Der Einarbeitungsprozess ist entscheidend – für Unternehmen genauso wie für Mitarbeiter; denn der Start hat durchaus großen Einfluss auf die Entwicklung und Produktivität einer Person. Was in vielen Unternehmen bereits Teil der Willkommenskultur bei der Eingliederung neuer Mitarbeiter von außen ist, sollte insbesondere auch für Führungskräfte der obersten Leitungsebene gelten. Inhaltlich geht es auch hierbei darum, die neue Führungspersönlichkeit ankommen und produktiv werden zu lassen.
Hierfür kann es wahrlich keine Blaupause geben, schon gar keine mit Erfolgsgarantie. Insbesondere ist das Onboarding auf die spezifische Unternehmenssituation und Familie anzupassen. Ein solcher systematischer Prozess kann auch dann sinnvoll erscheinen, wenn für eine Besetzung der obersten Führungsebene ein Kandidat aus den eigenen Reihen vorgesehen wurde. Eine neue Rolle bedingt neues Denken und damit einhergehend teilweise auch neue Verhaltensmuster. Somit vermag auch niemand mit absoluter Gewissheit die Leistung einer Person in einer neuen Rolle und Umgebung vorhersagen. Dies mag bei Eigengewächsen tendenziell noch eher gelingen als bei „new hires“. Bei letzteren hat man sich hoffentlich in die Hände eines mit Familienunternehmen vertrauten Personalberaters gegeben, der neben der fachlichen Eignung eines Kandidaten insbesondere die kulturelle Passung („cultural fit“) sicherstellt. In ganz häufigen Fällen scheitert es nämlich an genau dieser fehlenden Passung. Während sich Familienunternehmen und Konzerne schon deutlich unterscheiden und meist auch andere Charaktere erfolgreich werden lassen, so hat auch jede Unternehmerfamilie ihre ganz spezifischen Eigenheiten, auf die es sich einzustellen gilt.
„[…] hat doch die kulturelle Passung des Einzelnen tendenziell immer Vorrang vor dem Kriterium der Qualifikation.“
v. Schlippe, A.; Rüsen, T.; Groth, T. (Hrsg.) (2009): Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens, 1. Aufl., S. 11.
Wer glaubt, dass der Onboarding-Prozess erst nach Unterzeichnung des Anstellungsvertrages beginnt, begeht schon den ersten Fehler. Zeitlich gesehen beginnt der Onboarding-Prozess idealerweise bereits mit der Planung der Besetzung bzw. Rekrutierung. Hierzu gehört im Kontakt mit potentiellen Kandidaten eine ehrliche Kommunikation mit offenem Visier hinsichtlich einer realistischen Darstellung der Unternehmenssituation verbunden mit den Zielen und Erwartungen in dieser Position. Mit der Unterzeichnung des Anstellungsvertrages beginnt der formale Prozess, Wie lange solch ein Prozess dauert, ist unterschiedlich – von mehreren Monaten bis Jahre, je nach spezifischer Unternehmenssituation und handelnden Akteuren.
Scheitert eine Führungskraft, mag es verschiedene Ursachen haben. Fachliche Gründe können im Rahmen eines professionellen Rekrutierungsprozesses weitestgehend ausgeschlossen werden. Auch die Erwartungshaltung von beiden Seiten sollte offen angesprochen und geklärt werden. Und dennoch zeigt die Erfahrung in der Praxis, dass es genau dadurch sehr häufig zur Trennung kommt. Wenn sich ein rekrutiertes Vorstandsmitglied in einem Familienunternehmen plötzlich als Vorstandsassistent (mit Vorstandsgehalt) des Familienpatriarchen sieht, obwohl er im Vorfeld unmissverständlich die Vorgabe äußerte, ein Gestalter zu sein, welcher eine lange Leine benötigt, so wird das Arbeitsverhältnis mit hoher Wahrscheinlich nach einigen Monaten wieder beendet werden.
Ein erfolgreicher Onboarding-Prozess dient als Assimilationsperiode für beide Seiten. Soll diese Periode erfolgreich enden, setzt dies ein klares gemeinsames Verständnis des Ausgangs- und Zielzustandes voraus. Wohlwollen, Vertrauensvorschuss, der gebotene gegenseitige Respekt und ein hohes Maß an Wertschätzung sollten dabei selbstverständlich sein. Dass diese Annäherungsphase durchaus die ein oder andere stürmische Auseinandersetzung beinhaltet, sollte keine der beiden Seiten verunsichern oder sofort an der neuen „Beziehung“ zweifeln lassen.
Wenngleich das Tagesgeschäft meist dominiert, sollte bewusst Zeit für die persönliche und offene Kommunikation zwischen Familie und neue Führungskraft eingeräumt werden. Ein ehrliches und zeitnahes Feedback ist die halbe Miete und verhindert so manche stille Eskalation.
Ein Patentrezept wird es – wie bereits eingangs ausgeführt – kaum geben; dennoch lassen sich aus der Praxis verschiedene Eckpunkte nennen, die zumindest die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die neue Führungskraft reüssiert:
Die Erwartungshaltung
Es sollten zu jedem Zeitpunkt unklare und falsche Erwartungen vermieden werden. Wer offen und unmissverständlich kommuniziert und sich berechenbar zeigt, sorgt für gute Startbedingungen. Vereinbaren Sie messbare Ziele, die Sie auch nachhalten.
Die Kommunikation
Communication is key – nutzen Sie alle Möglichkeiten der formellen und auch informellen Kommunikation. Zeitnahes und ehrliches Feedback ist essentiell. Schrecken Sie auch dann nicht davor zurück, wenn es unangenehm wird. Paten- und Mentorenprogramme haben sich als zielführend erwiesen.
Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut
Geben Sie der neuen Führungskraft und der Organisation die Zeit, die sie benötigt. Übertriebener Ehrgeiz ist nicht angebracht. In den ersten 100 Tagen sollte man kein Wunder erwarten, es sei denn man holt sich einen knallharten Restrukturierer mit Brechstangenmentalität.
Erste Aufgaben und Projekte mit breiter Kontaktfläche
Zeitlich begrenzte und inhaltlich abgesteckte Projekte eignen sich ideal zum Kennenlernen der Organisation, ohne gleich in seiner designierten Rolle vollwertig handeln zu müssen.
Respekt, Wertschätzung und konstruktiv-kritischer Dialog
Die neue Führungspersönlichkeit sollte einen Vertrauensvorschuss genießen. Und dennoch: Sprechen Sie über inhaltlich-fachliche aber auch persönliche Erwartungen. Lassen Sie das Feedback aus der Organisation einfließen.
Fragen stellen, aktiv zuhören und Entscheidungen treffen
Wechseln Sie mal die Perspektive. Nutzen Sie unterschiedlichen Fragetechniken. Erlangen Sie Verständnis für eine anderen Sichtweise, aber sorgen Sie für Entscheidungssicherheit
Die private Situation der neuen Führungspersönlichkeit berücksichtigen
Gerade als Familienunternehmer sollte Sie sich neben dem beruflichen Start auch für den privaten des Kandidaten interessieren; insbesondere wenn dieser mit einem Umzug der kompletten Familien verbunden ist. Interessieren Sie sich, bieten Sie Hilfe an und versuchen Sie die Familie in adäquater Form einzubinden.