Simon Engelhorn ist Mitglied des Aufsichtsrats der engelhorn GmbH & Co. KGaA sowie CEO und Mitgründer von insage.
Marco Henry Neumueller: Das Unternehmen engelhorn existiert seit über 130 Jahren. Nicht viele Familienunternehmen überleben so lange. Die meisten scheitern an der Familie selbst. Was ist das Geheimnis Eures Erfolgs?
Simon Engelhorn: Meines Erachtens ist es wichtig, dass man in der Familie lernt, konstruktiv zu streiten und gemeinsam Lösungen für auftretende Fragen zu finden. In jeder Familie gibt es Streit, und Streit ist grundsätzlich nichts Negatives. Er hat viele positive Seiten, wenn man lernt, die positive Energie daraus zu ziehen und entsprechende gemeinsame Lösungen für jede Herausforderung zu entwickeln. Das haben wir meiner Meinung nach gut gelernt, auch durch die letzte Generation, die uns begleitet hat. Wir haben gelernt, gut und konstruktiv miteinander umzugehen, Meinungsverschiedenheiten schnell auf den Tisch zu bringen, zügig auszudiskutieren und Lösungen zu finden.
Marco Henry Neumueller: Viele Textileinzelhändler geben auf und verschwinden von der Bildfläche. Welche Rolle spielt E-Commerce bei Engelhorn und wieviel des Gesamtumsatzes macht das Unternehmen heute bereits online?
Simon Engelhorn: Wir haben schon relativ früh, im Jahr 2006, mit E-Commerce begonnen, und es ist ein wichtiger Bestandteil unseres Gesamtumsatzes. Wir machen damit etwa 40 Prozent unseres Umsatzes. Besonders während der Corona-Pandemie war E-Commerce eine wichtige Säule für uns, weil die Läden geschlossen waren und wir ohnehin frustriert waren, dass wir keine Geschäfte machen durften. Grundsätzlich ist es heute wichtig, ein Multichannel-Erlebnis zu bieten, bei dem der Kunde sich auf verschiedenen Kanälen abgeholt fühlt, ein Angebot hat und mit uns in Kontakt treten kann. Deswegen ist es am relevantesten, das Zusammenspiel der verschiedenen Kanäle zu optimieren.
Marco Henry Neumueller: Du warst über 11 Jahre im Unternehmen als COO tätig. Ein Kernpunkt Deiner Arbeit war die Digitalisierung des Unternehmens. Wie hast Du diese Transformation gemeistert und gleichzeitig die kulturelle Identität des Unternehmens bewahrt?
Simon Engelhorn: Wichtig ist meines Erachtens, dass man alle Unternehmensbereiche integriert und nicht nur sagt: „Ich digitalisiere einen Prozess und mache das in der IT-Abteilung“, und danach ist der schlechte Prozess digital, sondern dass man ganzheitlich herangeht. Man muss sich fragen: „Was sind die aktuellen Entwicklungen und welchen Einfluss haben sie auf das Geschäftsmodell?“ und dann überlegen: „Was sind Möglichkeiten, wie wir digital tatsächlich besser werden, und nicht einfach nur irgendetwas aus Prinzip digitalisieren?“ Wenn man etwas findet, wodurch man wirklich besser wird, dann ist es auch leichter, ein Unternehmen zu transformieren und diese Verbesserung motivierend im Unternehmen einzusetzen und zu kommunizieren. Man nimmt dann nicht irgendwelche Sachen weg, sondern erleichtert und verbessert Dinge und schafft gleichzeitig einen echten Mehrwert.
Marco Henry Neumueller: Zum März dieses Jahres hast Du den Vorstand verlassen und bist in den Aufsichtsrat eingezogen. Für gewöhnlich ist das kein Schritt für jemanden, der gerade Anfang 40 ist. Was hat Dich dazu bewogen? Kannst Du Dir zukünftig vorstellen, auch anderen Unternehmen mit Deiner Expertise als Beirat oder Aufsichtsrat zur Verfügung zu stehen?
Simon Engelhorn: Grundsätzlich hatte ich schon immer die Überlegung, ein Unternehmen einmal auf einem weißen Blatt Papier zu gründen, einfach neu zu zeichnen. Das ist ein Unterschied zu meiner Erfahrung, als ich mit 29 in unser Unternehmen eingestiegen bin, wo es bereits tausend Mitarbeiter gab und für jede Rolle jemanden im Unternehmen. Es ist eine ganz andere Herausforderung, ein Unternehmen auf einer grünen Wiese aufzubauen. Beide Welten sind spannend und vielfältig. Ich bin sehr froh, dass ich in den Aufsichtsrat von Engelhorn wechseln durfte, weil ich glaube, dass ein Aufsichtsrat heutzutage in vielen Unternehmen einen viel geringeren Mehrwert stiftet, als es möglich wäre, wenn er gut genutzt wird. Wenn man den Aufsichtsrat als echten Sparringspartner sieht, gibt es die Möglichkeit, diesen wirklich effizient und gut zu nutzen. Gerade in Fragen der Digitalisierung, der Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf das Geschäftsmodell oder der Nachhaltigkeit sind Aufsichtsräte und Beiräte extrem unterschätzte Sparringspartner, die einen wirklich unterstützen können. Daher bin ich sehr froh, dass ich bei Engelhorn im Aufsichtsrat bin und als Gesellschafter meine Verantwortung weiterhin wahrnehmen kann. Ich bin auch daran interessiert, anderen Unternehmen meine Erfahrung und Expertise in diesen Bereichen zur Verfügung zu stellen.
Marco Henry Neumueller: Das müssen ja dann nicht zwingend Unternehmen sein, die aus dem Textileinzelhandel kommen, richtig?
Simon Engelhorn: Nein, ich denke, dass gerade im Konsumgüterbereich die Querverbindungen zwischen Lebensmitteln, Textilien, Kosmetik und verschiedenen Branchen extrem groß sind. Es ist schade, dass es heutzutage zu wenig Durchmischung gibt, gerade im Hinblick auf die Möglichkeiten, als Sparringspartner von verschiedenen Branchen zu lernen, wie sie bestimmte Herausforderungen meistern. Das hat ein großes Potenzial, einen Mehrwert zu stiften.
Marco Henry Neumueller: Was hast Du Dir für Deine berufliche Zukunft vorgenommen und welche Rolle spielt dabei die Gründung Deines eigenen Unternehmens?
Simon Engelhorn: Mein Ziel ist es, mit meinen beiden Mitgründern unser Unternehmen Insage voranzubringen. Wir haben eine auf Künstlicher Intelligenz basierte Lösung geschaffen, um E-Commerce-Daten zu analysieren und Performance-Marketing-Kampagnen zu optimieren. Das werde ich Vollzeit machen. Ich bin CEO und voll eingestiegen, und das wird definitiv für die nächsten Jahre mein Hauptfokus sein. Ich freue mich sehr darauf, denn es ist eine ganz andere Herausforderung, weil wir bei Null anfangen. Das fühlt sich sehr gut an.
Marco Henry Neumueller: Eine persönliche Frage zum Schluss: Welches Ereignis in Deinem Leben hat Dich am meisten geprägt?
Simon Engelhorn: Das ist jetzt eine langweilige, aber auch naheliegende Antwort: die Geburt meiner Kinder. (lacht) Aber es ist auch die Antwort, die natürlich im privaten Umfeld mit Abstand den größten Einfluss hat und die größte Veränderung mit sich bringt. Bevor man Kinder hat, kann man sich nicht vorstellen, wie sich das auf den Alltag und das gesamte Leben auswirkt. Beruflich gesehen war der Eintritt in das Familienunternehmen besonders prägend für mich, insbesondere die ersten Jahre, aber auch die letzten Jahre im Hinblick auf die Herausforderungen durch Corona.
Marco Henry Neumueller: Danke für das offene Gespräch, Simon.