Neumueller notiert - Chef sucht Nähe.

Neumueller notiert: Chef sucht Nähe, Home Office verboten – Ein radikaler Schritt in die Vergangenheit?

Veröffentlicht von

Wenn es um das rechte Maß geht, scheint uns Deutschen ein altes Zitat von Aristoteles wie auf den Leib geschneidert: „In der Mitte liegt die Tugend.“ Doch seien wir ehrlich: Wer sich in unseren Breitengraden umsieht, stellt fest, dass wir das Prinzip der goldenen Mitte gerne mal ignorieren. Da reißen wir uns jahrelang für den Chef im Büro die Beine aus – oder wir verschanzen uns plötzlich komplett im heimischen Refugium, kaum dass wir die Möglichkeit zum Homeoffice entdeckt haben. Ganz so, als wäre das eine oder andere Extrem die einzig wahre Lösung. Das Familienunternehmen Brose hat nun jüngst in diesem Sinne reagiert und – zum Entsetzen vieler – ein HomeOffice-Verbot ausgesprochen.

Zugegeben, ein radikaler Schritt. Denn die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass das Arbeiten von zu Hause zahlreiche Vorteile birgt: Keine endlosen Staus, mehr Zeit für den Nachwuchs, und zwischendurch kann man sogar die Jogginghose tragen, ohne schiefe Blicke zu ernten. Gleichzeitig ist das Büro aber keineswegs nur ein Ort der Zwänge und Stechuhren. Im Gegenteil: Dort entsteht oft diese einzigartige Dynamik, wenn man an der Kaffeemaschine ganz spontan ein Problem wälzt – ohne, dass erst ein Zoom-Link verschickt werden muss. Und wer in einem Familienunternehmen wie Brose arbeitet, weiß um den Wert der direkten Begegnung. Hier haben häufig schon Generationen von Mitarbeitern gemeinsam gelacht, gestritten, sich wieder versöhnt – eben wie in einer Familie.

Doch jetzt also die eiserne Vorgabe: Raus aus der Küchen-Nische, rein ins Großraumbüro. Da reibt man sich verwundert die Augen und fragt sich: Wieso so extrem? Denn wie schon Kurt Tucholsky einst sagte: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“ Man mag das Verbot noch so verständlich begründen – nach dem Motto, „Wir wollen Nähe und familiären Zusammenhalt“ – am Ende fühlen sich viele Angestellte vor den Kopf gestoßen, weil sie ihre lieb gewonnenen Freiräume wieder verlieren.

Glücklicherweise sind wir aber keine Marionetten. Natürlich kann man als Arbeitnehmer die Vorzüge des Büros würdigen. Wer ehrlich ist, weiß: Im Büro geht so manches schneller, beim spontanen Griff über die Schreibtischkante zum Kollegen ist manches Missverständnis in Sekunden aus dem Weg geräumt, das in der schier endlosen E-Mail-Schleife ewig geköchelt hätte. Auch spürt man die Stimmung im Team direkter, wenn man nicht im digitalen Niemandsland sitzt. Trotzdem muss doch die Devise lauten: nicht alles oder nichts, sondern „Sowohl als auch“ – eben der Aristotelische Mittelweg.

Man könnte im Idealfall ein paar Tage im Büro sein, die Kollegen live und in Farbe erleben – und an anderen Tagen seine Routinen in Ruhe zuhause pflegen. Eine solche Vereinbarung würde vermutlich zufriedene (und dadurch produktivere) Mitarbeiter hervorbringen. Doch hierzulande eiern wir gerne zwischen den Polen: entweder 100 Prozent Büropräsenz oder 100 Prozent Heimkuschelmodus. Dabei wäre ein kluger Kompromiss doch nichts anderes als angewandte Vernunft. Es wirkt fast so, als hätten wir den schlichten Satz von Erich Kästner vergessen: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Und zum Guten gehörte vielleicht auch, dass man sich nicht durch rigide Verbote gegenseitig vergrault.

Ob Brose nach der ersten Empörungswelle wieder zurückrudert, bleibt abzuwarten. Der Chef sucht Nähe – das ist sicher nachvollziehbar. Schließlich kann man ein familiäres Betriebsklima nicht vollends digital simulieren. Doch wer den Mitarbeitern die Wahl komplett entzieht, riskiert eben Unmut. Möglicherweise entdecken wir Deutschen ja irgendwann doch noch unsere Liebe zur Mitte. In dem Sinne: ein bisschen Büro-Trubel, ein wenig Heim-Entspannung – fertig wäre die wahrscheinlich beste Rezeptur für eine moderne Arbeitswelt. Ganz ohne Verbote, dafür mit einem Quäntchen Vertrauen und gesundem Menschenverstand.