„Wer die Pflicht hat, Steuern zu zahlen, hat das Recht, Steuern zu sparen.“ – So formulierte es der große Richter des US Supreme Courts, Learned Hand. Doch was, wenn der Staat seinerseits das Sparen verlernt hat?
Deutschland steht vor einer gewaltigen finanziellen Kraftanstrengung. Die Verhandler von CDU/CSU und SPD haben ein neues „Sondervermögen“ in Milliardenhöhe auf den Weg gebracht – eine bemerkenswerte Wortschöpfung für das, was früher schlicht und ehrlich „Schulden“ hieß. Sondervermögen klingt nach Fleiß, Disziplin und Rücklagen – dabei handelt es sich um das exakte Gegenteil: kreditfinanzierte Zukunftsbelastungen. Doch natürlich, der Mittelstand weiß: Manchmal sind Investitionen notwendig. Kein Familienunternehmer käme auf die Idee, sein Werk mit bröckelnden Straßen zu beliefern, seine Mitarbeiter mit einer rückständigen Ausbildung zu beschäftigen oder sich auf einen Wachschutz zu verlassen, der aus guten Absichten, aber ohne Waffen besteht.
Ja, Deutschland muss investieren – in Bildung, in Infrastruktur, vor allem aber in Verteidigung. Die Illusion einer ewigen amerikanischen Schutzgarantie ist geplatzt wie eine Seifenblase. Was lange bequem ausgelagert wurde, kehrt nun mit Nachdruck zurück: die Verantwortung für die eigene Sicherheit. Der britische Staatsmann Lord Palmerston sagte einst: „Nationen haben keine ewigen Freunde oder Feinde, nur ewige Interessen.“ Und genau das erleben wir gerade. Während in Berlin noch über die Schuldenbremse diskutiert wird, hat Paris längst verstanden, dass Europa ohne deutsche Führungsrolle in der Verteidigung nicht handlungsfähig ist.
Der deutsche Wohlstand, so unerschütterlich er jahrzehntelang erschien, ruht auf einem Fundament, das zunehmend Risse bekommt. Jahrzehntelang haben wir uns auf den Schutzschirm der USA verlassen, in der Hoffnung, dass ein transatlantisches Sicherheitsversprechen mehr wert sei als eigene Abschreckung. Doch während deutsche Politiker noch in alten Denkmustern verhaftet sind, hat sich die Welt längst weitergedreht. Das Zeitalter der Naivität ist vorbei. Eine Wirtschaftsmacht wie Deutschland kann es sich nicht leisten, sicherheitspolitisch im Schongang zu operieren. Man mag über Rüstungsausgaben geteilter Meinung sein, doch ein starker, souveräner Staat benötigt eine handlungsfähige Armee. Das wussten schon die alten Römer, deren Wahlspruch lautete: „Si vis pacem, para bellum“ – Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor.
Natürlich sind Investitionen in Bildung und Infrastruktur ebenso essenziell. Aber nicht in die Art von Bildung, die in endlosen Reformen versandet, sondern in echte Exzellenz. Es reicht nicht, Milliarden in ein marodes Schulsystem zu pumpen, wenn der Unterrichtsausfall chronisch bleibt und Lehrpläne mehr an gesellschaftspolitische Umerziehungsprogramme als an Wissensvermittlung erinnern. Und Infrastruktur bedeutet nicht nur das feierliche Durchschneiden von Bändern für Prestigeprojekte, sondern vor allem funktionierende Straßen, Schienen und digitale Netze, die mehr leisten als einen tröpfelnden Mobilfunkempfang.
Doch genau hier liegt das Problem: Die Politik formuliert genau dies als Ziel – mehr Mittel für Verteidigung, Bildung und Infrastruktur. Aber ohne flankierende Effizienzmaßnahmen und ohne klare Begrenzung der Mittel kann aus einer notwendigen Investition ein Fass ohne Boden werden. Die geplante Grundgesetzänderung sieht vor, dass alle Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausgenommen werden – eine Entscheidung, die weitreichende Folgen haben könnte. Denn sobald die Definition von „Verteidigung“ erst einmal gedehnt wird, lassen sich plötzlich auch Brücken, Digitalprojekte oder wirtschaftliche Subventionen darunter subsumieren. Der Staat hat sich damit ein bemerkenswert flexibles Instrument geschaffen, das ihm erlaubt, nach Belieben Schulden aufzunehmen, ohne sich einschränken zu müssen.
Während der Staat Milliarden aufnimmt, müssen Familienunternehmer jeden Euro zweimal umdrehen. Ein Unternehmen kann nicht dauerhaft mehr ausgeben, als es einnimmt – der Staat anscheinend schon. Das Problem: Schulden lassen sich politisch verkaufen, Sparsamkeit dagegen eher selten. Der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan bemerkte einst spöttisch: „Regierung ist nicht die Lösung unserer Probleme, Regierung ist das Problem.“ Ganz so einfach ist es nicht. Eine funktionierende Regierung kann gestalten, kann Rahmenbedingungen setzen und kann auch Geld in die Hand nehmen. Doch sie muss dabei das tun, was Unternehmer täglich tun: Priorisieren, effizient wirtschaften und an die nächste Generation denken.
Der Unterschied zwischen einem verantwortungsvollen Unternehmer und der Politik ist ein fundamentaler: Ein Familienunternehmer denkt in Generationen, ein Politiker in Legislaturperioden. Während in Familienunternehmen die Frage lautet, wie man den Betrieb an die Enkel übergibt, ohne ihn mit untragbaren Lasten zu beschweren, denkt so mancher Minister eher darüber nach, wie man sich die Wiederwahl sichert. Heute Geld auszugeben, das morgen jemand anderes zurückzahlen muss, ist politisch betrachtet eine geniale Strategie – ökonomisch aber eine tickende Zeitbombe.
Die entscheidende Frage lautet also nicht, ob Deutschland investieren soll – sondern wie. Schulden sind nicht per se schlecht, wenn sie klug eingesetzt werden. Ein Familienunternehmer würde einen Kredit aufnehmen, um eine neue Maschinenhalle zu bauen oder eine zukunftsweisende Technologie zu entwickeln. Er würde sich aber nicht verschulden, um damit Weihnachtsfeiern zu finanzieren oder überzogene Gehälter für seine eigene Verwaltung zu zahlen. Ein Schuldenberg, der in Bürokratie und Klientelpolitik versickert, ist keine Zukunftsinvestition, sondern ein Generationenballast. Eine Investition in ein starkes, verteidigungsfähiges Europa, in kluge Köpfe und in eine leistungsfähige Infrastruktur dagegen wäre nur dann ein kluger Schachzug, wenn sie von echter Effizienz und einer klaren Kontrolle begleitet wird.
Der Mittelstand weiß, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht mit dem Griff zur Kreditkarte beginnt. Er weiß aber auch, dass man investieren muss, um langfristig erfolgreich zu sein. Also, liebe Politik: Ja zu Schulden – aber bitte wie Unternehmer. Eine solide Finanzierung, eine messbare Erfolgsbilanz und die Bereitschaft, sich an der Realität zu orientieren, anstatt an Wunschvorstellungen. Oder wie Ludwig Erhard es formulierte: „Es gibt keinen bequemen Weg zurück zu solider Finanzpolitik – nur den Weg der Vernunft.“ Und das wäre doch ein Anfang.