Dr, Andreas Widl (SAMSON AG) mit Dr. Marco Henry Neumueller

FiFo Talk mit Andreas Widl über Regler ohne Hilfsenergie, eine Kooperation mit einem israelischen Start-up und einem Familienunternehmen inmitten einer Transformation

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Dr. Andreas Widl ist CEO der SAMSON AG in Frankfurt am Main.

Marco Henry Neumueller: Am 1. April 2022 feiert die Samson AG ihr 115jähriges Jubiläum. Ein beachtliches Alter für ein Unternehmen. Wo liegen die Ursprünge und was hat Samson groß werden lassen?

Andreas Widl: Der Ursprung unseres 115-jahre alten Traditionsunternehmens liegt in den Reglern ohne Hilfsenergie. Die Geschichte geht zurück auf fünf Brüder ursprünglich aus Wispenstein, heute ein Stadtteil von Alfeld, im südlichen Niedersachsen. Einer von ihnen – Herrmann Sandvoss, der spätere Gründer unserer Firma – arbeitete 8 Jahre für die Neusser-Lagerhaus-Gesellschaft, war technisch sehr gut ausgebildet und erkannte ein Problem bei der Lagerung von Getreide. Immer wenn das Getreide mit Schiffen am Hafen angeliefert wurde, lagerte man es in Räumen. Man versuchte mit der Abwärme der Dampfmaschinen die Räume gleichmäßig zu klimatisieren, was aber durch nur tägliche kilometerlange Läufe und manuelle Einstellungen von Ventilen gelang. Die Energie, die im ersten Raum verbraucht wurde, fehlte sozusagen in den anderen. Es fehlte eine Art Thermostatventil, also ein wie auch immer geratener selbständiger Temperaturregler, der den Durchfluss abhängig von der gemessenen Temperatur dynamisch anpasst, um die eingestellte Temperatur konstant zu halten. Herrmann Sandvoss hatte die grundlegende Idee, einen Regler ohne Hilfsenergie zu bauen und diesen 1905 zu patentieren. Seine Innovation war seinerzeit so bahnbrechend, dass daraus eine Firma entstand, welche sie zunächst „Rheinische Apparate-Bau-Gesellschaft m.b.H. und dann „Vulcan Technische Apparate-Bau-Gesellschaft“ mit Sitz in Düsseldorf nannten. Der „SAMSON“ war das erste Produkt – ein Regler ohne Hilfsenergie. 1909 wurde dann in die Samson-Apparate Baugesellschaft m.b.H. umfirmiert, bevor dann schließlich vor genau 100 Jahren die SAMSON AKTIENGESELLSCHAFT entstand.

Der Ursprung des Unternehmens geht also – wie häufig – zurück auf ein Problem, ein Technisches und Kommerzielles, was gelöst werden musste. Ziel war es, gleichmäßig Räume zu heizen und dass auch die damit in Verbindung stehenden Kosten fair zugeordnet werden konnten. Das Unternehmen hat sich mit dem Regler ohne Hilfsenergie dann weiterentwickelt. Dampfwasserableiter, Raum- und Wassertemperaturregler, Zugregler, Entlüfter, Feuerungsregler bis hin zu kommunikationsfähigen Regelventilen mit digitalen Stellungsreglern und Selbstdiagnose. Man stellte über die Anwendung fest, dass man Ventile auch in anderen Bereichen braucht. Einfach immer dann, wenn ein Medium – sei es flüssig, gasförmig oder Dampf, sei extrem kalt, heiß, abrasiv oder sogar giftig – durch ein Rohr fließt und man den Durchfluss oder den Druck regeln möchte, bedarf es eines Ventils.

Vor etwa 50 Jahren ist unser legendäres 3241er Ventil entstanden. Allerdings wurde es von dem genialen Karl Gruner erfunden und entwickelt, welcher seinerzeit bei Casella, später Höchst AG und viel später Clariant AG, arbeitete. Er experimentierte an einer sehr kompakten und modularen Lösung für ein pneumatisches Stellgerät, für das er offenbar bei Casella keine offenen Ohren fand. Der damalige SAMSON-Entwicklungschef, Gerhard Klee, griff sofort zu und beide Herren machten das 3214er zu einem gewaltigen Erfolg. Manchmal kommen gute Ideen eben auch von außen – das zeichnet gute Unternehmen aus.

Hier kommt allerdings der Pferdefuß: Das 3241-Ventil kann man aufgrund seiner einmaligen Modularität theoretisch in 1048 (!) Varianten bauen, und manchmal habe ich das Gefühl, dass wir das auch tun [lacht]. Es gibt unterschiedliche Materialien, Dichtungen, Druckstufen, Innengarnituren, Kräfte, Lackierungen, Geometrien, Flansche, Stellungsregler usw. und dann wird ausmultipliziert der Ereignisraum ziemlich groß. Trotzdem, wir bauen großartige Ventile für die richtige Anwendung, das haben wir immer gemacht, und müssen nur jetzt sukzessive die Komplexität und Variantenvielfalt reduzieren. Das soll heißen, wir konzentrieren uns bei den nächsten Generationen auf einen modularen Standardbaukasten, um durch Kombination der Funktionselemente möglichst viele Varianten entstehen zu lassen, ohne Produktionskomplexität zu erhöhen. Das hat übrigens auch den Vorteil, dass mit der Montage des Ventils, sozusagen dem letzten Wertschöpfungsschritt, die Anwendung des Ventils festgelegt wird. Insofern könnte man noch reagieren, wenn der Kunde seine Spezifikation beispielsweise noch kurz vor Auslieferung ändert. Und sowas kommt vor. Oder auch bei Problemen im Feld kann ein solches, modulares Ventil mit wenigen Handgriffen fundamental in der Strömungsmechanik verändert und auf die spezifische Anforderung angepasst werden.

Wir sind überall da, wo Dinge im Fluss sind und so ist aus dem kleinen SAMSON, mit anfangs 35 Beschäftigten in Frankfurt eine Firma mit 2000 Mitarbeiter am gleichen Standort geworden und 4500 Mitarbeitern weltweit.

Marco Henry Neumueller: Welche mittel- bis langfristigen Ziele verfolgt das Familienunternehmen? Gibt es ein Szenario, wo das Unternehmen in 5 bis 10 Jahren stehen möchte?

Andreas Widl: In fünf Jahren wollen wir eine Milliarde Umsatz erwirtschaften. Mit organischem Wachstum in allen Märkten, in denen wir tätig sind. Wir haben alleine in Deutschland, dem größten Markt für die chemische Industrie, mehrere Produktionsstandorte. China wächst in diesem Zusammenhang massiv, auch hier sehen wir Potenziale. In Beijing bauen wir derzeit in der Economic-Technological Development Area „BDA“ unser Werk weiter aus. Wir wachsen in der Türkei, wo wir ein fantastisches Werk vor einigen Jahren auf die grüne Wiese gebaut haben. Jetzt sind wir umgeben von anderen Firmen. Auch in Frankreich, Spanien haben wir die Werke erweitert beziehungsweise sind in der Planung. Unser Werk und den Markt in Russland möchte ich an dieser Stelle bewusst ausklammern, der Krieg und die humanitäre Katastrophe würde ein eigenes Interview verdienen.

Insgesamt ist der Markt für erstklassige Regelventile und sogenannte Auf/Zu-Armaturen vorhanden, er wächst stetig, es gibt immer wieder neue Anwendungen wie zum Beispiel Wasserstoff und wir müssen ihn einfach ordentlich beackern.

Marco Henry Neumueller: Ist das eine bewusste Entscheidung nur organisch zu wachsen?

Andreas Widl: Wir haben in der Vergangenheit durchaus dazugekauft, um das Produktportfolio gezielt zu erweitern. Vor etwa fünf Jahren kam die Firma SED Flow Control in Bad Rappenau zu SAMSON. SED ist ein Hersteller von antiseptischen Ventilen für die Bio- und Pharma-Industrie. Die Logik unserer Akquisition folgt immer den Anforderungen in den Märkten. Wenn wir am Markt nicht präsent sind, weil uns die Ventiltechnik oder spezielle Zulassung fehlt, dann treffen wir eine Make-or-Buy-Entscheidung. Nehmen wir beispielsweise die Wasserstofftechnologie. Dort ist nur ein überschaubarer Bereich Tieftemperatur, in der Peripherie kommen unsere Standradventile bereits umfangreich zum Einsatz. Wir haben andererseits Jahrzehnte lange Erfahrung im Umgang mit Industriegasen. Unsere sogenannte Cold-Boxen-Ventile, die bei minus zweihundert Grad Celsius den Durchfluss von flüssigem Stickstoff regeln, lassen sich auch bei minus 253 Grad – die Temperatur, bei dem Wasserstoff flüssig wird – einsetzen. Dazu bedarf es aber auch weiterer Zulassungen, z.B. in Bezug Schweißzusatzstoffe, die übrigens von Land zu Land variieren können. Hier kommt unser Rolf-Sandvoss-Innovations-Zentrum, das RSIC auf dem Frankfurter Firmengelände, ins Spiel. Diese Investition von 21 Mio. Euro in ein weltweit einzigartiges Versuchslabor hilft uns bei aufwendigen Zulassungen, EMV-Tests – EMV steht für elektromagnetische Verträglichkeit – und der Entwicklung völlig neuer Ventilgeometrien auf Basis von 3D-Druck. Wir sind ein Unternehmen, wo Innovation wesentliche Voraussetzung für Wachstum ist. Akquisitionen oder auch Joint Ventures verfolgen wir immer dann, wenn wir etwas nicht können oder die Gefahr besteht, dass wir es intern zeitlich nicht zum Erfolg führen. Vor diesem Grund haben wir zum Beispiel im September 2019 das Joint Venture FOCUS-ON in Holland gegründet – zusammen mit einem der Weltmarktführer für Prozessinstrumentierung und Messtechnik, der Traditionsfirma Krohne mit Hauptsitz in Duisburg. Mit FOCUS-ON haben wir den weltweit ersten sog. Intelligenten Prozessknoten geschaffen und sind nur 2,5 Jahre später bereits in Produktlaunch und –verkauf. Unser erstes Produkt – FOCUS-1 – ist im Kern ein SAMSON-3241-Ventil mit integrierter Sensorik für Durchfluss, Druck und Temperatur von Krohne. Die gesamte Mess-und Regelelektronik wurde im Stellungsregler integriert, der dafür eine völlig neue Hard- und SW-Architektur erhalten hat. FOCUS-1 hält bei Bedarf den Druck oder Durchfluss in der Anwendung konstant, verfügt über Selbstdiagnose, bedient alle gängigen Kommunikationsprotokolle per Kabel oder Funk, liefert Echtzeitdaten und sieht nebenbei auch noch richtig gut aus. Immerhin wurde es mit dem renommierten Red-Dot-Award ausgezeichnet. Jetzt müssen wir das Wunderteil verkaufen und ich hoffe, mein verstecktes Marketing an dieser Stelle hilft!

Die Evolution und Transformation von SAMSON ist insbesondere darin begründet, dass wir das, was wir können und schon gut machen, noch besser machen wollen. Und dort, wo wir an unsere Grenzen stoßen, müssen wir offen für Lösungen von außen sein.

Marco Henry Neumueller: Digitalisierung ist in aller Munde. Jorn Lyseggen, der CEO von Meltwater, sagte einst: „Wir leben in einer Welt, die in Daten ertrinkt. Wir haben die Wahl, ob wir sie weiterhin ignorieren und als großes Rauschen abtun oder ob wir sie nutzen wollen.“ Ihr Produktportfolio klingt per se schon recht digital. Was bedeutet diese Herausforderung für die SAMSON AKTIENGESELLSCHAFT?

Andreas Widl: Ich möchte zwischen einer externen und einer internen Digitalisierung differenzieren. Bei allem Lob für SAMSON, muss ich zugestehen, dass wir erst im Jahre 2018 SAP als zentrales ERP-Werkzeug und Betriebssystem in Frankfurt eingeführt und live geschaltet haben; zwanzig Jahre später als viele Marktbegleiter und Kunden. Das war nur begrenzt innovativ aber dringend notwendig. Diese interne Digitalisierung ist nämlich Voraussetzung für unternehmerisches, faktenbasiertes Handeln. Wir müssen doch wissen und teilen, wie die Vertriebs- und Produktionszahlen aussehen. Wir benötigen monatliche P&L-Rechnung weltweit, um zu sehen, wo die Geschäfte und Tochterfirmen gut laufen und wo nicht. Aber auch wo Opportunitäten brach liegen, die gezielt vertriebsmäßig verfolgt werden sollten. Das geht nur, wenn wir Daten strukturiert sammeln und aggregieren. Will man neue Produkte entwickeln, bedarf es Deckungsbeitragsrechnungen, transparenter Prozesse in Entwicklung, Produktion und Vertrieb sowie vernünftiger Stammdaten. Wir haben zwar SAP nach 3 Jahren Vorbereitung und diverser Startschwierigkeiten erfolgreich eingeführt aber bis heute pflegen wir Stammdaten und verbessern unsere Prozesse. Das alles ist die interne Digitalisierung.

Hinzu kommt, dass wir jeden Tag Daten erzeugen, die wir nicht ausreichend nutzen. Jedes Mal, wenn ein Ventil das Servicecenter sieht, möchte ich eine Art „digitale Patientenakte“ anlegen, in der die gesamte Historie des Betriebs hinterlegt ist. Wenn wir das systematisch machen, können wir alleine aus dem Betrieb und Service der Ventile zurückschließen, an welcher Stelle eine ganze Chemieanlage nicht so läuft, wie sie sollte. Was für ein Mehrwert für unsere Kunden und ein Beratungspotential: Vielleicht wird das Ventil falsch betrieben, vielleicht stimmt etwas mit dem Prozess nicht oder vielleicht wird für diesen konkreten Anwendungsfall eine ganz andere Konfiguration benötigt. Oder vielleicht gibt es sogar ein Qualitätsproblem in dieser Anwendung.

Viele Daten sammeln wir heute noch nicht systematisch. Mein Ziel ist, dass jedes Servicecenter weltweit Ventildaten standardisiert sammelt, aggregiert und wir diese systematisch auswerten. Das erhöht die Kundennähe und hilft, das Ersatzteilmanagement und unsere Serviceeinsätze zu optimieren.

Dann gibt es noch die externe Digitalisierung. Wir lesen z.B. systematisch unsere Stellungsregler aus, denn diese digitale Steuereinheit merkt sich alles, was mit dem Ventil passiert ist. Hat es sich bewegt, wie oft, hat sich der Nullpunkt verschoben, woraus sich Abnutzungserscheinungen ableiten lassen etc. Wir bieten unseren Kunden unter dem Namen SAM Valve Management einen übersichtlichen Monatsreport an, um Rückschlüsse vom Ventilbetrieb auf den Anlagenbetrieb zu ziehen. 70.000 installierte Ventile in einer chemischen Produktionsanlage hätten vieles zu berichten!

In einem nächsten Schritt wollen wir unsere Ventile zunehmend kommunikationsfähig und intelligent machen, damit wir nicht nur Daten sammeln, sondern auch unsere Ventile untereinander und mit anderen Geräten im Feld kommunizieren können. Das ist insofern neu, da das Ventil bis heute lediglich Steuersignale wie „öffne oder schließe Dich um z.B. 10%“, aus Leitsystemen empfängt aber es fließen praktisch keine prozessrelevanten Informationen aus dem Ventil zurück ans das Kontrollsystem. Unsere Vision dreht sich um das Thema Internet der Dinge in der Prozessindustrie, Ventile intelligent und kommunikativ zu machen und im Zusammenspiel mit anderen Feldgeräten eine gewisse Selbstoptimierung im operativen Betrieb zu erlangen – ähnlich dem großen Vorbild Natur. Natürlich stehen dabei weiterhin die Prämissen „Operational Safety and Security“ im Mittelpunkt aber wir glauben, dass diese Form der Regelungstechnik zu erheblichen Energieeinsparungen und effizienterer Ressourcennutzung führen kann.

In Bezug auf die Optimierung des operativen Betriebs mit nullinvasivem Eingriff in die Prozesssteuerung einer chemischen Anlage haben wir vor knapp 4 Jahren das israelische Start-up Precognize Ltd. erworben. Mit unserem Produkt SAM Guard – SAM steht für SAMSON Asset Management – sind wir in der Lage, Abweichungen vom stabilen Anlagenbetrieb in Echtzeit zu erkennen und auch die Ursache in der Anlage zu identifizieren. Das kann ein defekter Temperatursensor sein aber auch eine erhöhte Leistungsaufnahme einer Pumpe betreffen. Diese wichtige Information wird rein SW-basiert erhoben, ohne jeden physischen Eingriff in Anlage und zusätzlicher Sensorik. Das Prinzip von SAM Guard erfolgt in drei aufeinanderfolgenden Schritten:

Im ersten Schritt erstellen wir einen digitalen Zwilling aus den bestehenden Plänen für Rohrleitungen, Pumpen, Ventilen, Sensoren und Funktionseinheiten. Dabei halten wir genau fest, welche Komponente mit welcher anderen in physischer Verbindung steht und in welche Richtung Medien und Informationen fließen.

Dann füttern wir im zweiten Schritt dieses „Knochengerüst“ mit historischen Prozessdaten – diese werden zulassungsbedingt im sog. „Historian“ in einer Anlage über Jahre gespeichert – und trainieren ein künstliches neuronales Netz darauf, den „normalen Anlagenbetrieb“ in einem hochkomplexen Zustandsraum zu definieren, basierend auf Millionen von Prozessdaten. KI ist immer dann gut, wenn es viele Daten zu analysieren gibt und sich daraus Muster und Trends ergeben.

Im dritten Schritt füttern wir das Modell mit Echtzeitdaten and here comes the magic: SAM Guard erkennt Abweichungen vom normalen Betrieb, erkennt deren Ursache und warnt den Betreiber, bevor schlimmeres passiert.

Wir sprechen dabei von „human-enhanced machine learning“, denn diese betriebsrelevanten Informationen werden dem Anlagenfahrer zu Verfügung gestellt, damit er die richtigen Entscheidungen trifft. Der Pilot der Anlage bekommt mit SAM Guard ein sehr leistungsstarkes, einfaches aber aussagekräftiges Instrument in sein Cockpit.

Wichtig ist mir: Wir wollen den Menschen nicht ersetzen, wir wollen ihn – analog einem Arzt bei seiner Diagnose – unterstützen. Wir vollziehen in Summe eine massive Transformation vom reinen Ventilhersteller zum Lieferanten von Ventilen über Prozessintelligenz bis hin zu selbstorganisierenden Subsystemen.

Marco Henry Neumueller: Selbstzufriedenheit ist der größte Feind von Innovation und Qualität. Wie innovieren Sie?

Andreas Widl: Der schleichende Killer eines Unternehmens ist das Not-invented-here-Syndrom. Wenn ich mich also gegenüber Ideen von außen verschließe, getreu dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht“, „da kann ja jeder kommen“ oder noch fataler „if it ain’t broken don’t fix it“. Die Selbstzufriedenheit ist gefährlich und der erste – sichere – Schritt in Richtung Untergang. Wer nicht jeden Tag hungrig in die Firma geht und sich überlegt, was er heute tun kann, wird in dieser zunehmend darwinistischen Industriewelt nicht überleben. Die Transformation bei Samson war und ist eine große Herausforderung, da das Unternehmen wirklich eine fantastische Geschichte hat, aber auch einige Dinge versäumte. Die Besonderheit bestand für jemanden wie mich darin, wie ich als jemand von außen kommend konstruktiv Kritik üben konnte, ohne „friendly fire“ zu erhalten. Das passiert, wenn man, um im Bild zu bleiben, zu weit vor der eigenen Armee reitet und als Feind wahrgenommen wird. Ich bestätigte den Kollegen, dass vieles gut, z.T. sehr gut ist aber eben nicht alles. Und an den Schwächen müssen wir arbeiten. Die Schwächen bezogen sich insbesondere auf industriekonforme Prozesse, eine an den CEO berichtende unabhängige QM und die interne Digitalisierung.

Ich bin stolz auf unsere gesamte Mannschaft und auch auf die Dinge, die außerhalb von Frankfurt stattfinden. Überall sehe ich eine hohe Innovationskraft. Wir vernetzen uns nun weltweit. Wir bauen Netzwerke in der Produktion, im Einkauf, im Vertrieb oder auch in der Entwicklung auf. Wir als Organisation haben gelernt, dass nicht alles aus Frankfurt kommen muss. Wenn wir irgendwo auf der Welt eine gute Applikationslösung sehen, dann versuchen wir diese zu kopieren und zu übertragen. Die Gesetze der Physik und Chemie sind nun mal auf der ganzen Welt gleich, nur bei der Sprache haben wir kulturelle Unterschiede, die wir berücksichtigen müssen. Ich möchte eine Firmen- und Organisationskultur schaffen, in der man stets im Dialog steht und Wissen teilt. Wissen ist ein ganz besonderer und seltener Rohstoff, der sich vermehrt, wenn man ihn teilt.

Marco Henry Neumueller: Das Unternehmen befindet sich zu 100% in Familienbesitz. Welche Rolle spielt die Gesellschafterfamilie heute noch und wie würden Sie die für Familienunternehmen spezifische Kultur des Unternehmens beschreiben?

Wenn ich an meinen Hintergrund denke – sieben Jahre Mannesmann, fünf Jahre General Electric und acht Jahre Oerlikon, alles börsennotierte Unternehmen –, dann habe ich eine andere Welt kennengelernt. Eine Welt, in der ausgeprägtes Quartalsdenken und Sicherung bzw. Steigerung des Shareholder Value im Mittelpunkt aller Handlungen stand. Ich empfinde es als Privileg für ein Unternehmen im Privatbesitz zu arbeiten, in dem wir langfristig denken und aber bei Krisen sehr kurzfristig handeln können. Weiterhin schätze ich den familiären Austausch mit Aktionären und Diskussionen mit Aufsichtsrat bzw. Fachbeirat. Ich halte es für wichtig, dass ein Vorstand auch fachlich herausgefordert wird; dass man gemeinsam immer wieder überlegt, was die richtigen strategischen Ausrichtungen für das Unternehmen in einer sich sehr schnell ändernden Welt sind. Daher haben wir auch bei Samson einen kleinen Beirat mit Experten aus industrieller Fertigung und Industriesegmenten, die wir bedienen, eingeführt.

Organisiert sind wir, wie gesagt, seit 100 Jahren als Aktiengesellschaft, d.h. wir haben die drei Hauptorgane Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung unserer Aktionäre. Wir haben damit eine saubere, quartalsweise Überwachung der operativen Tätigkeiten und Investitionen durch den Aufsichtsrat und die jährliche Abstimmung mit unseren Anteilseignern. Letzteres war immer und ist hoffentlich nach der Corona-Krise wieder eine familiäre und persönlich wertschätzende Veranstaltung.

Die Familie tritt lediglich dadurch in Erscheinung, dass die größten Anteilseigner im Aufsichtsrat vertreten sind, sie hält – anders als bei vielen Familienunternehmen – keine Führungspositionen im Unternehmen. Ich halte diese Lösung für sehr zielführend, weil damit Interessenkonflikte ausgeschlossen werden.

Marco Henry Neumueller: Bitte vervollständigen Sie den Satz: An Familienunternehmen fasziniert mich…

Andreas Widl: …die unternehmerische Freiheit.

Marco Henry Neumueller: Herr Widl, für dieses offene und sehr sympathische Gespräch möchte ich Ihnen herzlich danken.

Über das Familienunternehmen SAMSON

SAMSON bietet System- und Produktlösungen für die Steuerung und Regelung von Medien aller Art. Ihre Kernkompetenz ist die Stellventiltechnik. Hier setzt SAMSON seit mehr als 110 Jahren Trends, treibt Entwicklungen voran und bringt Innovationen zur Marktreife. Die Evolution des Stellventils von der analogen Komponente hin zum smarten Stellventil wird maßgeblich mitbeeinflusst. Heute richtet SAMSON den Fokus auf die Möglichkeiten, die durch Industrie 4.0 eröffnet werden.

SAMSON baut seine Marktposition für Stellventile, Stellklappen, Stellungsregler, Antriebe und modulare Automatisierungskomponenten für sämtliche Bereiche der Verfahrenstechnik weiter aus. Die dazugehörigen Anbauteile wie hoch entwickelte Messumformer, Regler und Automatisierungssysteme ergänzen das Produktprogramm und bilden das Bindeglied zur Digitalisierung. Lösungen wie SAM DIGITAL und SAM GUARD runden das Portfolio ab und machen SAMSON zu einem Lösungsanbieter, der die Prozesse seiner Kunden und das Life-Cycle-Management optimiert.

SAMSON wurde 1907 gegründet und ist mit rund 4.500 Mitarbeitern weltweit vertreten. Hauptsitz der SAMSON AG mit etwa 2.000 Mitarbeitern ist Frankfurt am Main. Zu den Produktionsstandorten in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Türkei, Indien, USA, China und Russland zählen zusätzlich mehr als 50 Tochtergesellschaften und über 200 Vertretungen weltweit.

Über das Dr. Andreas Widl

Nach dem Physikstudium an der TU München begann Andreas Widl im Jahr 1992 seine Karriere bei der Mannesmann Pilotentwicklung, demThinkTank des früheren Mannesmann-Konzerns. Im Rahmen seiner 7-jährigen Tätigkeit meldete er über 30 Patente an und erlangte die Promotion an der TU München. In den darauffolgenden 5 Jahren übernahm er unterschiedliche Führungspositionen bei GE Capital. 2004 wechselte Andreas Widl zum Schweizer Oerlikon-Konzern und verantwortete die Sanierung defizitärer Geschäftsbereiche und den Aufbau der Solarsparte. Ende 2005 wurde er zum Oerlikon Asia President mit Sitz in Shanghai ernannt. Im Oktober 2008 übernahm er die Geschäftsführung der Oerlikon Leybold Vacuum GmbH mit Sitz in Köln. Im Juni 2013 wurde Andreas Widl bei der Samson AG, Frankfurt, zum Vorstand Vertrieb, Marketing und Strategie und im April 2015 zum Vorstandsvorsitzenden bestellt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 23 und 21 Jahren.

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