Dr. Helmut Preßl, CFO der KARL MAYER Gruppe in Obertshausen
Marco Henry Neumueller: Lieber Herr Preßl, Sie waren vor Ihrem Wechsel ins Familienunternehmen KARL MAYER im Februar 2009 vornehmlich in Publikumsgesellschaften – teilweise ausländischen – angestellt. Wie groß war der Schockmoment, als Sie in ein typisches deutsches Familienunternehmen wechselten?
Helmut Preßl: Es war definitiv ein „positiver“ Schock; insbesondere, als ich gemerkt hatte, dass dieses Familienunternehmen sehr langfristig orientiert ist, was das Thema Kundennutzen betrifft. Kundennutzen kann man aus meiner Sicht nur stiften, wenn man langfristig orientierte Roadmaps erstellen kann. In anders geführten Unternehmen ist häufig der kurzfristige Erfolg wichtiger. Man denke nur aktiengeführte Unternehmen, wie wichtig da Quartalserfolge sind. Das spielt bei KARL MAYER keine entscheidende Rolle. Der Fokus liegt immer auf der Frage, welche Marktanteile wir haben und damit letztlich darauf, wieviel Kundennutzen wir stiften. Hinzu kam, zu sehen, dass das Unternehmen mit einer sehr guten Eigenkapitalstruktur ausgestattet ist; auch das hatte ich schon anders kennengelernt. Diese Tatsache hat mich in die Lage versetzt, Themen auch wirklich langfristig durchzusetzen. Aus den vorgenannten Gründen war es eine positive Erkenntnis – verbunden mit sehr viele Freude – ins Familienunternehmen zu wechseln, nachdem ich auch davor umfangreiche Erfahrungen in der Corporate-Welt gesammelt hatte und auch bei einem Private Equity-geführten Unternehmen.
Marco Henry Neumueller: Welche Eigenschaften benötigt Ihrer Meinung nach ein familienexterner Manager auf C-Level in einem Familienunternehmen um erfolgreich zu sein?
Helmut Preßl: Ich denke, dass das Aufnehmen des „Genmaterials“ des Unternehmens eine entscheidende Rolle spielt. Das war bei KARL MAYER der Fall. Ich habe von Beginn an versucht, mich auf das Thema einzulassen und auf das, was Karl Mayer erfolgreich gemacht hat. Das geht mit einem tiefen Verständnis der Geschichte einher. Es sind Fragen, wie, was hat der Firmengründer gemacht, wo kam er her, was hat ihn erfolgreich gemacht, mit welchen Partnern hat er gearbeitet, wie ist er international geworden, wie hat sich die Familie mit dem Unternehmen identifiziert, was waren deren Erfolgsfaktoren. Wenn man sich in all das einfühlt und damit intrinsisch eine richtige Konnektivität herbeiführt, dann ist das meines Erachtens die entscheidende Grundlage. Man muss sich mit dem Unternehmen und seiner Historie identifizieren können.
„Ich denke, dass das Aufnehmen des „Genmaterials“ des Unternehmens eine entscheidende Rolle spielt.“
Dr. Helmut Preßl, CFO der KARL MAYER Holding GmbH & Co. KG
Ich persönlich bin sehr stolz, bei KARL MAYER zu arbeiten. Diesen Innovationsgeist, den das Unternehmen hatte, spüre ich auch heute noch. Man spürt es aber auch bei den Nachkommen, mit welchem Stolz an der Technik gearbeitet wurde, man die Kunden immer wieder mit Innovationen beglücken konnte und welche Verliebtheit ins Detail – auch technologisch – vorherrscht. Das ist ein zweites Attribut: das Kennenlernen der Erfolgsfaktoren ist ein ganz wesentlicher Part, aber auch eine gewisse Liebe zum Detail. Das Denken und Handeln im Gesamtzusammenhang ist entscheidend, also die Bereitschaft, Gesamtzusammenhänge zu verstehen aber auch ins Detail abzutauchen. Ganz konkret heißt das, sich relativ stark mit dem Kundennutzen zu beschäftigen; im Vertrieb anzufangen, sich die Erfolgsfaktoren anzuschauen, sich in die Technologie einzuarbeiten und dann vor allem mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ein unfassbares Know-how auf dem technologischen Sektor haben, immer wieder das Gespräch zu suchen.
Der dritte Faktor ist die Fähigkeit, sich für das zu begeistern, was man tut. Und das fällt bei KARL MAYER dann umso leichter, wenn man sehr stark international interessiert ist. KARL MAYER hat mit einem Auslandsumsatzanteil von 90% gleichzeitig auch einen hohen Wertschöpfungsanteil im Ausland. Ich arbeite mit Japanern, Chinesen, Amerikanern und Europäern zusammen. Die Probleme, die oft in der internationalen Politik zu sehen sind, gibt es bei KARL MAYER schlichtweg nicht. Hier unterstützen sich alle Nationen gegenseitig, man ist eine große Familie.
Marco Henry Neumueller: Welche Rolle spielt die Unternehmerfamilie bei KARL MAYER heute noch und wie operativ nehmen Sie sie wahr?
Helmut Preßl: Die Familie spielt eine entscheidende Rolle im Sinne des Backings, der Kultur, die über die Jahrzehnte entstanden ist, und im Sinne der DNA. Ich hatte das große Glück, dass ich viele Jahre noch mit Fritz P. Mayer zusammenabreiten konnte, der das Unternehmen mit entscheidend in China geprägt hat. In dieser Zeit konnte ich viel lernen. Er hat mir stets vermittelt, dass Sachziele entscheidend sind und nicht die formellen Ziele wie Renditen usw.
„Die Familie gibt Rückhalt, sie gibt uns aber auch Möglichkeiten – insbesondere bei einer hohen Eigenkapitalquote und einer sehr bescheidenen Dividendenausschüttungspolitik.“
Dr. Helmut Preßl, CFO der KARL MAYER Holding GmbH & Co. KG
Die Familie gibt Rückhalt, sie gibt uns aber auch Möglichkeiten – insbesondere bei einer hohen Eigenkapitalquote und einer sehr bescheidenen Dividendenausschüttungspolitik. So können wir diese Orientierung auch in Krisenzeiten durchhalten. Die Einstellung der Familie hat uns gerade in der Pandemie die Möglichkeit gegeben, dass wir weiter an der Strategie festhalten konnten; also am Innovationsstreben, an der Qualitätsorientierung und an exzellenter Kundenorientierung. Dies verdeutlicht, welche Rolle die Familie auch heute noch spielt.
Weiterhin erlebe ich die Familie als sehr professionell – wenn man das als familienexterner Geschäftsführer so sagen darf. Seit dem Moment, als der familieninterne Geschäftsführer aus der operativen Führung ausschied und in ein Beiratsmandat wechselte, hat sich die Familie stark auf das Sparring fokussiert. Mein Kollege, der CEO, und ich als CFO haben große Handlungsfreiheit. Wir haben ein paar Rahmenbedingungen, die sehr gut nachvollziehbar sind und innerhalb dieser sind wir frei in unseren Entscheidungen und können auch die Geschäfte völlig frei führen. Das haben wir uns sicherlich in gewissem Maße auch erarbeitet. Natürlich wissen wir, dass es immer gut ist, wenn man die Kontakte zur Familie pflegt, d.h. wir schreiben monatlich einen umfangreichen Bericht über die Märkte, über die Innovationen, auch über die aktuellen Zahlen; das wird sehr geschätzt. Im Beirat selbst sitzen neben fünf CEOs aus verschiedenen Unternehmen, ein Vertreter der zweiten Generation und ein Familienvertreter der dritten Generation. In diesen Beiratssitzungen führen wir vier Mal pro Jahr einen sehr intensiven Dialog. Hinzu kommen noch zwei Gesellschafterinformationsrunden pro Jahr, an denen dann auch alle Familienmitglieder teilnehmen und sich informieren lassen.
Marco Henry Neumueller: Mit der Übernahme der H. Stoll AG in diesem Jahr haben Sie etwa 30% Ihres bisherigen Umsatzes zugekauft und blicken einer dreiviertel Milliarde entgegen. Was steckt hinter dem Kauf – noch dazu mitten in der Coronakrise?
Helmut Preßl: Wir hatten das Vorhaben, „STOLL“ zu akquirieren, schon längere Zeit im Kopf, da wir wussten, dass hier eine Opportunität entstehen kann. Hierbei war es sicherlich hilfreich, dass die zwei Unternehmenslenker Fritz P. Mayer und Heinz-Peter Stoll sich schon längere Zeit kannten. Ganz so schnell ging es dann doch nicht, da bei STOLL auch noch Minderheitseigentümer im Unternehmen waren, die zunächst gänzlich vom Verkauf überzeugt werden mussten. Als dann die Formalitäten geregelt waren, traf uns die Corona Pandemie. Ein großer Vorteil bei KARL MAYER war hierbei sicherlich die langfristige strategische Ausrichtung des Unternehmens. So hat man auch in so einer Zeit die finanziellen Mittel, im Sinne der Unternehmensstrategie handeln zu können. Wachstum ist integraler Bestandteil bei KARL MAYER – gerade im textilen Umfeld. Insofern passte die Akquisition von STOLL gut, zumal es additives Geschäft war – neben der Wirkerei, der Kettvorbereitung und den technischen Textilien sowie den Softwareprodukten über KM.ON war nun auch der richtige Zeitpunkt gekommen, um in den Flachstrickbereich einzusteigen. So konnten wir trotz Corona an diesem Ziel festhalten. So werden wir bei KARL MAYER zum Gesamtlösungsanbieter.
Marco Henry Neumueller: Welche Entwicklung ist für die nächsten Jahre geplant, sofern man derzeit überhaupt eine verlässliche Prognose abgeben kann?
Helmut Preßl: Ich gehe davon aus, dass wir die Integration von STOLL auf jeden Fall in den nächsten Jahren massiv vorantreiben werden. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass wir derzeit sehr erfolgreich sind und die Krise sogar dahingehend nutzen konnten. Wir haben das Thema Integration in China vorangetrieben. Die Produktion und den Prototypenbau von STOLL, der in der Nähe von Shanghai war, haben wir in Rekordzeit von nur wenigen Wochen in unsere KARL MAYER Changzhou-Fabrik integriert. Mit einem entsprechenden Footprint in China können wir nun auch unsere Wirkerei- und Kettvorbereitungsprodukte anbieten. Mit einer low-cost Version von Flachstrichmaschinen können wir auch gegenüber der chinesischen Konkurrenz punkten.
Weiterhin werden wir die aktuelle Situation für Integrationsprojekte auf der ganzen Welt nutzen. Es steht eine umfangreiche ERP-System-Integration an, wir werden die Berichtslandschaft harmonisieren und letztlich werden wir Services und Sales gemeinsam ausbauen und insbesondere das Thema Digitalisierung nach vorne bringen. Hier haben wir mit KM-ON sehr erfolgreich vor zwei Jahren mit der Eröffnung der digitalen Fabrik gestartet. STOLL war auf Grund der Individualisierung bereits recht weit mit der Digitalisierung, die bei der Flachstricktechnologie besonders im Fokus steht. Nun können wir die Kompetenzen von beiden Unternehmen nutzen und mit diesen Kenntnissen die digitale Transformation bei KARL MAYER beschleunigen.
„In den traditionellen Geschäftsbereichen von KARL MAYER sind wir bereits Weltmarktführer. STOLL ist in einem Tête-à-Tête-Rennen mit dem Wettbewerber Shima Seiki Japan.“
Dr. Helmut Preßl, CFO der KARL MAYER Holding GmbH & Co. KG
In den traditionellen Geschäftsbereichen von KARL MAYER sind wir bereits Weltmarktführer. STOLL ist in einem Tête-à-Tête-Rennen mit dem Wettbewerber Shima Seiki Japan. Nun gilt es, dass wir die Marktführerschaft stabilisieren und gegenüber dem Wettbewerb weiter ausbauen. Hierfür hilft uns sicherlich jetzt die Umsetzung der Zwei-Produktlinien-Strategie. Das hat KARL MAYER sehr erfolgreich in China mit Midrange-Produkten gezeigt; dies wird nun auch bei STOLL forciert. Der Prototypenbau hat bereits in der chinesischen Fabrik begonnen. All diese Maßnahmen werden helfen, die Marktanteile weiter auszubauen, was dann mit Zunahme des Umsatzes und eines hoffentlich positiven Ergebnisses einhergehen wird.
Trotz der aktuellen Krisensituation halten wir an unserer Strategie fest und forcieren Innovationsprojekte. Auch sind wir weiterhin offen für Wachstumsmöglichkeiten über das große Thema STOLL hinaus, d.h. das Akquisitionsradar wird eher ausgeweitet.
Marco Henry Neumueller: Sie sind nun bald 12 Jahre bei KARL MAYER. An welches Ereignis in dieser Zeit erinnern Sie sich besonders gerne?
Helmut Preßl: Spontan fallen mir zwei Highlights ein. Einmal das 75-jährige Bestehen von KARL MAYER und das 80-jährige. Highlights deswegen, da das eigentlich DER Moment ist, an dem man sich nochmals der gesamten Erfolgsgeschichte des Unternehmens bewusst wird – und dann freut man sich, dass man mit seinen 11 Jahren Zugehörigkeit auch einen kleinen Beitrag leisten durfte. Bei diesen Anlässen ist es auch immer so, dass ein sogenanntes Inselfest stattfindet. Man lädt hierzu Partner und Kunden ein, auch die Familie ist dann dabei, so dass die Geschäftsführung diesen Event gemeinsam mit allen feiert. Bei dieser Gelegenheit hat die Geschäftsführung die Möglichkeit, die Geschichte zu reflektieren und die Highlights zu zeigen. Einen Tag vor diesem Event gibt es eine sogenannte „Open House Show“, bei der wir einer breiten Masse Innovationen zeigen, aber auch die Erprobung mal geöffnet haben. Dies hat dazu geführt, dass eigentlich immer mehrere Tausend Besucher kamen – das war ein voller Erfolg für uns. Daran erinnere ich mich sehr gerne.
Ein weiteres Highlight ist die Tatsache, dass wir immer auf Innovationen setzen. Dies tun wir auch antizyklisch, selbst dann, wenn sich Anzeichen von Krisensituationen zeigen. So haben wir für 20 Millionen Euro eine neue Montagehalle gebaut, für 9 Millionen Euro die Antriebstechnik renoviert, ein neues Ausbildungszentrum gebaut, die Akademie erneuert und letztlich den Bau des neuen Verwaltungsgebäudes und der Kantine nahezu finalisiert. Das ist ein klares Bekenntnis zum Standort Deutschland und zur weiteren Entwicklung von KARL MAYER.
Marco Henry Neumueller: Bitte vervollständigen Sie den Satz: In einem Familienunternehmen tätig zu sein bedeutet für mich …
Helmut Preßl: …jeden Tag an der Optimierung des Kundennutzens zu arbeiten.
Marco Henry Neumueller: Herr Preßl, ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses Gespräch.
Über Dr. Helmut Preßl
Helmut Pressl, Jg. 1963, ist seit ca 11 Jahren CFO bei KARL MAYER. Vorher war er 4 Jahre CFO bei Dematic und führte den carve out des ehemaligen Siemens Geschäftsgebietes in ein Private Equity geführtes Mittelstandsunternehmen durch. Vorher war er viele Jahre CFO bei Electronic Assembly Systems im Siemens Konzern. Er ist promovierter Betriebswirt und studierte an der Friedrich-Alexander Universität in Erlangen/Nürnberg. Er ist verheiratet und wohnt in Neu-Isenburg.
Über das Familienunternehmen KARL MAYER
KARL MAYER ist ein innovativer Marktführer und Impulsgeber im Textilmaschinenbau. Der Hersteller bietet Lösungen für die beiden wichtigsten Maschenbildungsverfahren, Wirken und Stricken, sowie für die Bereiche Technische Textilien, Kettvorbereitung Weberei und Digitalisierung.
Die digitalen Lösungen werden unter der Marke KM.ON, das Produktportfolio für die Strickerei unter der Marke STOLL angeboten.
Für die Erfolge seiner internationalen Kunden sorgt KARL MAYER mit ökonomisch und technisch besten Produkten und Dienstleistungen sowie mit Innovationen, die die textile Welt bewegen.
Das Unternehmen beschäftigt mehr als 3.300 Mitarbeiter. Mit seiner internationalen Organisation und dem Anspruch in seinen Hauptmärkten zu produzieren, agiert KARL MAYER nahe an den Kunden und deren Bedürfnissen. Heute hat das Unternehmen Niederlassungen in den USA, England, Indien, Italien, Hongkong, Japan, China, Bangladesch und der Schweiz sowie Vertretungen in allen Teilen der Welt.
Das deutsche Familienunternehmen setzt seit seiner Gründung 1937 auf finanzielle Unabhängigkeit und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Als dauerhafter, verlässlicher Partner mit jahrzehntelanger Erfahrung und hohem Qualitätsniveau in allen Bereichen unterstützt KARL MAYER die Wettbewerbsfähigkeit seiner Kunden und Geschäftspartner.