Lioba H. Heinzler (Supervisorin und Business Coach DGSv) ist Unternehmermentorin für Nachfolge, Führung und Businessumbau in Familienunternehmen
Marco Henry Neumueller: Liebe Frau Heinzler, in meiner persönlichen Beratungspraxis finde ich immer noch viele Patriarchen, für die der Nachfolgeautomatismus (dass logischerweise der eigene Nachwuchs das Unternehmen zu übernehmen habe) wie selbstverständlich gesetzt zu sein scheint. Wie stehen Sie dazu?
Lioba H. Heinzler: Ich erlebe, dass die überwiegende Anzahl der Abgeber Männer sind. Die Generation, die jetzt abgibt und das Unternehmen geleitet hat, hat meist noch das herkömmliche Familienmodell gelebt. Ich berate jedoch auch viele Unternehmen, in denen es eine Frau an der Spitze gibt. Dann ist die Vorstellung schnell klar, dass auch eine der Mädels nachfolgen kann. Unternehmen mit klassischen Modellen in der fünften Generation mit „Karl“ an der Spitze, können sich die „Karla“ jedoch nicht so gut vorstellen. Das ist einfach eine Frage der eigenen Vorstellung; die Tradition steht diesen „Patriarchen“ im Weg, über den Tellerrand hinaus zu denken und nochmals stärker zu schauen, wer denn eigentlich die Kompetenz dafür hat. Mit Kompetenz meine ich nicht nur allein die Ausbildung.
Marco Henry Neumueller: Wann sollte das Thema Nachfolgeplanung in einem Familienunternehmen idealerweise begonnen werden?
Lioba H. Heinzler: In den Unternehmerfamilien hat man ja stets ein Kuckuckskind mit am Tisch; will heißen, das Unternehmen ist einfach allgegenwärtig. Dies bedeutet aber auch, dass Kinder aus Unternehmerfamilie von klein auf alles mitbekommen, all die Themen rund um das Unternehmen. Vor dem Hintergrund ist das Thema dann nicht irgendetwas, was plötzlich mal auf der Tagesordnung steht, sondern etwas, das omnipräsent ist.
Es gibt Untersuchungen, dass bis zum Alter von 60 das Investitionsvolumens eines Firmeninhabers hoch ist. Ab da scheint es ein „inneres Barometer“ zu geben, dass die Investitionsbereitschaft abschwächt. Ich halte es für klug, davor zu überlegen, wie es dann weitergehen soll. 57 oder 58 ist eine wunderbare Zeit, in der der Senior/die Seniorin überlegen kann und sollte, wie es nach ihm/ihr weitergehen soll. Denn eine Unternehmensnachfolge braucht nach Lehrbuch drei bis fünf Jahre. Die Vertragsverhandlung, die meist nur sechs bis zwölf Monate Zeit in Anspruch nimmt, ist ja nicht das eigentliche Thema, sondern als Übergeber muss ich jemanden finden und installieren, mit dem es dann auch passt. Derjenige oder diejenige muss sich gut in der Firma etablieren und es müssen alle finanziellen, steuerlichen und vertraglichen Themen geklärt werden, die in der Regel doch einen ordentlichen Vorlauf brauchen.
Es gibt ein paar Stolpersteine bei der Unternehmensnachfolge: Es ist ein strategisches und komplexes Thema, das außerhalb des gewöhnlichen Arbeitsalltags ansteht. Außerdem muss der Senior, der ja den Startschuss dafür gibt, sich dem Ende seiner unternehmerischen Laufbahn stellen. Das sind die Gründe, warum das Thema gerne geschoben wird. Es braucht eine klare Entscheidung, mit diesem Prozess zu starten und dafür auch einen Prozess-Experten ins Boot zu holen. Steuerberater und Anwälte sind Fach-Experten, die in den Tiefen ihres Fachs zu Hause sind. Als ausgebildete Supervisorin und Business Coach DGSv (Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching e.V.) moderiere ich genau diese Prozesse und habe dabei die Betroffenen und Beteiligten im System „Unternehmen“ und „Familie“ im Blick. Auch Umfragen zeigen: Die eigentliche Herausforderung bei der Unternehmensnachfolge sind die emotionalen Faktoren: beim Abgebenden, beim Übernehmenden, in der Familie.
Marco Henry Neumueller: PwC hat ca. 300 Entscheider in Familienunternehmen zum Thema „Beteiligung von Private Equity in Familienunternehmen“ befragt. 2007 konnten sich dies 18% der befragten Manager vorstellen. 2017 waren es schon 83%. Hängt dies Ihrer Einschätzung nach auch damit zusammen, dass man keinen Nachfolger in den eigenen Reihen findet?
Lioba H. Heinzler: Ich glaube, es sind verschiedene Gründe. Es gibt ja durchaus die Unternehmer, die mit 55 weitsichtig genug sind und anfangen darüber nachzudenken, wie es nach ihnen weitergehen könnte. Sie übergeben ihren Junioren Projekte, schicken sie in die Welt hinaus, damit sie selbst entscheiden können, was ihnen gefällt. Auf der anderen Seite stehen die, die mit 72 oder 78 immer noch denken, sei seien die einzigen, die dieses Unternehmen retten könnten. Wenn wir über die Abgeber-Generation zwischen 55 und 70 Jahren sprechen, ist das ganz klar die Babyboomer-Nachkriegsgeneration, also die Tatkräftigen, die auch wenig Rücksicht auf sich selbst nahmen und sehr oft über ihre eigenen Grenzen hinaus gegangen sind. Während eben jetzt die Generation kommt, die manches anders sieht.
Die Generation nach dem Krieg hat vieles allein geschafft und sich durchgeboxt, so nach dem Motto, ich schaffe das, ich arbeite hart und verlasse mich am besten auf mich selbst. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Mittelständler noch nie eine Beratung im Haus hatten, außer vielleicht den Steuerberater. Man bleibt unter sich, es findet wenig intensiver Austausch mit Dritten statt. Das erinnert mich oft an eine Thermoskanne: im Inneren ist es schön warm und man wärmt sich gegenseitig. Aber mit der Welt draußen, mit der Entwicklung im Umfeld haben sie ausgenommen der obligatorischen Netzwerktreffen oder Kundengespräche oft recht wenig zu tun. Diese Generation schottet sich oft stark ab, zeigt wenig Gefühle, man bleibt unter sich.
Das verändert sich nun so langsam, was auch gut so ist. Veränderung geschieht auch dadurch, dass die nachwachsende Generation heute sehr viel besser ausgebildet ist. Ganz viele haben studiert, waren eine Zeit im Ausland, haben schon in anderen Unternehmen gearbeitet und bringen dann neue Eindrücke und Erfahrung mit ins eigene Unternehmen.
Und nach wie vor gibt es aber auch die, die nie etwas anderes gesehen haben als Papas Firma. Das finde ich es besonders schwierig, denn wie sollen diese Nachfolger und Nachfolgerinnen eigene Maßstäbe setzen, wenn sie sich seither nur in Papas Firma damit arrangieren mussten, was der Vater vorgegeben hat. Wenn ich ein Unternehmen führe, brauche ich ein eigenes, unabhängiges Standing, muss eine Vorstellung davon entwickeln, wohin die Reise gehen soll und muss Menschen auf diese Reise mitnehmen können. Das ist dann eine ziemliche Herausforderung, wenn diese Nachfolgenden keine Erfahrungen unabhängig vom System der Unternehmerfamilie und des Familienunternehmens sammeln konnten. Und dazu verändert die Geschäftswelt sich rasant. In diesen Konstellationen rate ich jedem Nachfolger, jeder Nachfolgerin, sehr schnell nach Übernahme der Leitung ein Coaching zu nehmen oder eine Mastermind-Gruppe zu suchen, damit der Blick von außen hilft, den eigenen Weg souverän zu gehen. In solch einer Mastermind-Gruppe besprechen Gleichgesinnte mit ähnlichen Interessen und Positionen ihre Herausforderungen.
Ein anderer Aspekt ist, dass wenn jetzt die Baby-Boomer Generation abgibt, es eben die Generation Y ist, die Verantwortung übernimmt. Wir haben in Deutschland jedoch nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern auch einen Nachfolgemangel. Die nachfolgende Generation ist schon zahlenmäßig geringer und hat deutlich mehr Möglichkeiten, sich beruflich anders zu engagieren als das Familienunternehmen weiterzuführen. In meiner Generation hatte das, was meine Eltern sagten, noch ein deutlich anderes Gewicht. Da hat sich etwas verändert. Ich merke immer wieder, dass Vertreter/innen der Generation Y beispielsweise eine andere Vorstellung hat, was die Verbindung zwischen Arbeit und Leben betrifft, wenn man dies mit der Babyboomer-Generation vergleicht.
Marco Henry Neumueller: Wenn wir an das Beispiel Trumpf denken, hat Berthold Leibinger nicht seinem Sohn Peter, sondern seiner Tochter Nicola den CEO-Posten gegeben. Sehen Sie zunehmend mehr Nachfolgerinnen in Deutschland?
Lioba H. Heinzler: Bei mir landen sicherlich überdurchschnittlich viele Frauenunternehmen, da sich Frauen oft auch eine Beraterin suchen. Wenn ich meine subjektive Erfahrung mit Zahlen abgleiche, dann heißt das, dass wir in Deutschland jetzt bei 10% Frauenanteil in der Leitung sind. Dies wurde erst jüngst in der Studie der AllBright Stiftung veröffentlicht. Aber die Zahlen machen Hoffnung: Immerhin waren 22% der Neubesetzungen in Familienunternehmen im Zeitraum zwischen März 2019 und März 2020 weiblich. Es scheint also einen Minitrend zu geben, jedoch wünsche ich mir den Trend zur Hälfte.
Ich beteilige mich jährlich am Online-Aktionstag zum Thema „Unternehmensnachfolge durch Frauen“ und spreche mit Expertinnen zu diesem Thema oder führe mit Betroffenen Interviews, bei denen die Nachfolge gelungen oder nicht gelungen ist. Das Interesse ist immer sehr groß. Einmal sagte eine Tochter einer Unternehmerfamilie, dass sie als erstgeborene Tochter eine Top-Ausbildung habe. Wenn aber bei der Erbfolge nur die männlichen Nachkommen zählen, wird es schlimm. Hier kann man die Verletzungen innerhalb der Familie erahnen. Frauen wachsen heute mit allen Möglichkeiten dieser Welt auf und kommen dann an einen Punkt, an dem dann der vielleicht weniger kompetente oder weniger engagierte Sohn aus Gründen der Tradition das Unternehmen führen soll.
Frau Leibinger-Kammüller, um bei Ihrem Beispiel zu bleiben, ist ja eine promovierte Geisteswissenschaftlerin und als solche geht sie Themen anders an als in der Wirtschaft üblich. In Unternehmen wird zu häufig das gewählt, was man kennt, also der Ingenieur wählt gerne den Ingenieur, der BWLer wählt gerne den BWLer. Dies machen Menschen deswegen, weil ihnen das Vertraute Sicherheit gibt. Oft wählt übrigens aus demselben Grund ein Mann einen anderen Mann. Wir neigen dazu, das zu suchen, was wir kennen und übersehen, dass es eben vielfältige Wege zum Erfolg gibt. Und Frau Dr. Leibinger-Kammüller ist ja ein überzeugendes Beispiel dafür, dass eine Frau und Geisteswissenschaftlerin eine sehr erfolgreiche Unternehmensleiterin sein kann. Ihr Vater scheint ein kluger Mann gewesen zu sein, mutig die ältere Tochter zu wählen. Und sie scheinen eine starke Unternehmerfamilie zu sein, denn auch ihr Bruder ist mit in der Geschäftsführung tätig. Doch es ist eben immer noch nicht selbstverständlich. Ich erlebe im Alltag immer wieder eine Denkweise, die die Studie der AllBright-Stiftung zusammenfasst mit: Traditionsreich und Frauenarm.
Marco Henry Neumueller: Kann man seine Kinder zu einer/m idealen Nachfolger/in erziehen? Wie sieht die „perfekte“ Erziehung in einer Unternehmerfamilie aus?
Lioba H. Heinzler: Sie und ich kennen ja Beispiele, in denen Kinder „herangezüchtet“ wurden und die Ausrichtung sehr eng war. Also die Liebe einer Familie und die Besetzung der Geschäftsführerposition oder der Nachfolgerposition sehr eng miteinander gekoppelt waren. Sprich, machst Du diesen Job nicht, liebe ich Dich nicht mehr. Dies sind ganz unglückliche Verquickungen, die erstens nichts mit Liebe zu tun haben und den Beteiligten alles andere als guttun.
Neben den extremen Varianten gibt es davon auch unterschiedliche Abstufungen. Also Eltern, die Aussagen in zwei Richtungen machen „Geh Deinen Weg, der Dich glücklich macht“ und gleichzeitig „Dein Glück liegt in der Firma.“ Dazu kommt, dass es in Familien immer auch Subtiles und Unausgesprochenes gibt. Diese vielfältigen Botschaften verwirren die Kinder und es ist nicht einfach, in dieser Verbindung die eigenen Entscheidungen zu treffen.
Ich selbst bin sehr davon überzeugt, dass Menschen dann am besten in etwas sind, wenn sie wirklich das tun können, was zum einen ihren Begabungen und Talenten entspricht – was aber nur der kleinere Teil ist – und insbesondere ihren Vorstellungen, wie sie ihr Leben gestalten wollen.
Ich finde, an diesem Punkt sollte es eher darum gehen, munteren, wachen, aufgeweckten, neugierigen Kindern einen Rahmen zu geben, dass sie diese Welt erobern können und ihnen die entsprechende Unterstützung zuteil wird, so dass sie das leben können, was ihnen wichtig ist. In diesem Zuge kann man ihnen anbieten, sich auch im eigenen Unternehmen zu verwirklichen und zu entfalten. Alles was mit Zwang geschieht und Druck geschieht, tut dem Unternehmen UND den Menschen nicht gut.
Marco Henry Neumueller: Was fasziniert Sie an Familienunternehmen und woher kommt diese Leidenschaft?
Lioba H. Heinzler: Meine Großmutter mütterlicherseits war Bäuerin. Sie war nicht die Frau des Bauers, sondern die Nachfolgerin auf einem kleinen Hof im Süden Deutschlands. Ich habe von Kindesbeinen an die starke Identifikation mit der eigenen Arbeit mitbekommen und auch wie eine Familie zusammensteht und zusammen arbeitet. Ich fand zugegebenermaßen das mit dem Bauernhof nie so wirklich spannend. Es war eine Arbeit, die ich als Kind nicht mochte. Aber dieses miteinander eine Arbeit erledigen und am Ende das gemeinsame Ergebnis zu sehen, ist etwas, was mich immer sehr geprägt hat. Auf dieser Grundlage reifte bei mir früh das Interesse, mich mit den Bedingungen für erfüllende und beglückende Zusammenarbeit zu beschäftigen. Das ist der rote Faden durch mein Berufsleben.
Um dies auch theoretisch immer besser zu durchdringen, habe ich mich immer intensiv weitergebildet und bin seit über 20 Jahren als Supervisorin und Business Coach DGSv tätig. Ich begleite Unternehmer*innen, Führungskräfte und Teams, Veränderungen professionell zu meistern und ihre Arbeit so stressarm wie möglich, produktiv und zielgerichtet zu erledigen. Und da die Unternehmensnachfolge einer der größten Veränderungsprozesse in einem Unternehmen ist und die meisten Unternehmen familiengeführt sind, hat sich mein Tätigkeitsfeld immer mehr auf diesen Bereich fokussiert.
Ich bin der festen Überzeugung und erlebe es immer wieder, dass Unternehmerfamilien starke Familien sind, die auch bei der komplexen Herausforderung des Generationswechsels miteinander gute und nachhaltige Lösungen für das Unternehmen finden. Um bunte und lebendige Workshops mit der Dynamik einer gesamten Familie zu moderieren, habe ich viel bei einer längerfristigen Weiterbildung bei Professor Arist v. Schlippe gelernt. Es geht ja in Unternehmerfamilien immer wieder um die völlig berechtigten Anliegen des Einzelnen, die Erfordernisse des Unternehmens und um Familiengefüge und -zusammenhalt.
Mich faszinieren diese starken Familienbande, die es möglich machen sich intensiv auseinander zu setzen, um die beste Lösung zu finden. Und sich dann wieder eng zusammen zu setzen und zu genießen, was man aneinander hat und zu spüren, dass man einfach zusammengehört.
Marco Henry Neumueller: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Über Lioba H. Heinzler
Lioba Heinzler moderiert den Prozess der Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen und bildet Zukunftsunternehmer*innen aus.
Als ausgebildete Supervisorin und Business Coach DGSv (Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching e.V.). geht es ihr seit über 20 Jahre bei ihrer Arbeit darum, Klarheit zu schaffen, Perspektiven zu eröffnen, Impulse zu geben. Mit Spaß an der Herausforderung setzt sie auf die Stärken der Menschen. Als „Möglichmacherin“ erkennt sie in Veränderungen und Krisen die Chancen, Alternativen zu finden und so neue Wege zu gehen. Sie unterstützt Unternehmer, Selbstständige und Nachfolger und ganze Unternehmerfamilien tragfähige Entscheidungen zu treffen und die nötigen Veränderungen fokussiert und aktiv zu gestalten.
Bildquelle: Lioba Heinzler