Dr. Britta Giesen ist Vorstandsvorsitzende der Pfeiffer Vacuum Technology AG in Aßlar (Hessen)
Marco Henry Neumueller: Liebe Frau Giesen, im Oktober 2020 wurden Sie Vorstandsmitglied bei Pfeiffer Vacuum. Seit Januar dieses Jahres leiten Sie das Unternehmen als CEO. Was können Sie nach dem ersten Halbjahr berichten? Wie verlief das Onboarding inmitten der Corona-Pandemie?
Britta Giesen: Ich bin jetzt seit über acht Monaten bei Pfeiffer Vacuum und habe noch nicht alle Standorte außerhalb von Deutschland sehen können. Es gestaltet sich ausgesprochen schwierig, strategisch relevante Entscheidungen zu treffen, ohne jemals zuvor die vielen Standorte gesehen zu haben. Dies ist in Summe keine gute Ausgangsbasis und somit eine besondere Herausforderung. Daher war ich nun jüngst auch in Frankreich. Ich habe sofort die Gelegenheit ergriffen, als Reisen wieder möglich waren. Es ist wichtig die Gegebenheiten vor Ort zu sehen, sich ein Bild von der jeweiligen Situation zu verschaffen und den persönlichen Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen zu pflegen. Natürlich geht vieles per MS Teams. Was mir aber auch auffiel: einige Menschen, die ich seither lediglich über MS Teams sprechen konnte, verhielten sich dann im persönlichen Kontakt ganz anders. Bei anderen wiederum merkte ich keinen Unterschied. Wenn ich ehrlich sein soll, hätte ich sicherlich lieber zu einer anderen Zeit angefangen, aber ich mache nun das Beste aus dieser Situation.
In Pfeiffer Vacuum steckt ganz viel Potential. Die Menschen hier sind sehr offen. Sicherlich haben wir noch viel vor uns. Unser Transformationsprozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen diesen Prozess. In Bezug auf die Technologie sind wir ganz gut aufgestellt und vor allem auch recht breit. Dies eröffnet uns viele Möglichkeiten am Markt. Vor diesem Hintergrund würde ich sagen, das kann hier noch sehr lange Spaß machen.
Marco Henry Neumueller: Pfeiffer Vacuum startete erst jüngst mit neuen Quartalsrekorden bei Umsatz und Auftragseingang in das Geschäftsjahr 2021. Arthur Pfeiffer erfand 1908 Öl-Luftpumpe. Wo sehen Sie das Unternehmen in fünf bis zehn Jahren und welche Ziele haben Sie sich selbst gesetzt?
Britta Giesen: Wir hätten letztes Jahr eigentlich unser 130-jähriges Firmenjubiläum feiern sollen; dies fiel jedoch auf Grund der Corona-Situation größtenteils ins Wasser. Abgesehen davon spürt man die Tradition. Unser wichtigstes Produkt und zugleich auch das Segment, in dem wir technologisch führend sind, existiert seit etwa 60 Jahren: Die Turbomolekularpumpe. Darin sind wir global führend. Die Herausforderung besteht darin, die unterschiedlichen Bereiche nach vorne zu bringen. Zum einen gibt es da den stabilen Bereich der Analytik/Industrie, der Forschung und Wissenschaft, der kontinuierlich wächst und dies nicht sprunghaft. Dem gegenüber steht der gesamte Halbleiterbereich, der sich teilweise sprunghaft und zyklisch verändert. Das erfordert recht viel Flexibilität und auch Kapazität. Eine große Herausforderung wird sein, beide Bereiche wachsen zu lassen und dabei darauf zu achten, dass der zyklische Halbleiterbereich nicht zu dominant wird im Unternehmen. Spannend sind sicherlich beide Märkte. Ich bin gespannt, wo sich der Halbleitermarkt hin entwickeln wird. Auch im anderen Bereich gibt es viele Trends, die das Wachstum treiben. Hier sehen wir insbesondere die Bereiche erneuerbare Energien, Biotechnologie und Nanotechnologie, die unsere Produkte benötigen.
Wo sehen wir uns in fünf oder zehn Jahren? Wir haben einen Strategieprozess gestartet, sozusagen quer durch das Unternehmen. Daran sind alle Unternehmensbereiche beteiligt. Wir haben nun eine grundlegende Bestandsaufnahme hinter uns und arbeiten derzeit an der Ausrichtung. Ende des Jahres weiß ich genau, wo wir hinwollen; aber eines kann ich heute schon verraten: Ich sehe deutliche Wachstumspotentiale.
Was natürlich auch klar ist: Wir müssen mit der Profitabilität wieder in die Nähe der Marke der vergangenen Jahre kommen, um ein stabiler und verlässlicher Spieler im Markt zu sein, der auch in schwierigen Zeiten vorne mitspielen kann.
Marco Henry Neumueller: Pfeiffer Vacuum ist einerseits ein börsennotiertes Unternehmen, andererseits hält das Familienunternehmen Busch über 60% der Anteile an Pfeiffer Vacuum. Mit Ayla Busch steht auch eine Familienvertreterin dem Aufsichtsrat vor. Per Definition kann man daher bei Pfeiffer Vacuum von einem Familienunternehmen sprechen. Wie schaffen Sie den Spagat zwischen Langfristorientierung auf der einen Seite und Quartalsdenken auf der anderen Seite?
Britta Giesen: Ich bin natürlich nun erst seit geraumer Zeit dabei. Aber ich glaube, dass Pfeiffer Vacuum noch nie ein sehr ausgeprägtes Quartalsdenken hatte. Wir haben auch traditionell viele Aktionäre unter der Belegschaft und unter den Rentnern; eine Gruppe an Aktionären, die auch weniger quartalsorientiert denkt. Was man allerdings sagen muss: Wir haben in der Vergangenheit über viele Jahre durch recht hohe Ausschüttungsquoten viel Substanz aus dem Unternehmen entnommen. Was uns gerade jetzt gut tut, ist die Langfristorientierung unseres aktuellen Ankeraktionärs. Das Ganze hat sich nun auf ein vernünftiges Maß eingependelt und orientiert sich dabei auch an den Benchmarks anderer börsennotierter Unternehmen. Dies gibt uns die Möglichkeit, mehr in Wachstum, mehr in Technologie zu investieren, was über einen Zeitraum der letzten zehn Jahre etwas zu kurz kam.
Marco Henry Neumueller: „Traditionsreich und frauenarm“ – so lautete die Überschrift einer Studie der gemeinnützigen Allbright-Stiftung im vergangenen Jahr. Demnach lag der Anteil von Managerinnen in der Geschäftsführung der 100 umsatzstärksten Familienunternehmen Anfang März 2020 bei lediglich 6,9 Prozent. Welchen Ratschlag würden Sie Frauen ganz allgemein mit auf den Weg geben, die es bis an die Spitze eines Unternehmens schaffen möchten?
Britta Giesen: Diese Frage ist natürlich sehr facettenreich zu beantworten. Für meinen Werdegang war sicherlich mein Maschinenbaustudium und damit der technologische Hintergrund prägend. Ich war stets im Maschinenbauumfeld beruflich unterwegs, wo ich so eine Karriere sicherlich ohne technisches Studium nicht hätte machen können. Ich muss dazu sagen, zu der Zeit, als ich studiert habe, waren wir gerade einmal zwei Prozent Studentinnen. Der technische Hintergrund war also die Basis für meine Karriere. Darüber hinaus spielte sicherlich eine Portion Glück eine Rolle und die gezielte Auswahl meiner Vorgesetzten.
Ich habe im deutschen Maschinenbau eine gewisse Anzahl an Männern erlebt, die der festen Überzeugung waren, dass Frauen das sowieso nicht können. Aber der Anteil war klein und wird zunehmend – so zumindest meine Wahrnehmung – geringer. Einen großen Teil meiner Karriere habe ich bei KSB verbracht. Dort hatte ich insbesondere in den Anfangsjahren einen Vorgesetzten, für welchen das Geschlecht überhaupt keine Rolle spielte. Von ihm habe ich spannende Aufgaben bekommen und er hat mich relativ frei agieren lassen. So konnte ich mir einen gewissen Ruf im Unternehmen aufbauen. Das war eine prägende Phase in meinem Leben. Sicherlich war ich mir dessen bewusst, dass es da auch immer Personen gab, bei denen man etwas vorsichtiger sein und auch mal Netzwerke bauen musste, um diesen nicht zum Opfer zu fallen. Im Großen und Ganzen ist es wichtig, dafür einzustehen und klar zu kommunizieren, dass man das kann. Ehrlich gestanden, habe ich da oft gar nicht wirklich darüber nachgedacht und damit auch keine Angriffsfläche geboten. Beispielsweise meine Zeit bei KSB, auf jedem Level war ich immer die Jüngste. Das wusste jeder. Ich war die Jüngste, ich war eine Frau. Man wusste nicht, wie es funktioniert, aber man hat mich machen lassen. Und es ging gut. Klar, zum einen müssen Sie den Job ordentlich machen, zum anderen müssen Sie die Früchte auch einfordern. Das ist die Schwäche von vielen Frauen, dass sie nicht kommunizieren, wenn sie den nächsten Schritt gehen wollen. Ich war bei KSB in Summe etwa vier Jahre in verschiedenen Positionen im Umfeld Marketing und Strategie und kam aus dem Bereich Produktion, Operations. Irgendwann habe ich aber für mich erkannt, dass es nun genug sei und ich etwas anderes machen möchte. Das habe ich dann drei Mal klar und deutlich geäußert und dann hatte ich die erste Position mit Umsatz- und Ergebnisverantwortung. Dies trauen sich viele nicht. Wenn man sich etwas zutraut, muss man auch die Hand heben. An dieser Stelle eine Anekdote aus meiner Familie: Mein Vater, der meine technischen Neigungen immer unterstützt hatte, war trotzdem verunsichert, als ich Maschinenbau studieren wollte. Er meinte damals, ich solle bitte meine Sprachen pflegen, damit ich im Zweifel immer noch Fremdsprachensekretärin werden könne. Das war die Sichtweise damals: Frauen heiraten und bekommen Kinder, das könnte aber auch schief gehen, also muss man dann immer noch auch Geld verdienen können. Meinen Werdegang, mit Positionen im Top Management, mit Familie und dann später alleinerziehend war so weit weg von jeglicher Vorstellungskraft der damaligen deutschen Gesellschaft.
Mein Karriereweg war nie vorgezeichnet. Ich habe mir auch nie gesagt, ich muss unbedingt da oben hin, im Gegensatz zu manch anderen Frauen, die heute im Top Management tätig sind. Für mich war immer wichtig: Der Job muss Spaß machen, immerhin verbringt man viel Zeit damit. Darüber hinaus habe ich in jeder Position die Kollegen einer Ebene darüber beobachtet und mir gesagt, dass ich das besser könnte. Ich habe mich aber nie selbst unter Druck gesetzt, dass ich unbedingt um jeden Preis Karriere machen muss.
Es ist schwierig, hier ein Kochrezept zu geben, es geht oftmals einfach darum: Chancen zu ergreifen, nachzufragen, aktiv zu sein. Wenn man Karriere macht, muss man aber auch gewisse Dinge in Kauf nehmen. Als ich meine erste Führungsposition innehatte, musste ich einen Teil des Freundeskreises abschreiben, sie kamen damit nicht klar. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine jüngere Kollegin bei KSB, die irgendwann bei mir im Zimmer stand und mich fragte, wie ich das denn so machen würde. Sie erzählte mir von ihren Studienfreundinnen, deren Ehemänner ihnen den Umgang mit ihr verboten hätten, da sie schneller Karriere machte als deren Ehemänner. Ich konnte ihr daraufhin nur raten, sich neue Freundinnen zu suchen, die sie so akzeptierten, wie sie sei.
Meine Kinder wären wahnsinnig geworden mit mir als Hausfrau und Mutter. Meine Kinder sind sehr zufrieden mit der Situation. Ich war recht lange bei KSB und oft auch auf Geschäftsreisen, so dass ich irgendwann das Gefühl hatte, dass es in die falsche Richtung laufen würde und ich doch besser etwas anderes machen sollte. Ich hatte meine Kinder dann gefragt, wie sie das denn so sehen würden, ob die Mama sich nicht vielleicht auch einen Job suchen sollte, um, wie andere Mütter, auch um 16 Uhr zu Hause zu sein. Man muss erwähnen, dass ich damals schon von meinem Exmann getrennt war. Als ich meinen Kindern diese Frage stellte, sahen sie sich kurz an, die beiden waren damals so 9 und 8 Jahre alt, und dann sagte der Große: „Mama, nur wenn wir dann auch noch die ganzen coolen Sachen mit dir machen können, wie mal eben in den Ferien auf Safari nach Kenia fliegen. Wenn nicht, dann nicht.“ Meine Kinder sind der Überzeugung, dass ich immer für sie da war, wenn sie mich gebraucht haben.
Ein weiterer Aspekt ist, dass ich festgestellt habe, dass Frauen gerne zum Perfektionismus neigen. Ein wichtiger Rat ist daher: Es reicht, besser zu sein als die anderen. Man muss nicht perfekt sein. Es ist wichtig, dass man sich nicht an der Perfektion misst, sondern, dass man überzeugt davon ist, dass es völlig reicht, besser zu sein, als die anderen. Auch das ist ja schon eine Herausforderung!
Marco Henry Neumueller: Welche Eigenschaften benötigt Ihrer Meinung nach ein familienexterner Manager / eine familienexterne Managerin ganz allgemein auf C-Level in einem Familienunternehmen um erfolgreich zu sein?
Britta Giesen: Ich würde behaupten, dass es ganz auf die jeweilige Unternehmerfamilie ankommt. Was für einen Managementstil pflegt die Familie, wie viele Familienmitglieder sind es, wie eng verbunden sind sie mit dem Unternehmen, wie sehr sind sie einer Meinung. „Meine Familie“ Busch arbeitet schon sehr lange sehr eng zusammen. Als ich das erste Mal mitbekommen habe, dass man auch mal unterschiedliche Ansichten ausdiskutiert, bis man zu einer gemeinsamen Meinung kommt habe ich zunächst kurz gezuckt, aber das funktioniert ganz wunderbar. Es ist ein sehr offenes, ehrliches und meist sachliches Verhältnis. Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen, lösungsorientiert zu bleiben, ist das Wichtigste – bei „meiner Familie“. Aber das mag in anderen Unternehmerfamilien ganz anders sein. Da mag es dann auch welche geben, bei denen politische Fallstricke existieren. Daher kann man das vermutlich nicht verallgemeinern. Gute Kontakte zur Familie zu pflegen ist ganz entscheidend, aber auf der anderen Seite auch wieder nicht zu enge, da man als CEO unabhängig entscheiden muss.
Marco Henry Neumueller: Worauf sind Sie in Ihrem Leben richtig stolz?
Britta Giesen: Auf meine beiden Kinder. Sie sind jetzt 16 und 18 Jahre alt. Der Große studiert in Großbritannien seit einem Jahr und die Kleine hat gerade ihr Abitur gemacht und macht berufsorientierende Praktika, da sie ganz verschieden gelagerte Interessen hat. Das immer unter einen Hut gebracht zu haben, das war nicht immer einfach, Familie und Job, gerade als Alleinerziehende, ein Drittel der Zeit sieht der Garten dann eben aus wie ein Urwald. Irgendwo muss man Prioritäten setzen. Job, Kinder, Haus…Irgendwann habe ich dann gelernt, Abstriche zu machen.
Marco Henry Neumueller: Frau Giesen, ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses offene Gespräch.
Über Dr. Britta Giesen
Dr. Britta Giesen studierte Wirtschaftsingenieurwesen (Maschinenbau) an der TH Darmstadt (heute TU). An der Cornell University erwarb sie einen Master in Luft- und Raumfahrttechnik bevor sie an der TH Darmstadt in Operations Research promovierte. Nach dem Studium begann sie ihre Karriere als Beraterin bei A.T. Kearney (heute Kearney). Insgesamt 16 Jahre ihrer beruflichen Laufbahn verbrachte Frau Dr. Giesen dann bei KSB, zuletzt als Senior Vice President der Business Unit Tauchpumpen. Es folgten Stationen als CEO bei ThyssenKrupp Access Solutions und im Bereich der technischen Services, bevor sie Anfang Oktober letzten Jahres ihre Aufgabe als Vorstand und designierte Vorstandsvorsitzende bei Pfeiffer Vacuum Technology AG antrat. Zudem ist sie Mitglied des Aufsichtsrates und des Strategieausschusses der Rheinmetall AG.
Über Pfeiffer Vacuum
Der Pfeiffer Vacuum Konzern agiert insbesondere im Geschäftsfeld Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Vakuumpumpensystemen und -komponenten (Vakuumerzeugung, -messung und analyse). Pfeiffer Vacuum hat weltweit ca. 3.300 MitarbeiterInnen und mehr als 20 Tochtergesellschaften. Das Unternehmen ist im TecDAX an der deutschen Börse notiert. Seit 2017 wird die Kapitalmehrheit vom Familienunternehmen Busch-Gruppe gehalten.