Dr. Marco Henry Neumueller mit Niklas Harzer

FiFo Talk mit Niklas Harzer über den Weg vom Manager zum familienfremden Inhaber bei Hahnreiter Gewindetechnik

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Niklas Harzer ist CEO der Hahnreiter Gewindetechnik, Remscheid.

Marco Henry Neumueller: Zum 1. Januar 2025 hast du Hahnreiter Gewindetechnik vollständig von der Familie Becker übernommen. Wie bist du auf das Unternehmen aufmerksam geworden und was hat dich überzeugt, diesen Schritt zu gehen?

Niklas Harzer: Ich habe ganz bewusst gesucht – über zwei Jahre habe ich mich intensiv durch Plattformen wie die Deutsche Unternehmensbörse und „NextChange“ gearbeitet und in dieser Zeit sicher über 100 Unternehmen kontaktiert, neben meinem damaligen Job. Hahnreiter war das dritte Unternehmen, bei dem sich eine realistische Kaufmöglichkeit ergab; die ersten beiden habe ich aus verschiedenen Gründen selbst abgesagt. Über einen Makler kam der persönliche Kontakt zustande, und mein erstes Gespräch mit Christian Becker drehte sich eine Stunde lang ausschließlich um Technologie – da merkten wir schnell, dass wir in denselben Netzwerken unterwegs sind. Beeindruckt hat mich an Hahnreiter die ausgeprägte Passion für Werkzeuge und Produktionstechnologie. Christian Becker lebt dieses Unternehmen mit großer Bodenständigkeit – genau das hat mich überzeugt, diesen Schritt zu gehen, trotz aller Hürden, die eine Übernahme mit sich bringt.

Marco Henry Neumueller: Du kommst nicht aus der Inhaberfamilie, sondern hast dir bewusst ein Traditionsunternehmen gesucht. Was hat dich an der Idee gereizt, als Externer ein Familienunternehmen zu übernehmen und fortzuführen?

Niklas Harzer: Ich hatte das Glück, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die mich gefördert und gefordert haben. Schon früh durfte ich international reisen, Dinge aufbauen und war mit 28 in der Geschäftsleitung eines mittelständischen Unternehmens. Karrierepfade bis hin zur (alleinigen) Geschäftsführung waren vorstellbar – und dennoch fühlte ich mich oft wie ein Passagier: Mit viel Verantwortung, aber am Ende gab es immer jemanden über mir, der Entscheidungen aus strategischen Gründen stoppte. Ich wollte nicht mit Mitte 50 feststellen, dass ich mein Leben lang für andere gearbeitet habe und dann nicht mehr ins Bild passe. Der zentrale Antrieb war Selbstverwirklichung: mir selbst zu beweisen, dass ich etwas Eigenes aufbauen kann – der materielle Aspekt ist dabei zweitrangig.

Marco Henry Neumueller: Du bist erst 33 Jahre alt und hast dennoch ein traditionsreiches Unternehmen komplett übernommen. Wie ist es dir gelungen, in so jungen Jahren die Voraussetzungen für diesen Kauf zu schaffen – und was würdest du anderen jungen Menschen raten, die einen ähnlichen Weg gehen möchten?

Niklas Harzer: Fachlich komme ich aus der Industrie; das ergibt sich aus Studium und Berufserfahrung. Kulturell hat mir geholfen, nach meiner Zeit im Großkonzern auch über 5 Jahre in einem erfolgreichen mittelständischen Unternehmen gearbeitet zu haben– sonst wäre der Schritt in den Mittelstand als Inhaber schwerer gewesen. Was mir fehlte, war Private-Equity-Know-how. Also habe ich mich hingesetzt und mir Basics und Details selbst erarbeitet: Unternehmensbewertung, Bilanz lesen, Liquiditätssteuerung. Wie bei einer Sprache – ohne Übung vergisst man vieles –, deshalb habe ich mich konsequent reingearbeitet. Parallel habe ich mir ein Netzwerk aufgebaut, mit der IHK gesprochen, Anwälte und Steuerberater eingebunden und eine steuerlich sinnvolle Struktur entwickelt.

Das größte Thema war die Finanzierung. Ich habe das „große Problem“ in handhabbare Teile zerlegt: Welche Sicherheiten wird eine Bank verlangen? Welche Nachweise zur eigenen Eignung? Was muss der Businessplan leisten? Zu jedem Baustein habe ich Gespräche geführt, Informationen zusammengetragen und die Punkte nacheinander abgearbeitet. Mein Rat: Große Vorhaben in kleine, lösbare Schritte zerlegen. Ich habe lange damit gerechnet, dass irgendwann jemand mit einem großen roten Stoppschild kommt – aber es kam nicht. Bis heute hat das gut funktioniert.

Marco Henry Neumueller: Welche Prioritäten hast du in den ersten Wochen nach der Übernahme gesetzt? Gab es Themen, die du sofort angegangen bist, oder hast du zunächst beobachtet?

Niklas Harzer: Als ich mich Ende November in Remscheid vorgestellt habe, war ich noch in der Schweiz angestellt. Mir war wichtig, den Mitarbeitenden gleich zu Beginn zu signalisieren: Das ist mein Lebenstraum. Ich verlasse eine sehr gute Position und die Schweiz – nicht um Produktion zu verlagern oder Stellen abzubauen, sondern um in Remscheid mit Hahnreiter etwas aufzubauen.
Mit meinem Start vor Ort im April bin ich vier bis sechs Wochen ganz bewusst in die Produktion gegangen: mitarbeiten, mitbefüllen, mitsortieren. Ich wollte das „Was“ und „Wie“ des Unternehmens wirklich verstehen, um auf Augenhöhe entscheiden zu können. Parallel stand – wie derzeit in vielen mittelständischen Industriebetrieben –eine herausfordernde Zeit durch zurückgegangenen Auftragseingang im Raum. Zu meinen Aufgaben zählten daher auch Liquiditätssicherung, Tilgung im Blick behalten, neue Partner gewinnen, Umsätze steigern und das Netzwerk ausbauen. Es war (und ist) eine Doppelbelastung, aber man sieht bereits die ersten Früchte.

Marco Henry Neumueller: Wofür steht Hahnreiter Gewindetechnik deiner Meinung nach heute besonders – was macht ihr besser als andere – und wohin willst du das Unternehmen in den kommenden Jahren entwickeln?

Niklas Harzer: Hahnreiter ist der Gewindespezialist – dieses Image möchte ich bewahren. Gleichzeitig will ich die Fertigungstiefe erweitern, etwa in Richtung Oberfläche und Wärmebehandlung, weil sich dort Innovationsvorsprünge aufbauen lassen. Historisch hat sich Hahnreiter bewusst nicht auf Größe fokussiert, sondern auf seine Nische. Größere Wettbewerber mussten – gerade mit Blick auf die Automobilindustrie – Komplettpakete anbieten. Unser Ansatz ist ein anderer: In unserer Nische sind wir die Spezialisten. Nicht selten schicken uns Mitbewerber Kunden, wenn ein speziell gefordertes Werkzeug außerhalb ihres Fokus liegt, insbesondere im Sonderwerkzeugbereich. Diese Rolle als verlässlicher Partner in Bereichen, in denen die Großen nicht unterwegs sind, möchte ich gezielt ausbauen.

Marco Henry Neumueller: Hahnreiter wurde über sechs Generationen von der Familie Becker geführt. Welche Traditionen und Werte möchtest du unbedingt bewahren – und wo willst du eigene Akzente setzen?

Niklas Harzer: Zwei Dinge sind mir besonders wichtig: Erstens die Passion für Technologie und Werkzeuge – die ist bei Hahnreiter außergewöhnlich stark ausgeprägt. Zweitens die Loyalität zu Partnern: In der Vergangenheit wurden Verkaufsregionen sogar zugunsten kleiner Vertriebspartner geschützt. Dazu kommt die lange Betriebszugehörigkeit vieler Mitarbeitender – 15, 20 oder 25 Jahre – ein wertvolles Gut, das heute selten ist. Das möchte ich bewahren.
Verändern will ich vor allem die interne Ausrichtung: Bisher hing vieles an einer Person. Ich kenne meine Stärken und Schwächen gut – und ich wäre der schlechteste Werkzeugschleifer im Betrieb. Deshalb verteilen wir Verantwortung auf mehrere Schultern und stärken Spezialistenrollen, etwa in Qualitätssicherung, Marketing oder Vertrieb. Nur so entsteht eine robuste Organisation, die über einzelne Personen hinaus tragfähig ist.

Marco Henry Neumueller: Wenn wir in drei Jahren erneut miteinander sprechen – woran sollen Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Kunden erkennen, dass du die Führung übernommen hast?

Niklas Harzer: Schon heute verteilen wir Aufgaben und Verantwortung schrittweise auf mehrere Schultern. Das macht uns effizienter und stärkt die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen. Für Kundinnen und Kunden werden Dinge einfacher, weil nicht mehr eine einzelne Person für viele Belange zuständig ist. Inhaltlich bleiben wir klar positioniert: Wir wollen der Gewindespezialist sein und in diesem Bereich wachsen – auch, indem wir über den Gewindebohrer hinaus die gesamte Bandbreite verwandter Verfahren abdecken. So untermauern wir unser Profil nachhaltig.

Marco Henry Neumueller: Ganz herzlichen Dank für diesen offenen und sympathischen Austausch.