London bridge is down – es sind nur vier Worte, die ein Land für einen Moment zum Schweigen bringen. Die Grande Dame weilt nicht mehr unter uns und doch kann sie auch nach Ihrem Ableben – zumindest in mancherlei Hinsicht – Vorbild sein. Man mag sich fragen, was Führungskräfte von Königin Elizabeth II. lernen können. Immerhin regierte sie über 70 Jahre und navigierte in dieser Zeit nicht nur ihr Land, sondern auch ihre Familie durch eine Vielzahl von Herausforderungen aller Art. Menschen, mit ihrer Art von Selbstverständnis, gibt es heute nur noch sehr wenige und zunehmend weniger.
Nachdem die Windsors das Familienunternehmen Monarchie gerne auch „The Firm“ bezeichnen, können sich Führungskräfte gerade in einer Welt, die sich rasant ändert und von massiven Unsicherheiten geprägt ist, einige positive Eigenschaften von der Queen abgucken:
- Gelassenheit
Während ihrer Regentschaft gab es Zeiten von Krieg und Frieden, globale Pandemien, wirtschaftliche Hochphasen und Rezessionen, Familienskandale und persönliche Schicksalsschläge. Sie scheint all das stets mit stoischer Ruhe und Gelassenheit ertragen zu haben; auch in Zeiten, in denen sich die öffentliche Meinung gegen sie zu wenden schien. Im beruflichen Alltag werden Sie ständig mit Herausforderungen unterschiedlichster Art konfrontiert sein. In der Ruhe liegt jedoch die Kraft. Das Streben nach Gelassenheit heißt auch, gelegentlich mal eine Pause einzulegen, tief durchzuatmen und die Fassung zurückzugewinnen. Sie ist nämlich die Brücke zwischen Problem und Lösung. Halten Sie es doch wie der Theologe Reinhold Niebuhr: „Ich wünsche mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann; den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
- Neugier
Wer die Begegnungen von Königin Elizabeth II. aufmerksam verfolgte, stellte schnell fest, dass sie sich nie davor scheute, Fragen zu stellen. Sie war eine von Grund auf neugierige Person. Dieses Verhalten zeigte sich insbesondere bei Begegnungen mit Staatsoberhäuptern und berühmten Persönlichkeiten aus aller Welt. Aber nicht nur da. Auch wenn sie mit Bürgern zusammentraf, ganz egal, ob es Ärzte, Ingenieure oder Bergleute waren, sie stellte auch diesen Personen nicht nur Fragen, sondern hörte aufmerksam zu und zeigte großes Interesse daran, die Antworten auch zu verstehen. Sie war stets der Auffassung, dass man nie zu alt war, um Neues zu lernen.
Fragen zu stellen, bedeutet, im Gespräch die Führung zu übernehmen. Wenn Führungskräfte neugierige Fragen stellen, schaffen sie den Raum für jeden Einzelnen, offen zu sein und seine eigene Neugier zu erkunden. Forschungen zu diesem Thema zeigen, dass es einen Dominoeffekt hat. Es sind diejenigen Führungskräfte leistungsfähiger, die ihren Teams psychologische Sicherheit bieten, um Dinge in Frage zu stellen, Alternativen zu erforschen und aus anderen Szenarien zu lernen um ihre eigene Neugier auf nicht wertende Weise einbringen zu können.
- Disziplin
Zählt man die Charaktereigenschaften von Königin Elizabeth II. auf, so darf Disziplin nicht fehlen. Bis zuletzt lebte und arbeitete die Queen mit bedingungsloser Hingabe: ein Leben voller Pflichten und eiserner Disziplin. Ihr Dienst für die Monarchie hatte stets Vorrang vor allen persönlichen Befindlichkeiten. Disziplin ist eine unabdingbare Voraussetzung guter und wirkungsvoller Führung. Disziplin fängt im Denken an und überträgt sich auf das Handeln. Wenngleich Disziplin aktuell kein Modewort mehr zu sein scheint, ist sie eine absolut zeitlose Qualität und Voraussetzung für Leistung und Erfolg im beruflichen Kontext. Konkret heißt das: tun Sie stets das, was Sie sagen, lösen Sie versprochene Leistungen ein, stellen Sie an sich selbst die höchsten Ansprüche, halten Sie Regeln ein und kämpfen Sie für die Erreichung Ihrer Ziele.
- Veränderungsbereitschaft
Gestatten Sie mir, Sie für einen Moment – zumindest gedanklich – in den Biologieunterricht der Schulzeit zu entführen. Was haben wir dort doch gleich gelernt? Charles Darwin prägte einen viel zitierten Ausspruch: „It is not the strongest of the species that survive, nor the most intelligent. It is the one most adaptable to change.“
Im Gegensatz zu traditionellen Staatsoberhäuptern, die sich gegen Veränderungen sträubten, liebte Königin Elizabeth II. den Wandel und passte sich dem Wandel der Zeit moderat an. Als sie beispielsweise 1953 den Thron bestieg, änderte sie die ursprüngliche Entscheidung zur Übertragung der Krönungszeremonie von Radio auf Fernsehen. Winston Churchill riet ihr seinerzeit sogar davon ab und bat sie, an der Tradition festzuhalten, aber sie hörte nicht auf ihn. Sie wollte die Monarchie modernisieren und mit dem Volk auf einer persönlicheren Ebene in Kontakt treten; das Fernsehen war das geeignetste Medium zu der damaligen Zeit, um dieses Ziel zu erreichen.
Und das ist noch nicht alles: 1976 war sie das erste Staatsoberhaupt, das eine E-Mail verschickte. Damals waren E-Mails bei weitem nicht so populär wie heute, aber sie war bereit, sich dem Wandel zu stellen und anderen zu zeigen, dass der Wandel nicht mehr aufzuhalten ist und man sich anpassen muss, um in Zukunft erfolgreich zu sein.
Für Unternehmen ist es heute mehr denn je ein entscheidender Erfolgsfaktor, auf Veränderungen schnell und effizient reagieren zu können. Durch den schnellen Wandel von Märkten, Wissen oder auch Strukturen sind die Unternehmen gezwungen, sich neu zu erfinden und alte Strategien in Frage zu stellen. Von Führungskräften wird erwartet, dass sie zukunftsgerichtet agieren und ihre Mitarbeiter auf die Geschwindigkeit notwendiger Veränderungen aller Art einstimmen. Doch die Realität erinnert leider noch allzu oft an den Dichter Leo Tolstoi: „Jeder denkt darüber nach, wie man die Welt verändern könnte. Aber niemand denkt daran, sich selbst zu verändern.“
- Humor
Königin Elizabeth II. nahm zwar ihre Pflichten sehr ernst – sich selbst aber eher weniger. Unvergessen bleibt das Video anlässlich ihres Platin-Thronjubiläums, als sie die berühmte Kinderbuchfigur Paddington Bär zum Tee im Buckingham Palace empfing und ihrem Gast dabei verriet, was sie in ihrer Handtasche aufbewahrte: ein Marmeladenbrot – „for later“. Humor ist ein zentraler Erfolgsfaktor für Leistung. Humor sorgt für Entspannung, hält die Motivation hoch und ermöglicht eine Begegnung auf Augenhöhe. Er sollte Teil des Repertoires eines zeitgemäßen Führungsstils sein.
Hinweis: Teile aus diesem Aufsatz sind zuerst im Management Blog der WirtschaftsWoche erschienen.