digitalisierung muss ein zentrales Führungsthema sein.
Prozessseitig ist die Herausforderung, alle Geschäftsbereiche zusammenzubringen und Kernprozesse zu identifizieren, die sich digitalisieren lassen. Ich würde keinen Prozess unberührt lassen – aber nicht alles auf einmal. Digitalisierung eröffnet so viele Möglichkeiten – im Service, in der Hotline, überall.
Und manchmal sollte man sich fragen: Haben wir in fünf Jahren überhaupt noch eine Homepage? Vielleicht kommunizieren dann Agenten direkt miteinander.

Marco Henry Neumueller: NETZSCH gilt als werteorientiertes Familienunternehmen mit starkem Zusammenhalt und hoher Identifikation der Mitarbeitenden. Welche Aspekte der Unternehmenskultur sind Ihnen persönlich besonders wichtig? Und was tun Sie als Geschäftsführer, um diese Werte im Unternehmensalltag zu pflegen und an die nächste Generation von Führungskräften und Mitarbeitern weiterzugeben?

Moritz Netzsch: Wichtige Werte für mich sind Verantwortung, Professionalität und Vertrauen.
Verantwortung heißt: Jeder im Unternehmen übernimmt Verantwortung für seine Rolle, seine Aufgabe, seine Ziele. Professionalität ist essenziell – der Markt erwartet Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Und Vertrauen: Der Kunde muss uns vertrauen, wir als Führungskräfte müssen unseren Mitarbeitern vertrauen da diese die Experten sind.
Wir haben vor etwa anderthalb Jahren begonnen, unser Führungsverständnis weiterzuentwickeln – „Führen mit Empowerment“. Wir wollen Mitarbeiter befähigen, innerhalb klar gesetzter Rahmen und Orientierung selbst zu entscheiden. Das ist ein Kulturwandel.
Gerade international – in Südamerika, Ostasien – ist das ein weiter Weg. Aber auch historisch gesehen haben wir durch unsere Internationalisierung lokale Geschäftsführer mit hoher Eigenständigkeit aufgebaut. Diese Freiheit wollen wir weiter stärken, ohne die strategische Linie zu verlieren.
Natürlich gibt es immer noch letzte „Landesfürsten“, wie man so sagt, aber wir arbeiten daran, Verantwortung stärker zu teilen und die Führungskultur auf ein neues Reifelevel zu bringen.

Marco Henry Neumueller: Frau Niehues, Sie kennen sowohl die Kultur großer Konzerne als auch die eines mittelständischen Familienunternehmens. Worin unterscheidet sich aus Ihrer Sicht die Arbeits- und Führungskultur bei einem Unternehmen wie NETZSCH von der in einem internationalen Konzern? Und welche Führungsprinzipien halten Sie in beiden Welten für essenziell, gerade wenn es darum geht, Mitarbeiter mitzunehmen und ein gemeinsames Verständnis von Zielen und Werten zu schaffen?

Heike Niehues: Offenheit und Vertrauen sind die zentralen Prinzipien – egal in welcher Unternehmensform. Empowerment ist die logische Konsequenz daraus.
Wenn ich meinen Mitarbeitern nicht vertraue und Entscheidungen nicht dort treffe, wo die Fachkompetenz liegt, verliere ich Geschwindigkeit und Innovationskraft.
Bei NETZSCH ist besonders spannend: die Nahbarkeit der Geschäftsführung, der enge Austausch mit den Menschen, das ehrliche Feedback. Das Vertrauen, auch Kritik äußern zu dürfen – das trägt enorm zur Weiterentwicklung und Zukunftsfähigkeit bei.

Marco Henry Neumueller: Nachhaltigkeit ist heute auch im Maschinenbau ein zentrales Thema. Was bedeutet für Sie persönlich, Herr Netzsch, nachhaltiges Wirtschaften? Und welche Initiativen haben Sie bei NETZSCH angestoßen (oder planen Sie), um ökologische und soziale Verantwortung im Unternehmen wahrzunehmen – sei es in Produkten, in der Fertigung oder im Umgang mit Mitarbeitern und Partnern?

Moritz Netzsch: Ein spannendes Thema. Ich bin da durchaus zwiegespalten. AIch weiß, dass wir mit der globalen Erwärmung eine große Herausforderung haben – und die Industrie hat ihren Anteil daran.
Aber ich bin überzeugt: Technologie ist die Antwort, nicht ein verändertes Konsumverhalten.
Wir bei NETZSCH haben uns schon immer mit Nachhaltigkeit befasst, indem wir auf Qualität und Langlebigkeit setzen. Jede Ressource, die länger genutzt werden kann, verbessert die CO₂-Bilanz.
Seit etwa fünf, sechs Jahren fassen wir Nachhaltigkeitsmaßnahmen gezielter zusammen – etwa bei Standortinvestitionen, Energieversorgung, PV-Anlagen, Batteriespeichern.
Wir sind kein energieintensives Unternehmen, aber wir haben Potenzial. Schwieriger ist es in der Supply Chain – wir verarbeiten viel Stahl, und dort gibt es derzeit keine echten Substitute.
Auch lokale Lieferketten und regionale Produktion sind Themen. Und für mich bedeutet Nachhaltigkeit auch: zukünftige Generationen sollen hier noch Arbeitsplätze haben. Das ist ebenfalls Verantwortung.
Technologisch treiben wir Effizienz voran: Pumpen werden energieärmer, Mahlanlagen effizienter, Zementlösungen nachhaltiger. Aber bis neue Technologien in der Industrie wirklich angenommen werden, dauert es – teils Jahre. Wir bleiben dran.

Marco Henry Neumueller: Frau Niehues, auch für Aufsichtsräte und Beiräte bedeutet der rasante Wandel, den wir aktuell überall erleben, eine Herausforderung. Wie behalten Sie als Beirätin den Überblick in turbulenten Zeiten und sichern eine klare strategische Ausrichtung? Welche Ratschläge geben Sie dem Management, um flexibel und anpassungsfähig zu bleiben? Und worauf kommt es Ihrer Meinung nach generell an, um ein Unternehmen wie NETZSCH langfristig resilient und zukunftsfähig aufzustellen?

Heike Niehues: Wichtig ist der Austausch in Netzwerken – mit anderen Unternehmern, Beiräten, Branchenexperten. Ich bin ein großer Freund des Lernens und Abschauens: Man muss nicht jeden Fehler selbst machen.
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind heute Grundvoraussetzungen. Resilienz entsteht aus einer soliden Finanzbasis, aus gutem Risikomanagement und dem Mut, das Richtige, aber nicht zu viel zu tun.
Man darf sich nicht von Innovationen anderer überraschen lassen, die das eigene Geschäftsmodell infrage stellen. Daher ist Markt- und Wettbewerbsbeobachtung entscheidend.
Und schließlich das Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Beirat: Vertrauen ist zentral. Nur wenn Herausforderungen und Probleme offen kommuniziert werden, kann der Beirat sinnvoll unterstützen.

Marco Henry Neumueller: Ihnen beiden ganz herzlichen Dank für dieses ausführliche Gespräch.