Andreas Beaucamp mit Dr. Marco Henry Neumueller

FiFo Talk mit Andreas Beaucamp über die Erfolgsgeheimnisse und Herausforderungen des deutschen Mittelstands, den Einfluss chinesischer Wettbewerber und die Bedeutung der digitalen Transformation

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Andreas Beaucamp ist Gründer von growbuildshape.com. Er begleitet seit 20 Jahren mittelständische (Familien-) Unternehmen bei Veränderungen, bei Strategie und als Aufsichtsrat.

Marco Henry Neumueller: Der deutsche Mittelstand gilt international als Rückgrat unserer Wirtschaft. Was macht Deiner Meinung nach das Erfolgsrezept der sogenannten Hidden Champions aus, und wo siehst Du in diesem Modell die größten Herausforderungen in der heutigen globalisierten Welt?

Andreas Beaucamp: Viele dieser Unternehmen haben ihren Ursprung in den Visionen von Tüftlern oder begnadeten Unternehmern, die Produkte entwickelt haben, die häufig eine einzigartige Kombination aus Maschinenbau, Elektrotechnik und etwas Software darstellen. Diese Produkte sind nicht nur funktional, oft exzellent gestaltet und durch Wettbewerbsvorteile geprägt. Ergänzt wurde Angebot oft durch kundenspezifische Lösungen oder Services. Viele dieser Unternehmen haben sich im Premium-Segment etabliert, mit einer klugen Internationalisierungsstrategie, gestützt auf hohe Qualität und einem klaren Verständnis Ihrer Kunden. Solche Modelle haben sich lange Zeit bewährt.
Viele dieser Unternehmen denken langfristig, sind häufig in Familienbesitz oder durch Stiftungen getragen und verfügen meist über eine sehr solide finanzielle Basis. Diese finanzielle Stärke ist eine wichtige Grundlage, um auch in unsicheren Zeiten stabil zu bleiben. Der Erfolg dieser Unternehmen hat allerdings dazu geführt, dass sie längst keine „Hidden Champions“ mehr sind. Sie sind sichtbar, bekannt und ein wichtiger Bestandteil der deutschen Wirtschaft.
Doch die Herausforderungen sind nicht zu unterschätzen. Die veränderte Geopolitik, der Wettbewerbsdruck aus Asien, insbesondere aus China, zwingt diese Unternehmen dazu, ihre Strategien immer wieder zu überdenken. Technologiesprünge, neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen und der Fachkräftemangel sind weitere zentrale Themen. Eine große Herausforderung besteht auch darin, dass Erfolg oft zu Orientierung an Bewährtem führt. Es fällt nicht immer leicht, sich von alten Erfolgsmodellen zu lösen und sich schnell auf neue Entwicklungen einzustellen.

Marco Henry Neumueller: Du sprachst mal von einem Angriff aus Asien, insbesondere aus China, im Massensegment. Wie können deutsche Unternehmen Deiner Meinung nach auf diese Herausforderungen reagieren, ohne dabei ihre eigenen Werte wie Qualität und Innovation zu gefährden?

Andreas Beaucamp: Vor einigen Jahren war die Wettbewerbssituation für diese Unternehmen meist überschaubar. Man hatte vielleicht zwei oder drei Mitbewerber aus Deutschland, Norditalien oder der Schweiz, gelegentlich auch aus den USA oder Nordeuropa. Heute ist das Bild ein völlig anderes: Fast immer gibt es chinesischen Wettbewerb, der mit einfacheren oft innovativen Produkten von unten angreift im Massen- oder Standardsegment. Das ist ein klassisches Beispiel für das „Innovator’s Dilemma“.
Die Herausforderung besteht darin, sich genau zu überlegen, in welchen Segmenten man langfristig tätig sein möchte. Ist das Standardsegment eine strategisch sinnvolle Option und was heißt das für die Organisation? Oder sollte man sich stärker auf differenzierte Angebote konzentrieren? Ein Beispiel sind Life-Cycle-Ansätze. Hier geht es darum, um das Produkt herum das gesamte Angebot für den Kunden zu optimieren – von der Beratung bis hin zum Service. Unternehmen, die die Voraussetzungen dafür haben und das Thema ausbauen, neue Technologien dabei nutzen, können sich nachhaltig abheben. Wichtig ist es, die eigenen Stärken und Möglichkeiten klar zu sehen und darauf aufzubauen. Wohlfeile Strickmuster gibt es nicht.

Marco Henry Neumueller: Ein zentraler Punkt ist Deiner Meinung nach die mangelnde Differenzierung durch Software und Apps. Welche Rolle spielt die digitale Transformation für die Zukunft des Mittelstands, und wie können Unternehmen hier schneller und effektiver vorankommen?

Andreas Beaucamp: Die digitale Transformation ist für den Mittelstand ein Schlüsselthema, sowohl für die Produkte als auch in den Prozessen. In Anbetracht der rasanten technischen Entwicklung sehe ich, dass Unternehmen nicht immer mit der Geschwindigkeit agieren, die notwendig wäre. Doch gibt es pfiffige Beispiele:
Ein Unternehmen hat bewusst die klassischen Produkte mit digitalen Erweiterungen aufgewertet. IoT-Funktionen ermöglichten Datentransparenz und Zusatznutzen für den Kunden. Gleichzeitig konnten erweiterte Serviceangebote, wie Remote Services oder präventive Wartung angeboten werden. Solche Ansätze schaffen nicht nur Mehrwert für die Kunden und Differenzierung, sie eröffnen auch neue Einnahmequellen.
Für solche Konzepte eignen sich selbstorganisierte, gemischte Teams: Erfahrene Mitarbeitende haben tiefes Wissen über Produkte und Prozesse, während jüngere Talente neue Technologien und agile Ansätze einbringen. Dieses Vorgehen hat oft zu Innovationen oder besseren, schnelleren Prozessen geführt. Wichtig ist es, zügig Use Cases zu entwickeln, zu testen und iterativ zu verbessern. Mut, Geschwindigkeit und Agilität sind hier entscheidend.

Marco Henry Neumueller: In einer Deiner Veröffentlichungen erwähnst du den „Ballast“ und eine gewisse Behäbigkeit in Unternehmen. Wie können Mittelständler sich von unnötigen Prozessen befreien und wieder agiler werden? Hast Du Beispiele, wo das bereits erfolgreich umgesetzt wurde?

Andreas Beaucamp: Mit zunehmendem Erfolg und Größe entstehen in Unternehmen oft zusätzliche, zentrale Stellen, mit neuen Berichts- und Kontrollstrukturen. Das geschieht nicht aus bösem Willen, sondern aus dem Wunsch, die Organisation zu optimieren. Doch diese Strukturen können dazu führen, dass operative Teams übermäßig belastet werden mit Formalismus, langen Entscheidungswegen und Reporting.
Ein Unternehmen hat sich dieser Herausforderung gestellt, indem es die Anzahl der Reports und Meetings drastisch reduziert hat. Es wurden nur noch Berichte zugelassen, die automatisch generiert werden konnten, und es gab keine Regelmeetings mehr zur Analyse der Berichte. Die betroffenen Mitarbeitenden atmeten auf. Engagement und Effizienz der operativen Teams gingen nach oben.
Ein weiteres Beispiel betrifft den Bereich Forschung und Entwicklung. Hier haben heterogene und eigenverantwortliche Teams einen stark formalisierten und langwierigen Prozess durch einen agilen Ansatz ersetzt: Technik- und Marktteams arbeiten nun von Beginn an eng zusammen, um das Konzept zu definieren. Erst in der späteren Umsetzungsphase werden wieder klassische, sequenzielle Prozesse verfolgt. Solche Maßnahmen erhöhen nicht nur die Geschwindigkeit, sondern stärken auch die Verantwortung und das Engagement.

Marco Henry Neumueller: Du betontest die Bedeutung von Selbstverantwortung und Selbstorganisation in Unternehmen. Wie können Führungskräfte diese Kultur fördern, und welche Rolle spielt dabei das Vertrauen zwischen Mitarbeitenden und Management?

Andreas Beaucamp: Vertrauen ist das Fundament jeder erfolgreichen Zusammenarbeit. Es lässt sich nicht erzwingen, sondern muss über Jahre aufgebaut werden. Leider kann es sehr schnell zerstört werden. Familienunternehmen haben hier meist einen Vorteil, da sie langfristig denken und auf eine hohe Loyalität zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden achten.
Mehr Selbstverantwortung in den Teams, heißt für Führungskräfte: Verantwortung abgeben. Manche Chefs tun sich schwer damit. Doch die meisten Entscheidungen können dezentral getroffen werden. Teams, die eigenständig arbeiten, sind motivierter und treffen in der Regel die richtigen Entscheidungen. Klar, für große, irreversible oder strategische Entscheidungen muss es einen formelleren Prozess geben.

Marco Henry Neumueller: Lass uns über Industriepolitik sprechen. Welche konkreten Maßnahmen sind Deiner Meinung nach notwendig, um den deutschen Mittelstand langfristig wettbewerbsfähig zu halten?

Andreas Beaucamp: Ich bin weder Volkswirt noch Fachmann für Industriepolitik. Doch sehen wir, zielgerichtete Investitionen in Zukunftsbranchen sind essenziell. Länder wie China zeigen, wie erfolgreich eine solche Strategie sein kann. In Deutschland sparen wir uns manchmal zu Tode, statt proaktiv Rahmenbedingungen für Zukunftstechnologien zu schaffen.
Ein weiteres Problem ist die Bürokratie. Kaum jemand ist z.B. gegen Lieferketten- oder ESG-Richtlinien. Aber sie müssen praxisnah und realistisch gestaltet sein mit weniger Belastung und mehr Spielraum für die Firmen. Der Einbezug von Praktikern aus den Unternehmen bei der Einführung neuer Regelungen könnten hier Abhilfe schaffen.

Marco Henry Neumueller: Zum Abschluss eine visionäre Frage: Wo siehst Du den deutschen Mittelstand in 10 Jahren, und was müssen Unternehmen heute tun, um in einer dynamischen und globalisierten Welt weiterhin erfolgreich zu sein?

Andreas Beaucamp: Heute und morgen sind entscheidend. Unternehmen müssen mutig sein, Ballast abwerfen und klare Prioritäten setzen. Gleichzeitig ist es wichtig, den Mitarbeitenden Freiräume zu geben und auf ihre Ideen und Mitverantwortung zu vertrauen.
Der Mittelstand hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er innovativ, unternehmerisch und anpassungsfähig ist. So hat er viele „Champions“ hervorgebracht. Es gilt diesen klassischen Unternehmergeist sowie die breite und tiefe Erfahrung noch mehr zu verbinden mit neuen Themen, etwa KI, Nachhaltigkeit oder Agilität. Dann sehe ich eine erfolgreiche Zukunft für diese Unternehmen und für uns alle.

Marco Henry Neumueller: Ich danke Dir.