Martin Drasch, Vorstandsvorsitzender der Manz AG in Reutlingen
Marco Henry Neumueller: Lieber Herr Drasch, Sie haben direkt nach Ihrem Studium für Ihren Berufsstart ein Familienunternehmen ausgewählt. War das eher Zufall oder haben Sie sich bewusst dafür entschieden?
Martin Drasch: Der Grundstein dafür wurde schon während des Studiums, genau genommen, während meines Praxissemesters bei Eisenmann, gelegt. Zudem war mein Vater über 40 Jahre in diesem Unternehmen tätig. Natürlich war Eisenmann auch beim Abendessen immer ein Thema. Mein Vater schwärmte von diesem großartigen Familienunternehmen und so bekam ich schon früh Einblicke. Da war der Weg eigentlich schon vorgezeichnet, obwohl mein Vater damals kommentierte, dass man so jemanden wie mich – ich war wohl in meiner Jugend ein etwas wilder Charakter – dort nicht gebrauchen könnte. Das spornte mich dann gerade an. Als es nach der Diplomarbeit an die Berufswahl ging, blieb mir fast keine andere Option, als bei Eisenmann zu starten, wo man mir gleich mehrere interessante Stellen anbot. Ich kannte bereits die Kultur und die Strukturen des Unternehmens. Das war also eine sehr bewusste Entscheidung.
Marco Henry Neumueller: 2015 haben Sie die Eisenmann AG verlassen und sind zur Manz AG – einem weiteren Familienunternehmen – gegangen. Welche Eigenschaften muss aus Ihrer Sicht ein familienexterner Manager mitbringen, um in einem Familienunternehmen erfolgreich sein zu können?
Martin Drasch: Sie müssen – das ist eine zwingende Voraussetzung – zum Unternehmen passen. Das Thema Kompetenz sollte nicht unterschätzt werden, aber man muss auch zur Unternehmenskultur und zur Kultur des Unternehmers passen. Man wird kaum erfolgreich sein können, wenn man dem Unternehmenslenker systematisch nicht das Wasser reichen kann. Wenn man nicht akzeptiert wird, wenn man nicht in Grundzügen dieselbe Meinung oder dieselben Ansichten vertritt, wird man sich unheimlich schwertun und man wird immer wieder gegen Widerstände ankämpfen müssen. Eigentlich muss es bereits während des ersten Gesprächs mit dem Familienunternehmer „klick“ machen. Bei mir war das so. Dieter Manz und ich hatten eine erste, zweieinhalbstündige Unterhaltung. Danach war schon klar, dass wir die Gespräche fortsetzen wollen.
Weiterhin muss eine Art Familiengefühl vorhanden sein. Man muss sich darauf einlassen wollen und diese Gefühle dann auch zulassen. Es gehört dazu, sich um seine Mitarbeiter sorgen und eben mindestens genauso um seine Kunden. Es geht nicht nur um das harte Management, Entscheidungen zu treffen, die Zahlen im Auge zu behalten. Es gibt durchaus auch andere Faktoren, die eine entscheidende Rolle spielen. Das Thema Respekt ist besonders wichtig. Aber auch das Thema Vertrauen. Wenn man diese Werte für sich nicht als wichtig erachtet und auch teilt, wird man in einem Familienunternehmen nicht erfolgreich sein können.
Marco Henry Neumueller: Neben der Eisenmann AG ist auch die Manz AG u.a. als Automobilzulieferer tätig. Der Automobilindustrie und damit auch deren Zulieferern wurde schon vor Corona ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Machen Sie sich Sorgen um den für Deutschland so wichtigen Industriezweig und sind diese Sorgen begründet?
Martin Drasch: Von meiner 20-jährigen Berufserfahrung habe ich einen Großteil davon in der Automobilzuliefererindustrie und im Automotive Umfeld gearbeitet. Ich habe die Professionalisierung Anfang der 2000er Jahre miterlebt, gelernt und verstanden was Projektmanagement, Strukturen und Abläufe – kurz gesagt – was eine über 100-jährige Automobilerfahrung für Vorteile generieren kann. Aber eben zeitgleich auch, was es nach dieser langen Zeit für Nachteile mit sich bringen kann. Man arbeitet heute oftmals in verkrusteten Strukturen. Da fehlt die Agilität. Man ist nicht mehr reaktionsfähig. Wenn, wie in den letzten Jahren geschehen, unvorhersehbare Dinge eintreten, wenn es nicht mehr stetig nur nach oben geht, wird man aber reagieren müssen! Das Thema Mobilität steht an oberer Stelle und der Automobilbereich ist für Deutschland und Europa eine so wichtige Schlüsselindustrie – es wird sich dringend etwas ändern müssen.
Marco Henry Neumueller: Wie steht es derzeit um die Manz AG und welche Strategie verfolgen Sie als deren Vorstandsvorsitzender in den kommenden fünf Jahren?
Martin Drasch: Als ich 2015 zu Manz kam, hatten wir weder Aktien im Zuliefer- noch im Automobilbereich. Sicherlich gab es einige Themen, als wir mit Tesla Projekte gemacht haben: jedoch rein auf der Maschinenebene; nicht im Projektgeschäft und nicht im Integrationsgeschäft. Wir haben uns das dann – für viele zunächst nicht nachvollziehbar – als strategisches Ziel vorgenommen. Viele sahen den Automotive-Bereich als einem absteigenden Ast an. Genau deswegen haben wir uns diesem gewidmet, zumal wir eben nicht im Standard-Powertrain unterwegs sind. Wir haben uns in den letzten zehn Jahren Kompetenzen angeeignet, die nun für Automobilzulieferer, aber auch für OEMs wichtig und wertvoll sind. Wir leisten unseren Beitrag dort, wo wir nachhaltig und wettbewerbsfähig unsere Kunden unterstützen können. Das ist einen Markt, der sich auftut, der sich jetzt entwickelt und enormes Potential bietet. Wir arbeiten gerade an drei, vier vielversprechenden Projekten. Selbstverständlich stehen wir auch im Batteriebereich vor Herausforderungen und es gibt bisher wenig Kompetenz und Erfahrung in Europa. Manz ist einer der wenigen Anbieter mit entsprechender Erfahrung im Batterieumfeld. Wir wissen, was es zu beachten gilt, damit wir in diesem Markt wettbewerbsfähig bleiben. Natürlich wissen wir auch, dass es in Summe ein Markt ist, welcher sich momentan rasant entwickelt und hohe Anforderungen an uns stellen wird.
Wir werden meiner Meinung nach etwas Vergleichbares erleben, wie Manz es schon zwischen 2000 und 2010 im Solarbereich erleben konnten, als wir mit unserer Prozesstechnik einen enormen Wachstum und damit auch Erfolg generieren konnten. Auch damals hatte zunächst jeder seine Zweifel. Eine ähnliche Entwicklung sehen wir nun auch im Batteriemarkt. Wir erwarten einen starken Anstieg und sind davon überzeugt, dass wir mit unserer Struktur und unserem globalen Setup gut aufgestellt sind. Über unsere Tochtergesellschaften in Asien und Osteuropa können wir schnell und kostengünstig in größerer Stückzahl Anlagen und Produktionsequipment liefern.
Was wir noch sehen: Es wird eine nachhaltig Marktentwicklung sein. Manz ist es zunächst einerlei, ob es vollelektrische Fahrzeuge oder Hybridmodelle sein werden; oder ob morgen das Thema Wasserstoff kommt. Auch dort werden Batterien benötigt werden. Es ist noch eine junge Technologie, die sich weiterentwickeln wird. Hier sehe ich großen Bedarf an Maschinenbauern, Prozesstechnologen und Integratoren, die das abbilden und umsetzen können. Am Ende ist das Ausgangsmaterial, sind die Rohstoffe, entscheidend. Sie stellen die Kostentreiber dar und müssen sorgsam und nachhaltig verarbeitet werden. Das ist es, was Manz bietet und liefern kann. Wir können mit unserer Technologie Verfügbarkeiten der Anlagen, von bereits heute über 90% darstellen. In unseren Systemen steckt heute schon künstliche Intelligenz, die unsere Kunden dabei unterstützt effizient, ressourcensparend und kostenoptimiert zu produzieren. Mit zukünftigen, selbstlernenden Systemen können wir unseren Kunden eine hohe Verfügbarkeit aber auch Prozesssicherheit bieten.
Auch wenn ich viele Herausforderungen im automobilen Umfeld sehe, so bin ich davon überzeugt, dass Manz einen Beitrag und einen Mehrwert liefert, der unsere Kunden unterstützt diese Herausforderungen zu meistern. Es gilt in Deutschland und Europa zusammenzuhalten und unsere Kompetenzen zu bündeln. Dann bin ich davon überzeugt, dass wir auch weiterhin in dieser für Deutschland so wichtigen Industrie erfolgreich sein können – uns wirtschaftlich vor allem gegen die Asiatischen, aber auch die andere Industriemächte behaupten werden.
Marco Henry Neumueller: Familienunternehmen und Mittelständlern wird seit einiger Zeit vielfach fehlende Innovations- und Digitalisierungsfähigkeit unterstellt. Wie kommt es zu dieser negativen Einschätzung?
Martin Drasch: Das ist ein großes Problem, da die Investitionen in das Thema digitale Transformation, aber auch in künstliche Intelligenz besonders hoch sind. Man benötigt im Unternehmen dafür Kompetenzen, die viele Mittelständler nicht haben. Man denke nur an Data Analysts, cloud-basierte Prozesse oder das ganze Strukturthema, das noch dahintersteckt. Bei den meisten Mittelständlern, die es hier in Deutschland und Europa gibt, ist die Digitalisierung noch nicht ein zentrales Thema ihrer Wertschöpfung. Wenn die Kompetenz und Erfahrung an dieser Stelle fehlen, tut man sich nachvollziehbarerweise auch schwer. Aber es kommt mehr und mehr Bewegung in diesen Bereich. Er wird sich weiter öffnen und wir werden Aktionen erleben – die zwar etwas langsamer sind, wie man es vielleicht seither im Mittelstand gewohnt war, aber das ist an dieser Stelle auch gesund. Die Frage ist doch immer, wo kann ich heute was verkaufen. Wo ist der Markt und der Kunde, der bereit ist, dafür zu bezahlen. Das wird nur dann der Fall sein, wenn man als Unternehmen auch Wertschöpfung generieren kann und man dadurch Planungssicherheit erhält.
Das ist für mich das zentrale Thema, auch und insbesondere im Familienunternehmen. Wir als Manz wollen nachhaltig erfolgreich wachsen. Das sieht ein Familienunternehmen an der Stelle vielleicht manchmal etwas anders – im Vergleich zu einem rein kapitalmarktorientierten Unternehmen, das ausschließlich auf den Shareholder-Value-Gedanken ausgerichtet ist. Da sieht die Welt etwas anders aus. Ob diese Unternehmen dann fachlich, technologisch und umsetzungstechnisch wirklich weiter sind, wage ich zu bezweifeln. Ich denke da an ein großes Unternehmen, das vorgibt, hier sehr weit zu sein. Ich muss aber leider feststellen, wenn man glaubt, man bekommt von dort Unterstützung, dann wird recht schnell klar, dass wir bei Manz viel weiter sind. So geht es auch den anderen Mittelständlern, mit denen ich mich regelmäßig unterhalte. Dieser Austausch ist enorm wichtig. Ich bin davon überzeugt, dass wir relativ schnell positive Ergebnisse sehen werden, WENN ein Bedarf und die entsprechende Nachfrage vorhanden sind. Das ist die Grundlage dafür. Wir sprechen über ein großes Thema, das gehyped und gepushed wird, der Markt ist aber noch nicht so reif, wie manchmal der Anschein erweckt wird. Das hat Manz leider schon in der Vergangenheit erlebt, wenn ich an dieser Stelle nochmals das Thema Batterien bemühen darf. Im Jahr 2009 sind wir in das Thema Batterie eingestiegen. Nun schreiben wir das Jahr 2020. Erst jetzt geht es los. Die Erwartungshaltung war 2009 eine ganz andere. Nicht alles, was technologisch geht, muss sofort umgesetzt werden. Als Unternehmen muss man schnell und agil reagieren können, man muss vorbereitet sein, aber sich auch darüber im Klaren sein, nicht zu früh in die Investition zu gehen. Hier sehe ich ein gutes Verständnis bei Mittelständlern und bei familiengeführten Unternehmen. Man geht hier die Dinge sicherlich etwas vorsichtiger an. Daher erscheint es meines Erachtens vordergründig so, dass diesen Unternehmen fehlende Innovationskraft unterstellt wird. Blickt man jedoch hinter die Kulissen, sieht es schon ganz anders aus.
Marco Henry Neumueller: Bitte vervollständigen Sie den Satz: In einem Familienunternehmen tätig zu sein bedeutet für mich …
Martin Drasch: …in einem kunden- und mitarbeiterorientierten Umfeld tätig zu sein. Wichtig ist hierbei: unternehmerisch, verantwortungsvoll, nachhaltig und erfolgreich für das Unternehmen, für die Mitarbeiter und für mich zu handeln. Familienunternehmen sind das zentrale Nervensystem des Mittelstands. Das Wertesystem, das bei allen Familienunternehmen ein klein wenig anders aussieht und auch von jedem selbst definiert werden muss, ist die Basis. Als Manager gibt einem das enormen Gestaltungsspielraum. Auf Basis von Vertrauen kann ich somit viel gestalten, was ich in anderen Unternehmen, insbesondere in Großunternehmen mit Konzernstrukturen nicht umsetzen könnte. Das pflegen wir bei Manz. Sicherlich ist das auch ein Grund, warum die Mitarbeiter gerne bei uns arbeiten und hoch motiviert sind. Wir sind jeden Tag bestrebt, die Welt zu einem besseren Ort zu machen – zumindest dort, wo wir Einfluss nehmen können; mit unseren Projekten und den Technologien, die wir entwickeln. Beispielsweise würden wir Projekte im direkten Rüstungsumfeld kategorisch ablehnen. Das können wir glücklicherweise als Familienunternehmen selbst entscheiden. All das sind Gründe, warum ich für mich bewusst entschieden habe, in einem Familienunternehmen tätig zu sein.
Marco Henry Neumueller: Herr Drasch, ganz herzlichen Dank für dieses offene Gespräch.
Über Martin Drasch
Martin Drasch arbeitete nach erfolgreichem Abschluss seines Maschinenbau-Studiums mit dem Schwerpunkt Produktionstechnik über 15 Jahre in den Bereichen Produktion, Projektmanagement und Konstruktion für den Anlagenbauer Eisenmann SE. Seit 2012 war er dort als Vice President für den Bereich „Automotive System Technology“ verantwortlich. Ab August 2015 zeichnete er als COO der Manz AG für die Bereiche Produktion und Einkauf sowie die Geschäftsbereiche Solar, Contract Manufacturing und Service verantwortlich. Mit Wirkung zum 1. Oktober 2018 wurde er vom Aufsichtsrat zum Vorstandsvorsitzenden ernannt. Martin Drasch ist verheiratet und hat drei Kinder.
Über das Familienunternehmen Manz
Die 1987 gegründete Manz AG ist ein weltweit agierendes Hightech-Maschinenbauunternehmen. Die Geschäftsaktivitäten umfassen die Segmente Solar, Electronics, Energy Storage, Contract Manufacturing und Service.
Mit langjähriger Expertise in der Automation, Laserbearbeitung, Bildverarbeitung und Messtechnik, Nasschemie sowie Rolle-zu-Rolle-Prozessen bietet das Unternehmen Herstellern und deren Zulieferern innovative Produktionslösungen in den Bereichen Photovoltaik, Elektronik und Lithium-Ionen-Batterietechnik. Das Produktportfolio umfasst sowohl kundenspezifische Entwicklungen als auch standardisierte Einzelmaschinen und Module, die zu kompletten, individuellen Systemen verkettet werden können. Vor allem durch die frühzeitige Einbindung der Manz AG in Kundenprojekte leistet die Gesellschaft mit qualitativ hochwertigen, bedarfsorientierten Lösungen einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg der Kunden.
Neben der schlüsselfertigen Produktionslinie CIGSfab im Segment Solar legt das Unternehmen in den Segmenten Electronics und Energy Storage besonderes Augenmerk auf die Automobilindustrie. So unterstützen zum Beispiel wirtschaftliche und wettbewerbsfähige Anlagen zur Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien – von der Zelle bis zum fertigen Pack – und automatisierte Montagelinien für Zellkontaktiersysteme die Branche bei der Transformation vom klassischen zum elektrischen Antriebsstrang. Die seit 2006 in Deutschland börsennotierte Firmengruppe entwickelt und produziert in Deutschland, der Slowakei, Ungarn, Italien, Festland China und Taiwan. Vertriebs- und Service-Niederlassungen gibt es darüber hinaus in den USA und Indien. Weltweit beschäftigt die Manz AG aktuell rund 1.500 Mitarbeiter, davon rund die Hälfte in der für die Zielbranchen des Unternehmens maßgeblichen Region Asien. Der Umsatz der Manz-Gruppe betrug im Geschäftsjahr 2019 rund 264 Millionen Euro.