Ralph Winterhalter ist geschäftsführender Gesellschafter der Winterhalter Gastronom GmbH.
Marco Henry Neumueller: Lieber Herr Winterhalter, das Familienunternehmen Winterhalter feiert 2022 seinen 75. Geburtstag. Wo liegen die Anfänge von Winterhalter?
Ralph Winterhalter: Die Anfänge liegen ganz woanders. Zum Spülen sind wir durch einen Zufall gekommen. Mein Großvater war Flugzeugingenieur und leitete die Elektroabteilung bei Dornier. Es existiert sogar noch ein Patent von ihm. Er hat den Vorgänger des heutigen Kabelbinders erfunden. Damit konnten die Montagezeiten drastisch reduziert werden. Als 1944 Friedrichshafen in Schutt und Asche gelegt wurde, fiel sein Arbeitsplatz von heute auf Morgen weg. Er stellte sich die Frage, wie er nun seine vierköpfige Familie in dieser schwierigen Zeit durchbringen kann. Eine Eigenschaft von ihm, die auch wir uns bewahrt haben, war, die Dinge durch die Augen des Kunden zu sehen. Als er durch das kriegszerstörte Friedrichshafen lief, kamen ihm verschiedene Ideen. Es gab nichts. Kein Wasser. Kein Strom. Kein Licht. Als er die zum damaligen Zeitpunkt noch in Unmengen vorhandenen Gasmaskenfilter fand, war die erste Produktidee geboren. Er nahm diese Gasmaskenfilter und lötete quasi eine Lampe und einen Docht darauf. Fertig war sein erstes Produkt. Eine Petroleumlampe, da die Menschen kein Licht hatten. Mit dieser Eigenschaft, Dinge durch die Augen des Kunden zu sehen, kam weitere Produkte hinzu. Sicherlich hätte man in dieser Situation auch verzweifeln können, aber sein Antrieb blieb ihm erhalten. Chancen suchen und sie zu ergreifen, das zeichnete ihn aus. Mit diesen Produktideen gründete er seine Firma in seiner Garage; heute würde man vermutlich von einem Start-up sprechen. Es kamen weitere Produkte hinzu. Ein Toaster, eine Fritteuse, ein kleiner Backofen und ein Klimagerät.
Um die Familie über Wasser zu halten hatte er mehrere Jobs parallel. So war er Teilzeit-Hausmeister in einem Hotel in Friedrichshafen und dort zuständig für die Reparaturen von Geräten. Irgendwann erinnere er sich an die Aussage einer Dame aus der Spülküche, die ihm erzählte, wie sehr es doch ihr Leben leichter machen würde, wenn eine Art Spülmaschine gäbe, die getrockneten Spinat von den Tellern lösen könnte. Als er sich später an diese Aussage erinnerte, war sein Ehrgeiz entfacht. Mein Vater erzählte mir, wie er als kleines Kind zusammen mit seiner Schwester Hunderte von Tellern mit Spinat einkleisterte und in der Sonne trocknen ließ. Mein Großvater entwickelte einen ersten Prototyp und irgendwann schaffte er es tatsächlich eine Maschine zu bauen, die den trockenen Spinat von den Tellern lösen konnte. Der erste Prototyp war geboren. Allerdings fragte er sich, ob es dafür auch einen Markt gab. Heute würde man vermutlich ein Marktforschungsinstitut beauftragen. Zum damaligen Zeitpunkt gab es so etwas noch nicht. Jedenfalls hätte dafür auch das Geld gefehlt. So führte er seine ganz eigene Marktforschung durch. Seit einige Jahr war er damals regelmäßig bei einer Haushaltswarenmesse, auf der seine Produkte ausstellte. Er schaltete im Vorfeld eine Werbeanzeige, die da lautete: „Schrankfertiges Geschirr in 120 Sekunden mit der schnellsten gewerblichen Spülmaschine, die man in Deutschland kaufen kann“. Dies wurde die erfolgreichste Messe überhaupt. Aber nicht, weil die Leute seine anderen Produkte sehen wollten. Sie kamen, um sich die Spülmaschine anzusehen. Nun hatte er lediglich einen Prototyp in Meckenbeuren. So musste er sich mit einer kleinen Nothilfe behelfen. Die Spedition habe einen Unfall gehabt, aber im nächsten Jahr würde er die Spülmaschine dann zeigen können. Innerhalb dieses Jahres entwickelte er die Maschine zur Serienreife. Das war der Wendepunkt vom Generalisten zum Spezialisten. Ab diesem Zeitpunkt warf er alles andere über Bord und konzentrierte sich fortan auf das gewerbliche Spülen.
Indem er die Dinge durch die Augen des Kunden sah, war ihm vollkommen klar, dass die Menschen eigentlich gar keine Spülmaschine kaufen wollen, sondern sich lediglich ein sauberes Glas oder einen sauberen Teller, also ein Spülergebnis wünschen. Er war Mitte der 1950er Jahre damit der erste, der den gesamten Baukasten anbot, was man benötigt, um ein sauberes Glas zu bekommen: Von der Wasseraufbereitung, über die Reinigungschemie bis hin zum Spülkorb. Nach und nach baute er auch einen eigenen Service auf. Nun könnte man behaupten, dass das alles komplex genug war. Aber mein Großvater ruhte sich darauf nicht aus. Hier kommt nun unser sogenannter dritter DNA-Strang zum Tragen, dass wir davon überzeugt sind, dass wir an jedem Produkt und an jedem System stetig etwas verbessern können. Dies ist letztlich auch der Grund dafür, warum wir kontinuierlich an diesem Baukasten weiter gearbeitet haben. Was am Anfang noch Handelsware war, dafür haben wir heute eine eigene Entwicklung. Wir produzierenden die Wasseraufbereitung teilweise im Haus; das Reinigungsmittel und den Klarspüler entwickeln wir selbst. Wir verfügen sogar über ein komplexes Entwicklungssystem, mit dem wir die weltweiten realen Umgebungsbedingungen nachbilden können. So sind wir vom Generalisten zum Spezialisten geworden.
Marco Henry Neumueller: Winterhalter ist einer der Hidden Champions im Bereich des gewerblichen Spülens. Wodurch unterscheiden Sie sich von Ihren Mitbewerbern?
Ralph Winterhalter: Durch unsere tiefe Entwicklungskompetenz. Wie eben schon erwähnt, haben wir unseren Baukasten selbst entwickelt. Gepaart mit unserer Unabhängigkeit könnte man uns fast schon als Exot in der Branche bezeichnen. Das ist aber auch die unbedingte Voraussetzung, die wiederum auf unser gelebtes Prinzip einzahlt. Unser Handeln richtet sich an einer langfristigen Perspektive aus. Bei allen unserer Entscheidungen fragen wir uns, was wir heute tun müssen, damit wir in fünf oder zehn Jahren noch Marktführer sind, also auch dann noch sehr erfolgreich. Ein weiteres Prinzip, das wir uns seit Firmengründung bewahrt haben: Investitionen müssen wir erst am Markt verdienen. Interessanterweise wird man gerade in Hochzeiten immer dafür belächelt. Allerdings lässt einen dies gerade in Zeiten wir diesen ruhiger schlafen. Wir haben eine grundsolide finanzielle Basis und können auch eine solche Krise wie die jetzige gut überstehen.
Marco Henry Neumueller: Jedes Familienunternehmen hat eine spezifische Unternehmenskultur mit ganz eigenen Werten. Wie würden Sie die Kultur bei Winterhalter beschreiben?
Ralph Winterhalter: Eine langfristige Orientierung, die Lust daran etwas zu bewegen, sehr viel Leidenschaft, aber auch große Freiheitsgrade und diese stets vorhandene konstruktive Unzufriedenheit, sich stets zu fragen, wie man die Dinge immer noch ein bisschen besser machen kann. Im Konkreten stellen wir uns die Frage, wie die Zukunft des Spülens aussieht. Man muss dabei neugierig bleiben und eher langfristig planen. Wir denken nicht in Quartalsberichten, sondern über Generationen hinweg.
Marco Henry Neumueller: Sie stehen als dritte Generation an der Spitze des Familienunternehmens. Wann war für Sie klar, dass Sie in die Fußstapfen Ihres Vaters treten werden und beruflich nicht etwas komplett anderes machen wollen?
Ralph Winterhalter: Den Freiheitsgrad, etwas ganz Anderes zu machen, hatte ich immer, aber ich hatte nie das Verlangen danach. Ich denke, ein prägendes Schlüsselerlebnis, welches mich heute noch tagtäglich begleitet, gab es bereits in jungen Jahren. Mein Großvater hatte ein Haus am See und für mich als 6-jähriger war es das Größte mit meinem Großvater Holz zu sammeln und Feuer zu machen. Wir haben immer Treibholz gesammelt, es richtig aufgeschichtet und das Highlight war, dass ich es danach immer anzünden durfte. Dann saßen wir auf einem Baumstumpf und er erzählte mir Geschichten von früher. Eines Tages fragte ich ihn, wie er das mit seinem Unternehmen gemacht habe. Wie er aus dem Nichts so eine Firma ausbauen konnte und vor allem noch dazu mit dieser so lange erfolgreich sein konnte. Er entgegnete darauf, dass das eigentlich gar nicht so schwer sei. Es sei genauso wie mit dem Feuer. Man müsse sehr viel Energie aufwenden, das richtige Holz zu sammeln, es so zu schichten, dass unten eine Glut entstehen und die Luft zirkulieren könne. Dann habe man relativ lange dafür gebraucht, bis das Feuer entfachte und auf einmal brannte es. Dann dürfe man sich ganz kurz freuen, aber dann müsse man schon gleich wieder überlegen, welches Holz man zu welchem Zeitpunkt nachlegen müsse, damit das Feuer nicht nur zehn Minuten brenne, sondern auch eine Stunde oder – sofern man das möchte – die ganze Nacht. Mit einem Unternehmen sei es genauso. Am Anfang müsse man relativ viel Energie für die Gründung aufwenden. Man müsse das richtige Produkt erfinden, es müsse technisch funktionieren und irgendwann hat man Erfolg damit. Dann müsse man aber gleich schon wieder überlegen, was man heute tun kann, damit man morgen und übermorgen weiterhin Erfolg hat. Der Erfolg im Hier und Jetzt eines Unternehmens basiert auf der hoffentlich richtigen Entscheidung in der Vergangenheit. Diese Geschichte war für mich so einleuchtend und prägend, dass sie mich auch heute noch jeden Tag begleitet. Es ist gleichzeitig Ansporn für mich, heute schon das richtige Holz nachzulegen, um das Feuer auch für die nächste Generation am Brennen zu halten.
Marco Henry Neumueller: Was würden Sie anderen NextGens empfehlen, wie Sie das Thema Nachfolge im eigenen Familienunternehmen angehen sollten?
Ralph Winterhalter: Es kommt zunächst einmal auf das eigene Mindset an. Man muss tief in sich hineinhören und sich fragen, wo seine Leidenschaft liegt. Wofür brenne ich? Möchte ich das überhaupt machen? Möchte ich ins eigene Unternehmen eintreten oder vielleicht doch nicht? Das ist jedoch für mich noch die einfachere Frage. Ganz entscheidend ist aber auch das Dürfen. Darf ich denn meinen Weg so ins Unternehmen finden, wie ich mir das vorstelle? Möchte die ältere Generation das überhaupt so? In meinem Fall beispielsweise könnte man mich ja eigentlich als das schwarze Schaf der Familie bezeichnen. Mein Großvater war Ingenieur, mein Vater war Ingenieur und ich habe einen Vertriebs- und Marketinghintergrund. Hätte man mir jetzt gesagt, dass ich nur nachrücken könne, wenn ich mich für ein Ingenieursstudium entscheide, dann hätte ich das vermutlich nicht gemacht, da es nicht meinem Naturell entspricht. Ich denke, es ist ganz entscheidend, darüber nachzudenken, wo seine eigenen Stärken und Schwächen liegen und wofür man Leidenschaft entwickeln kann. Das in meinen Augen absolut Gefährliche, und das sieht man leider an sehr vielen Beispielen, ist, wenn man den Einstieg ins elterliche Unternehmen aus einem Zwang heraus macht. Wenn man sich selbst zu sehr unter Druck setzt, oder gar von der anderen Generation unter Druck gesetzt wird und nicht den nötigen Freiraum dafür bekommt, seinen eigenen Fußabdruck zu hinterlassen. Die ältere Generation muss auch verstehen, dass sie dann auch den Platz räumen müssen. Mein Vater sagt sicherlich auch hin und wieder, dass er manches anders machen würde, aber lässt mir dann doch den nötigen Freiraum. Dass das für die ältere Generation nicht immer einfach ist, versteht sich von selbst.
Marco Henry Neumueller: Bitte vervollständigen Sie den Satz: Im eignen Familienunternehmen tätig zu sein, bedeutet für mich….
Ralph Winterhalter: …größte Leidenschaft und Berufung zugleich.
Marco Henry Neumueller: Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch, lieber Herr Winterhalter.