Dr. Marco Henry Neumueller mit Dr. Thomas Stoffmehal (Vorwerk)

FiFo Talk mit Dr. Thomas Stoffmehl: Wie Vorwerk Präsident Macron überzeugte, warum Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit verliert und das Geheimnis hinter 700 Millionen Euro Umsatzplus

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Dr. Thomas Stoffmehl ist Sprecher des Vorstands der Vorwerk SE & Co. KG in Wuppertal.

Marco Henry Neumueller: Vorwerk hat kürzlich ein zweites Thermomix-Werk in Frankreich gebaut. Können Sie uns mehr über den Entscheidungsprozess hinter dieser Investition erzählen und welche Rolle Ihre Verhandlungen mit Präsident Macron dabei gespielt haben?

Dr. Thomas Stoffmehl: Gerne, lassen Sie mich das in zwei Teile aufgliedern. Vorwerk hat zwei wichtige Produktionsstandorte: hier in Wuppertal in Laaken, wo vor allem alle Motoren hergestellt werden, und bei der Vorwerk Semco in Frankreich, genauer gesagt in Cloyes-sur-le-Loir, wo seit Jahrzehnten alle Thermomix-Geräte endmontiert werden. Als wir beschlossen haben, unsere Kapazitäten zu erweitern, standen diese beiden Standorte grundsätzlich zur Diskussion. Die Entscheidung fiel letztlich zugunsten Frankreichs aus zwei Gründen: Erstens war es schon aus logistischen Gründen sinnvoll, ein weiteres Werk in unmittelbarer Nähe zum bestehenden zu errichten. Zweitens bot Frankreich zum Zeitpunkt unserer Entscheidung äußerst günstige Rahmenbedingungen. Unter der Führung von Präsident Macron ist das Land wirtschaftsfreundlich und offen für ausländische Investitionen. Initiativen wie der „Choose France“-Gipfel, bei dem das gesamte Kabinett mit Unternehmerinnen und Unternehmern spricht, haben uns sehr geholfen. Die Gespräche mit Macron und die schnelle Genehmigung des Projekts haben den Prozess deutlich beschleunigt. Mittlerweile ist das Werk fast fertiggestellt. Es ist auch bemerkenswert, dass während des Projekts, beispielsweise beim Richtfest, zwei Minister anwesend waren, was den persönlichen Kontakt und die Unterstützung der Regierung unterstreicht. Hier ging es nicht um finanzielle Anreize, sondern um die Haltung, Geschwindigkeit und das Engagement der französischen Regierung. Allerdings möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass wir auch an unserem Standort Wuppertal investieren, etwa in ein neues Verwaltungsgebäude, dass wir im nächsten Jahr beziehen werden.

Marco Henry Neumueller: Wie beurteilen Sie die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland für Familienunternehmen? Welche politischen Maßnahmen würden Ihrer Meinung nach helfen, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern?

Dr. Thomas Stoffmehl: Zunächst möchte ich auf das Thema Familienunternehmen eingehen. In Deutschland gibt es eine Diskrepanz zwischen der Bedeutung von Familienunternehmen für die Wirtschaft und der tatsächlichen politischen Unterstützung. Deutschland hat nach wie vor einen starken Mittelstand, der das Rückgrat unserer Wirtschaft bildet. Allerdings haben diese Unternehmen relativ wenig Einfluss, was problematisch ist, da sie eine enorme Last tragen und viele Arbeitsplätze sichern. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland haben sich in den letzten Jahren erheblich verschlechtert. Ein großes Problem ist die Energiepolitik, die für produzierende Unternehmen einen erheblichen Standortnachteil darstellt. Im Vergleich dazu sind die Energiekosten in Frankreich deutlich attraktiver. Zudem sehen wir in Deutschland eine zunehmende Regulierungswut, die die Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten auch der Unternehmen einschränkt. Wenn man die Verzögerungen bei Infrastrukturinvestitionen und die langen Genehmigungszeiten betrachtet, muss man leider feststellen, dass Deutschland dabei ist, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Zudem agieren wir in vielen Bereichen einfach zu langsam und ohne Mut.

Marco Henry Neumueller: Vorwerk unterstützt die Digitalisierung und Erweiterung des Von der Heydt-Museums in Wuppertal. Warum ist kulturelles Engagement für Vorwerk wichtig und wie trägt dies zur Unternehmensphilosophie bei?

Dr. Thomas Stoffmehl: Kulturelles Engagement ist für uns ein sehr wichtiges Thema. Vorwerk ist eines der bedeutendsten Familienunternehmen im Bergischen Land. Es ist nicht nur das Unternehmen, das sich engagiert, sondern auch die Unternehmerfamilie, die stark in der Region verwurzelt ist. Es ist uns ein Anliegen, der Region etwas zurückzugeben. Unser Engagement beschränkt sich nicht nur auf das Von der Heydt-Museum, sondern umfasst viele kulturelle Einrichtungen in Wuppertal und Umgebung. Wir möchten sicherstellen, dass die Region wettbewerbsfähig bleibt und kulturelle Angebote erhalten bleiben. Für mich ist es großartig zu erleben, dass ich in einem Unternehmen arbeite, das sich so stark für die Unterstützung und Förderung der Kultur einsetzt.

Marco Henry Neumueller: Ihr Motto „Hire for attitude“ hebt die Bedeutung der Einstellung von Mitarbeitern basierend auf ihrer Einstellung hervor. Wie setzen Sie diesen Ansatz in die Praxis um und welche Vorteile sehen Sie darin?

Dr. Thomas Stoffmehl: „Hire for attitude“ ist ein einfacher Satz, dessen Umsetzung jedoch nicht immer einfach ist. Uns ist es sehr wichtig, die richtige Einstellung in den Mittelpunkt unserer Rekrutierungsbemühungen zu stellen. Wir glauben, dass, wenn wir Menschen mit der falschen Einstellung einstellen, sie inhaltlich noch so qualifiziert sein könnten, es nicht funktionieren würde. Deshalb legen wir großen Wert darauf, dass dieses Thema im gesamten Unternehmen verankert ist. Am Ende hängt es auch von der Einstellung jeder Führungskraft ab, die neue Mitarbeiter einstellt. Wir sind überzeugt davon, dass der Ansatz „hire for attitude and train for skill“ die Prioritäten bei der Rekrutierung richtig setzt. So können wir hoffentlich langfristig motivierte und engagierte Mitarbeiter für unser Unternehmen gewinnen.

Marco Henry Neumueller: Vorwerk hat nach der Corona-Krise vier Rekordjahre erlebt. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für diesen anhaltenden Erfolg? Was macht Vorwerk anders oder besonders?

Dr. Thomas Stoffmehl: Wenn man sich die letzten vier Jahre anschaut, kann man sagen, dass wir sowohl vor, während als auch nach Corona sehr gute Ergebnisse erzielt haben. Der Schlüssel zu unserem Erfolg liegt vor allem in Konsequenz. Wir haben uns 2019 mit der Strategie 2025 stark auf unsere Kernkompetenz fokussiert, den Direktvertrieb. Das bedeutet, dass wir Menschen und Produkte auf einzigartige Weise miteinander verbinden. Wir legen großen Wert darauf, unseren Beraterinnen und Beratern qualitativ hochwertige und innovative Produkte zur Verfügung zu stellen. Aber letztlich macht der persönliche Kontakt den Unterschied. Gerade in Zeiten zunehmender Entfremdung ist unser Geschäftsmodell aktueller denn je. Unsere Strategie, den Mensch-zu-Mensch-Ansatz im Direktvertrieb zu stärken, ist absolut zeitgemäß. Wir digitalisieren viele Prozesse, um diesen Ansatz zu unterstützen, aber der persönliche Kontakt bleibt zentral. Die Zahlen bestätigen unseren Erfolg: Wir haben in den letzten vier Jahren eine Umsatzsteigerung von über 700 Millionen Euro in unserem Kerngeschäft erzielt und die Zahl unserer Beraterinnen und Berater weltweit von 60.000 auf über 100.000 erhöht.

Marco Henry Neumueller: Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für Vorwerk in den nächsten fünf Jahren? Wie planen Sie, das Unternehmen auf diese vorzubereiten?

Dr. Thomas Stoffmehl: Das ist eine gute Frage, die sich allerdings nicht umfassend beantworten lässt. Was haben wir denn in den letzten Jahren gelernt? Als wir 2019 unsere Strategie 2025 entwickelt haben, dachte noch niemand an eine Corona-Krise, an weltweite Lieferkettenprobleme oder an kriegerische Auseinandersetzungen. Die größten Herausforderungen sind oft die, die wir noch nicht absehen können. Daher ist es wichtig, dass wir im Unternehmen eine „Can-do-Mentalität“ entwickeln, eine positive Grundhaltung, um flexibel auf unvorhersehbare Entwicklungen reagieren zu können. Es ist entscheidend, dass wir gute Netzwerke im Unternehmen aufbauen, um schnell und effizient handeln zu können. Auch wenn wir eine klare Strategie verfolgen, müssen wir innerhalb dieser Strategie die höchstmögliche operative Flexibilität gewährleisten. Das erfordert, dass wir Mitarbeiter haben, die diesen Ansatz mittragen. Alles, was in der Vergangenheit über uns gekommen ist und in Zukunft kommen wird, sei es Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz, können wir nur dann erfolgreich bewältigen, wenn wir uns auf das Wesentliche konzentrieren und gleichzeitig flexibel bleiben. Die Corona-Zeit hat uns gelehrt, dass wir in der Lage sein müssen, auch in schwierigen Zeiten zu improvisieren, uns anzupassen und die relevanten Dinge zu tun.

Marco Henry Neumueller: Ich danke Ihnen für diesen offenen Austausch.