von Florian Brokamp, CEO und Co-Founder von Thinksurance
Viele Familienunternehmen bestehen bereits seit mehreren Generationen. Ihre teils jahrzehntelange Tradition belegt eindrucksvoll ihre Fähigkeit, nachhaltig unternehmerisch zu handeln. Dabei greifen sie in den meisten Fällen auf gewachsene und bewährte Strukturen zurück, die leisten, was anderen Unternehmen oft schwer fällt: Prozesse greifen ineinander, es gibt klare Abläufe, fest definierte Verantwortlichkeiten.
Zudem lassen sich – und das ist wohl noch relevanter als strukturelle Stabilität – zwei Aspekte signifikant oft finden: ein familiäres Selbstverständnis und ein Wertesystem, denen sich die Unternehmer seit Generationen verpflichtet haben. Loyalität, Verlässlichkeit, zueinander stehen, nahbar bleiben – das sind nur einige Aspekte, die dazu gehören. Die Werte ebenso wie das Selbstbild strahlen weit in die Organisation hinein und treiben nicht nur die strukturelle Stabilität, sondern sorgen auch dafür, dass das Mitarbeitermanagement nicht auf Fluktuation und das schnelle „Abgreifen“ von Know-how ausgelegt ist. Im Fokus stehen vielmehr eine vertrauensvolle, verlässliche Bindung und langjährige Unternehmenszugehörigkeit. In der Konsequenz entstehen sehr spezifisches Wissen und ein geteilter Erfahrungsschatz – wertvolle Güter für viele Unternehmen.
Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Die Werte und das Selbstverständnis wirken auch nach außen. Das führt dazu, dass Familienunternehmen häufig als glaubwürdiger und authentischer wahrgenommen werden – insbesondere im Vergleich zu nicht-familiengeführten Unternehmen. Deshalb verfügen viele Familienunternehmen über stabile Netzwerke, eine gute Wahrnehmung bei potenziellen Bewerbern und langfristige Kundenstämme, die ihnen einen erheblichen Vertrauensvorschuss geben. Und gerade dieser bietet einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorteil.
Was Start-ups für sich nutzen können
Wenngleich die zuvor beschriebenen Charakteristika von Familienunternehmen erstrebenswert sind, so sieht die unternehmerische Ausgangsbasis vieler Start-ups anders aus. Schnell wachsende und flexible Strukturen sind hier unerlässlich. Besonders in frühen Phasen ist der Bedarf, sich agil und kurzfristig auf Marktfeedback anzupassen, hoch. Junge Unternehmen benötigen zudem Zeit, ihr Geschäftsmodell weiterzuentwickeln und reifen zu lassen. Gerade bei großen Innovationen oder in traditionellen Märkten ist dies eine unternehmerische Notwendigkeit. Hinzu kommt, dass vor allem in den ersten Jahren die meisten Aufgaben nicht selten direkt von den Gründern verantwortet werden. Das schont gerade zu Beginn die meist knappen finanziellen Ressourcen. Erst im Laufe der Zeit können dann (erfahrenere) Mitarbeiter eingestellt und Aufgaben geteilt werden.
Selbstverständlich können Start-ups keine Zeit wettmachen und auch ihre große Veränderungsbereitschaft bietet Vorteile. Allerdings können sie sich in zwei zentralen Punkten bereits früh etwas von Familienunternehmen abschauen: Gründer sollten von Anfang an die Chance nutzen und wenn möglich in eine gezielte und umsichtige Mitarbeiterentwicklung investieren. Mitarbeiter sind nicht nur eine betriebswirtschaftlich zu kalkulierende Ressource. Sie sind Dreh- und Angelpunkt des Unternehmens. Das hilft dabei, frühzeitig wertvolles Know-how aufzubauen und optimal nutzbar zu machen. Nebenbei entstehen so zudem Strukturen, die gerade in der Frühphase stabilisierend wirken. Als zweiten wichtigen Aspekt sollten Start-ups das starke Werte- und Selbstverständnis in den Blick nehmen: Über eine konsequente Mitarbeiterentwicklung in Kombination mit einem engen Austausch mit den Gründern können sich : ein starkes Gemeinschaftsgefühl und Wertegefüge entwickeln, das für die weitere Entwicklung vorteilhaft ist. Sie leiten und prägen jedes Verhalten, jede Entscheidung; sie geben Fokus und eine entsprechende Priorisierung – im Sinne des Unternehmens und trotz zunehmender Arbeitsteilung. Denn gemeinsame und gelebte Werte verbinden, treiben an und stellen eine Orientierung für alle Mitwirkenden dar. Als Gründer sollte man sicher daher sehr früh fragen – wofür möchten ich persönlich und mein Unternehmen stehen?
Das Beste aus beiden Welten
Auch wenn Start-ups als Unternehmensform durchaus einen gewissen Sonderstatus haben, so verfügen sie über Eigenschaften und Skills, die etablierte Unternehmen als Inspiration nutzen können, um die eigenen bewährten Prozesse und Strukturen zu hinterfragen. Agiles Handeln, Offenheit für Innovationen und kurze Entscheidungswege beflügeln sicherlich die Innovationskraft von Unternehmen. Werden diese Faktoren mit einem nachhaltigen Unternehmensaufbau und einer starken Unternehmenskultur kombiniert, so sollte eine stabile Grundlage für unternehmerischen Erfolg, ob als Start-up oder als Familienunternehmen, gelegt sein.
Bildquelle: Florian Brokamp
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