Klaus-Dieter K. Conrad ist Senior Berater bei schölmeister+partner – Netzwerkagentur für Unternehmerberatung
Im Gespräch mit einer Unternehmerfamilie und anschließender Betriebsbesichtigung kann ich als Berater sehr gut erkennen, wie ein Familienunternehmen tickt. Sie können das mit einer Einladung zu einer Familienfeier vergleichen. Mit ein wenig Beobachtungsgabe erkennen Sie schnell, wie es in dieser Familie zugeht, welche Werte gelten und wie Konflikte gehandhabt werden. Immer wieder inspirieren mich diese Erkenntnisse so sehr, dass ich sie mit Ihnen teilen möchte.
Sehr oft höre ich in Familienunternehmen das Credo: „Wir sind alle eine große Familie.“
Familienunternehmen zeichnen sich häufig dadurch aus, dass Unternehmer die ethischen und moralischen Werte in das Unternehmen einbringen, die in ihrer Familie gelten.
Persönliche und private Wertvorstellungen werden exportiert und so wird aus der Unternehmerfamilie gedanklich eine Unternehmensfamilie. Die private Familienwelt und die öffentliche Arbeitswelt verschmelzen miteinander. Es wird vorausgesetzt, dass alle Mitarbeiter ganz selbstverständlich diese Werte akzeptieren und daraus eine gemeinsame, familiär geprägte Unternehmenskultur entsteht.
Von allein setzt sich dieser Prozess jedoch nicht in Gang. Die folgenden Eigenschaften konnte ich in besonders erfolgreichen Familienunternehmen in ausgeprägter Form beobachten:
Unternehmenskultur pflegen
Mit großem Aufwand wird überall versucht Unternehmenskultur zu entwickeln und Leitlinien zu definieren. Werbewirksam gestylt und eingerahmt zieren sie die Wände vieler Unternehmen. Erfolgreiche Familienunternehmen erfinden so etwas nicht. Sie kommen auch nicht auf die Idee Unternehmenskultur in einem Workshop erzwingen zu wollen.
Vielmehr ergibt sie sich aus den vereinbarten und gelebten Regeln der sozialen Interaktion im Unternehmen. Sie wird beeinflusst durch verschiedene Faktoren die aus der Zusammenarbeit von Menschen, Dingen und Prozessen resultieren. Initial und maßgeblich wird Unternehmenskultur durch die vorgelebten Werte der Unternehmerfamilie geprägt.
Werte vorleben
Erfolgreiche Unternehmerfamilien leben ihre Werte vor. Ganz selbstverständlich werden die geltenden Regeln konsequent beachtet, vorgelebt und den Mitarbeitern so, fast beiläufig, vermittelt. Es bedarf keiner besonderen, herausgeputzten Kommunikation zur Verbreitung. Information und gegenseitiger, respektvoller Gedankenaustausch auf Augenhöhe finden ohne besonderen Anlass statt. Interessierte, offene Gespräche sind gelebter Alltag. Soziale Interaktion lenkt nicht von der Arbeit ab, sie ist ein wichtiger Teil der eigentlichen Arbeit und genießt den entsprechenden Stellenwert bei Inhabern, Führungskräften und Mitarbeitern.
Authentisch wahrgenommen werden
Wie die Unternehmerfamilie agiert, wird von den Mitarbeitern mit feinen Antennen wahrgenommen. Als authentische Anführer wahrgenommen werden Unternehmer dann, wenn ihre Signale als glaubwürdig, wahr und zuverlässig interpretiert werden können.
Eine harmonische Übereinstimmung von Worten und Taten mit stimmiger Gestik und Mimik, erstickt schon im Keim jegliche Wahrnehmung in Richtung des berühmten Sprichwortes: „Wer Wasser predigt, sollte keinen Wein trinken.“ Inhaber von Familienunternehmen agieren zudem oft nach der Prämisse: „Tue was du sagst, und sage vorher was du tust.“
Vertrauen schenken
So wie wir in der Familie unseren Partnern, Kindern und Familienangehörigen vertrauen, so vertrauen in Familienunternehmen die Inhaber ihren Mitarbeitern. Durch die Verschmelzung von Familienleben und Arbeitsleben, verschwindet eine Hemmschwelle und Mitarbeiter werden genau wie Familienmitglieder behandelt. Das bedeutet auch, dass sie genau wie Familienmitglieder gefordert werden. Obwohl diese Haltung anstrengend werden kann, ist sie für alle förderlich und nutzbringend.
Menschen fühlen sich erwiesenermaßen am wohlsten, wenn Sie gefordert werden. Unternehmer, die ihre Mitarbeiter fordern, sprechen ihnen dadurch völlig ungezwungen und auf natürlichste Art und Weise ihr Vertrauen aus. Wem ich eine geforderte Leistung zutraue, dem vertraue ich die Erbringung eben jener Leistung an. Mit jeder erbrachten Leistung steigt das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen der Mitarbeiter. Einfacher und ehrlicher kann man anderen Menschen Anerkennung kaum zuteilwerden lassen.
Konflikte nutzen
Unternehmenskultur ist die Summe aller wahrnehmbaren Interaktionen von Menschen in einem Unternehmen. Wie diese Interaktionen wahrgenommen werden, hängt davon ab, auf welche Art und Weise Konflikte genutzt werden.
Konflikte entstehen immer, wenn Menschen mit Dingen und Prozessen interagieren. In den meisten Unternehmen, die ich kenne, reicht die Zusammenarbeit von Menschen völlig aus, um Konflikte und Probleme am laufenden Band zu produzieren. Spielen Arbeitsmittel, Produktionsmittel und Prozesse noch eine Rolle, so werden die Konflikte durchaus komplexer. Für die Art und Weise einer anständigen Handhabung und Organisation von Konflikten spielt das jedoch keine allzu große Rolle. Voraussetzung allerdings ist, klug mit Konflikten umgehen zu können.
In, gut geführten, Familienunternehmen werden Konflikte als Motor des Unternehmens betrachtet. Sie werden genutzt, um die Entwicklung des Unternehmens an die Gegebenheiten sich immer schneller verändernder Rahmenbedingungen anzupassen. Unsere Welt ist geprägt von zunehmender Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und immer größerer Mehrdeutigkeit von Ereignissen. Es stellen sich laufend immer mehr Fragen, auf die es keine schlüssigen Antworten gibt.
Vorbildliche Familienunternehmen verstehen es, allen Mitarbeitern die Fragen nach dem großen Ganzen zu beantworten. Sie verknüpfen die Unternehmensvision mit der existenziellen Notwendigkeit Kunden zu begeistern und verleihen so dem Tun eines jeden einzelnen Mitarbeiters Sinnhaftigkeit.
Kommitment erzielen
Wegweisende Familienunternehmen schaffen es, Konflikte aus der Schmuddelecke der negativen Gedanken und Gefühle herauszuholen.
Ganz einfach und pragmatisch, indem sie Konflikte im Unternehmen so handhaben und organisieren wie in der Familie.
Oft höre ich die Aussage: „Bei uns kracht es ab und an. Da kann es auch mal laut werden. Aber am Ende verstehen wir uns doch alle wieder gut.“
Sich wieder gut verstehen, ist in diesem Fall die umgangssprachliche Formulierung für ein Kommitment. Ein Kommitment funktioniert dauerhaft. Durch das Erkennen der gemeinsamen Vorteile führt es die Interessen aller Beteiligter zusammen. Die Vereinbarung findet auf der Gewinnebene statt. Alle Beteiligten gewinnen Vorteile und sind sich derer bewusst. Sie sind gerne bereit den Preis für den Genuss der Vorteile zu bezahlen.
Erfolgreiche Familienunternehmer vermeiden Kompromisse. Kompromisse finden auf der Verlustebene statt. Beim Kompromiss verzichtet jeder Akteur auf einen Teil seiner Forderungen. Der Kompromiss kostet Zugeständnisse und weckt instinktiv das Verlangen nach Schadensbegrenzung. Oder, wie schon Aristide Briand so treffend bemerkte: „Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind.“
Konflikte entscheiden
Zielorientierte Familienunternehmer erkennen frühzeitig, wann sie einen Konflikt entscheiden müssen. Nämlich dann, wenn es zu keinem zielführenden Kommitment kommt. Aus welchen Gründen auch immer, diese Situation kommt im täglichen operativen Wahnsinn aller Organisationen regelmäßig vor. Wirksame Anführer entscheiden nicht, um Macht zu demonstrieren. Sie entscheiden, um dort Handlungsfähigkeit zu gewährleisten wo durch fehlende, zielführende Vereinbarungen das Erreichen gemeinsamer Ziele gefährdet ist.
Die getroffene Entscheidung gilt bedingungslos so lange, bis eine bessere Lösung in Sicht ist, bzw. gemeinsam erarbeitet wird. Damit ist jederzeit, die Handlungsfähigkeit der Organisation gewährleistet und eine agile, zielstrebige Weiterentwicklung möglich. Meinungsvielfalt wird durch unternehmerische Entscheidungen nicht unterdrückt. In Gegenteil. Der Konflikt bekommt die Gelegenheit zu reifen, um durch neue Erkenntnisse ein zielführendes Kommitment zu erreichen.
Ich lerne immer mehr Führungskräfte kennen, welche an Stelle einer Unternehmerfamilie die Entwicklung einer Unternehmung beeinflussen, und die von der Sinnhaftigkeit der oben aufgeführten Eigenschaften überzeugt sind. Sie orientieren sich zunehmend an den Werten von Familienunternehmen und leben diese vor.
Familienunternehmen sind nicht per Definition erfolgreich. Es sind immer die Menschen, die Inspiration und Kraft aus der Familie schöpfen und mit ihrer Einstellung zu Ethik, Moral, Verantwortung und Pflichtgefühl, Erfolg möglich machen.
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