Axel Breitling ist CFO der CHT Gruppe in Tübingen.
Marco Henry Neumueller: Die CHT Group feiert im Jahr 2023 ihr 70-jähriges Firmenjubiläum. Das Unternehmen ist jedoch in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Wo liegen die Ursprünge?
Axel Breitling: Der Gründer, Reinhold Beitlich, war immer der Meinung, dass man seinen Kunden gut verstehen und nah bei ihm sein müsse, um erfolgreich zu sein. Daher liegen die Ursprünge des Unternehmens auch im schönen Tübingen. Denkt man 70 Jahre zurück, so war die Region der Schwäbischen Alb bekannt für ihre Textilindustrie. Es war damals ein recht großer Wirtschaftszweig in Süddeutschland. So kam es auch, dass in einer Stadt wie Tübingen, die man eigentlich nicht mit der Chemieindustrie in Verbindung bringt, ein Spezialchemieunternehmen im Textilbereich Fuß fasste. In der Zwischenzeit sind wir etwas weiter. Wir alle wissen, wie sich die Textilindustrie in den letzten 70 Jahren verändert hat. Das ist sicherlich ein Grund dafür, weshalb wir heute sehr international aufgestellt sind. Man ist auch hier wieder seinem Kunden gefolgt. Diese Erfolgsmaxime von Reinhold Beitlich gilt auch noch 70 Jahre danach.
Marco Henry Neumueller: CHT ist in der jüngeren Vergangenheit durch anorganisches Wachstum aufgefallen und hat im vergangenen Jahr die 500 Millionen Euro Umsatz geknackt. Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft und wohin möchte sich das Unternehmen in 5 bis 10 Jahren entwickeln?
Axel Breitling: Nachdem unser letzter Strategiezyklus Ende 2020 auslief, haben wir uns Zeit genommen, uns neu aufzustellen und zu definieren, wohin wir wollen. Diese Diskussion wurde vor dem Hintergrund der jüngsten Coronakrise sicherlich nochmals differenzierter geführt. Wir haben für uns einen klaren Wachstumspfad definiert und dieser Pfad soll dazu führen, dass wir in fünf Jahren, also im Jahre 2025, € 750 Mio. Umsatz als Gruppe erreichen. Wir wollen also weiter profitabel wachsen. Das Wachstum kommt aus unterschiedlichen Bereichen. Im Bereich der Textilindustrie wachsen wir nach wie vor sehr solide. Aber wir sehen auch noch andere Bereich, im Sinne der Anwendung oder auch regional, wo wir noch stärker wachsen können. Dabei wird Asien eine besondere Rolle spielen. Aber auch in anderen Geschäftsfeldern sehen wir noch Wachstumspotentiale, insbesondere im Bereich der Industrieanwendungen. Hier denke ich insbesondere an die Bereiche Elektronik, Automobilindustrie oder auch an die Baubranche – alles interessante Bereiche für die Spezialchemie.
Auch anorganischem Wachstum stehen wir offen gegenüber. Wir hatten in der Vergangenheit einige erfolgreiche Akquisitionen. Optionen sehen wir uns sehr regelmäßig an und wir sind auch weiterhin bereit, anorganische zu wachsen – sofern es passt. Ob es passt, ist für uns vielmehr eine Frage der Technologie. Wir kaufen in aller Regel keine Märkte. Wir sind vielmehr stolz auf unser Know-how und Wissen und auch auf den ein oder anderen USP bei der Technologie oder besonderen Produkten. Ergänzungen in der Technologie, ob kleinerer oder größerer Art, schauen wir uns gerne an. Das wäre dann ein zusätzlicher Booster.
Zu den anderen Herausforderungen: Abgesehen davon, dass profitables Wachstum immer eine besondere Herausforderung ist, müssen wir uns auch die Supply Chain näher ansehen. Das Thema beschäftigt in der momentanen Lage alle Unternehmen. Es ist eine globale Aufgabe in der Zukunft, Lieferketten resistenter aufzustellen.
Was uns tragen wird, sind die sogenannten Booster-Themen in der Strategie. Da wäre das Thema Digitalisierung; hier fragen wir uns, wie wir Digitalisierung im Sinne von Prozessoptimierungen aber auch in Bezug auf geschäftsrelevante Themen für uns und unsere Partner nutzen können. Digitalisierung wird auch an der Schnittstelle zum Kunden relevant werden. Hier haben wir bereits erste Ansätze, beispielsweise mit Smart Glasses in unserem Bereich „Washing Solutions“, so können wir uns remote aufschalten und sehen live, was der Kollege in der Wäscherei tatsächlich für ein Problem hat. Dies bietet interessante Ansatzpunkte für die Zukunft.
Seit Jahren bewegt uns das zweite große Thema Nachhaltigkeit. Wir widmen uns diesem Thema sehr intensiv – auf dem Weg zur CO2-Neutralität. Wir wollen mit unseren Produkten und Lösungen durch einen geringeren Energieaufwand oder geringeren Wasserverbrauch einen Beitrag zur Ressourcenschonung leisten. Wir gehen sogar so weit, dass wir auf manche Geschäfte verzichten, die nicht langfristig nachhaltig sind.
Marco Henry Neumueller: Familienunternehmen oder auch Stiftungsunternehmen als ehemalige Familienunternehmen zeichnen sich für gewöhnlich durch eine besondere Unternehmenskultur aus. Wie würden Sie diese bei CHT beschreiben?
Axel Breitling: Bei der CHT empfinde ich es als sehr gute Mischung zwischen einem starken Anker und einer besonderen Verwurzelung in den Themen, die uns über viele Jahre erfolgreich gemacht haben, und der Neugier nach Neuem mit dem Willen weiterhin erfolgreich zu sein. Diese Mischung, diese Balance begleitet uns schon seit Jahrzehnten. Man findet viele Themen, die der Gründer in unsere DNA eingepflanzt hat und welche sich über Generationen weitertragen. Ebenso setzen wir uns ambitionierte Ziele stellen uns den Herausforderungen der Zukunft und moderne Konzepte und Methoden an In Summe eine gute Balance, um sich nachhaltig weiterentwickeln zu können. Auf der einen Seite wollen wir das Gute der Vergangenheit nicht vergessen, halten daran fest und entwickeln uns weiter. Auf der anderen Seite öffnen wir uns auch neuen Dingen und setzen konsequent um.
Vielleicht entwickeln wir uns als Familien- oder Stiftungsunternehmen nicht an allen Stellen so schnell weiter, wie es Konzerne mit ihren Strukturen können, zumal wir die Themen Nachhaltigkeit und Durchhaltevermögen in den Mittepunkt stellen. Die Kultur der CHT ist stark werte- und mitarbeiterorientiert. Schon der Gründer, und das hat sich über die Jahre auch im Management nicht geändert, war der Überzeugung, dass das Wichtigste unsere Kunden und Mitarbeiter sind. In sie wollen wir investieren, sie immerzu für uns begeistern und einen Mehrwert bieten. An diesem Punkt unterscheidet sich die DNA von einem Familienunternehmen dann schon. Neulich hat es ein Mitarbeiter in einem unserer Kulturzielworkshops – unser Kulturzielbild entwickeln wir regelmäßig weiter – auf den Punkt gebracht, als er sagte: Die CHT ist ein Unternehmen mit Herz. Wenn man genau darüber nachdenkt, stimmt das. Wir haben ein großes Herz und das lässt ganz viel Raum und Offenheit. Gleichzeitig wir wissen genau, woher wir kommen.
Marco Henry Neumueller: Welche Rolle spielen die beiden Stiftungen und ist die Gründerfamilie Beitlich heute noch in irgendeiner Form präsent?
Axel Breitling: Ich fange mit dem zweiten Teil Ihrer Frage an. Die Gründerfamilie, Herr und Frau Beitlich, sind schon vor vielen Jahren verstorben. Ich hatte leider nicht mehr das Glück, Sie persönlich kennenzulernen. Die nachfolgende Generation ist weder in der operativen Führung noch in den Stiftungen heute mehr präsent. Das Gründerehepaar hat damals entschieden, dass ihr Lebenswerk, die CHT, in Stiftungen eingebracht wird, um es gegen alle Unwägbarkeiten der Zukunft abzusichern.
Es gibt zwei Stiftungen – eine gemeinnützige Stiftung und eine Familienstiftung.,DieFamilienstiftung dient ganz klassisch als Aufsichtsgremium. Hier trifft man sich zu Stiftungsratssitzungen, vergleichbar mit Beirats- oder Aufsichtsratssitzungen in anderen Unternehmen. Wir verstehen unseren Stiftungsrat als Sparringspartner
Die gemeinnützige Stiftung erhält jedes Jahr eine Dividende, mit welcher soziale Projekte unterstützt werden – in Tübingen aber auch weltweit. Gerade da häufig das Thema „higher purpose“ diskutiert wird, ist es für alle bei der CHT ein besonderer Anreiz und damit Teil unserer DNA. Wir arbeiten also nicht nur für unsere Kunde und um erfolgreich zu sein, um in die Zukunft investieren zu können und die Arbeitsplätze absichern zu können. Wir haben auch diesen Stiftungszweck ständig im Kopf präsent. Wir leisten also auch einen gesellschaftlichen Beitrag mit unserer Geschäftstätigkeit.
Marco Henry Neumueller: Sie sind selbst Fremdmanager. Welche Eigenschaften benötigt Ihrer Meinung nach ein familienexterner Manager auf C-Level in einem Familienunternehmen um erfolgreich zu sein?
Axel Breitling: Da gibt es sicherlich viele Eigenschaften, die man benennen könnte. Ich möchte einige ansprechen, die ich persönlich für wichtig halte. Zum einen braucht man eine Wertorientierung. Das Unternehmen muss zu einem passen. Die Wertorientierung darf nicht nur ein Marketingplakat im Besprechungsraum sein, wie es bei vielen Unternehmen hängt, man muss sich schon damit identifizieren können und den Weg mitzugehen bereit sein. Wenn einem das nicht liegt, ist man im Familienunternehmen vermutlich falsch.
Darüber hinaus hilft es, wenn man sehr an der Sache orientiert ist. In Familienunternehmen stehen immer Familien im Hintergrund. Da gibt es auch mal unterschiedliche Strömungen. Man tut sehr gut daran, wenn man sich sehr an der Sache orientiert zeigt und damit das Unternehmen in den Mittelpunkt seines Handelns stellt.
Auch bin ich davon überzeugt, dass man Einfühlungsvermögen braucht. Egal ob Familien- oder Stiftungsunternehmen – es gibt unterschiedliche Bedürfnisse und Haltungen zum Thema Unternehmertum. Man muss sich darauf einlassen können und auch Verständnis dafür haben, wenn manche Dinge anders entschieden werden als in anonymen Konzernstrukturen, in denen noch mehr auf Basis von Zahlen, Daten und Fakten entschieden wird. Das soll übrigens nicht heißen, dass wir nicht Zahlen, Daten und Fakten basiert bewerten und agieren. Wir haben eine klare Vorstellung wo wir hin wollen und klare Ziele formuliert..
Auch eine gewisse Form der Solidarität oder Loyalität braucht es, wenn es um Unternehmerfamilien geht. Man ist nicht nur ein anonymer Manager, man ist Teil einer Gemeinschaft und da braucht es etwas mehr als „nur“ professionelles Verhalten und C-Level-Management. Da muss sprichwörtlich auch die Chemie stimmen, sonst wird es schwierig.
Und letztlich glaube ich braucht man gerade im Umfeld von Familien- und Stiftungsunternehmen ein Gespür für Timing und Geschwindigkeit; gerade weil man dort manchmal andere Prozesse vorfindet als in kapitalmarktorientierten Unternehmen. Es mag sich bestimmt manchmal etwas langsamer anfühlen. Aber gerade auch mit einer langfristig orientierten Sichtweise kann man Dinge bewegen und im Nachgang betrachtet ist es vielleicht einfach nur eine etwas andere Art, Dinge anzugehen und zu bewegen.
Marco Henry Neumueller: Bitte vervollständigen Sie den Satz: In einem Familienunternehmen bzw. Stiftungsunternehmen tätig zu sein, bedeutet für mich…
Axel Breitling: …einen unternehmerischen Gestaltungsspielraum im Sinne der Mitarbeiter und der Kunden nutzen zu können. Das ist etwas, was mich persönlich sehr stark antreibt. In diesem Zusammenhang erlebe ich auch ein besonderes Vertrauen was einem entgegengebracht wird. Es ist nicht vergleichbar mit einem anonymen Aktionär oder anonymen Investoren. In diesen Unternehmen gibt es Menschen im Hintergrund, einen Eigentümer, mit dem man in einer Beziehung steht. Auf Basis dessen bekommt man einen unglaublichen Gestaltungsspielraum im unternehmerischen Sinne.
Marco Henry Neumueller: Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.