Georg Stawowy (Bürkert Gruppe) mit Dr. Marco Henry Neumueller

FiFo Talk mit Georg Stawowy über Zuversicht, Innovationskraft und den Mut zur Veränderung

Veröffentlicht von

Georg Stawowy ist CEO der Bürkert Gruppe in Ingelfingen .

Marco Henry Neumueller: Herr Stawowy, Sie haben im April 2023 die CEO-Position bei Bürkert Fluid Control Systems übernommen. Was hat Sie daran gereizt, ein Familienunternehmen wie Bürkert zu führen? Und welche Ihrer bisherigen Erfahrungen – etwa aus Ihrer Zeit als Innovationsvorstand – helfen Ihnen nun dabei, diese Rolle erfolgreich auszufüllen?

Georg Stawowy: Mit Anfang 50 kam für mich ganz persönlich der Moment, innezuhalten und mich zu fragen: Was möchte ich in meinem Berufsleben noch erreichen? Ich war viele Jahre in der Industrie tätig, habe Verantwortung getragen, Prozesse optimiert und Organisationen weiterentwickelt – aber eine CEO-Rolle hatte ich bis dahin noch nicht ausgeübt. Gleichzeitig verspürte ich zunehmend, dass meine Stärken nicht mehr in der reinen technischen Tiefe lagen – also nicht im klassischen CTO- oder COO-Verständnis –, sondern vielmehr in der übergreifenden Steuerung eines Unternehmens, im General Management. Ich hatte Lust, in der ersten Reihe zu stehen und ein Unternehmen nicht nur mitzugestalten, sondern in seiner Gesamtheit zu führen.

Meine Zeit bei Lapp war in dieser Hinsicht prägend. Ich war dort über zehn Jahre tätig – mit stets gleichbleibendem Titel, aber stark veränderter Aufgabenstellung. Anfangs lag mein Fokus stark auf den Produktionsstandorten, später dann auf Geschäftsentwicklung, und schließlich verantwortete ich als Innovationsvorstand ein sehr breites Feld. Ich bekam immer tiefere Einblicke in strategische Fragestellungen und war eng in die Unternehmensentwicklung eingebunden. Das Vertrauen, das mir dort entgegengebracht wurde – auch vonseiten der Inhaber –, hat mich persönlich und fachlich enorm wachsen lassen. Ich hatte das Gefühl, wirklich gehört zu werden, meine Einschätzungen hatten Gewicht, was mir das Selbstbewusstsein gegeben hat, den nächsten Schritt zu wagen.

Ich habe mir damals ein klares Suchraster erstellt: Ich wollte in ein großes, international agierendes Familienunternehmen, idealerweise mit Sitz in Baden-Württemberg. Was ich bei Bürkert gefunden habe, war dann schon ein Glücksfall. Ein Unternehmen, das nicht nur gesund ist, sondern auch über eine außergewöhnlich starke Kultur verfügt. Die Eigentümer agieren mit hoher Verantwortung und Weitsicht, die Mitarbeitenden sind hoch identifiziert. Und ich habe das Gefühl, dass ich hier gestalten kann – mit meiner Haltung, meinen Ideen und meiner Überzeugung, wie man ein Unternehmen in die Zukunft führt. Es fühlt sich richtig an. Und um ehrlich zu sein: Ich glaube nicht, dass ich diese Aufgabe heute in dieser Form ausüben könnte, wenn ich nicht die Jahre zuvor bei Lapp so intensiv erlebt hätte.

Marco Henry Neumueller: Bürkert wurde 1946 gegründet und hat sich zu einem weltweit führenden Anbieter von Fluidik-Lösungen entwickelt. Welche Stärken erwachsen aus dieser langen Tradition eines Familienunternehmens? Und wie fördern Sie gleichzeitig den Innovationsgeist, der für den globalen Wettbewerb unerlässlich ist?

Georg Stawowy: Die lange Tradition ist für Bürkert ein ganz zentraler Bestandteil der Unternehmensidentität. Sie schafft Vertrauen – sowohl intern bei den Mitarbeitenden als auch extern bei unseren Kunden. Wenn man als Unternehmen über viele Jahrzehnte hinweg erfolgreich ist, dann strahlt das Stabilität und Verlässlichkeit aus. Das spüren nicht nur unsere Partner, sondern auch unsere Teams weltweit. Unsere Mitarbeitenden sind häufig viele Jahre, manchmal Jahrzehnte im Unternehmen – das ist in dieser Form selten geworden. Und diese Kontinuität bringt uns einen enormen Erfahrungsschatz.

Gleichzeitig müssen wir diese Stärke mit etwas kritischeren Augen betrachten: Denn dort, wo Erfahrung zur Selbstverständlichkeit wird, droht auch die Gefahr, dass Neues schwieriger Einzug findet. Manchmal wird zu schnell gesagt: „Das haben wir immer so gemacht“ – und das kann Innovation ausbremsen. Unsere Aufgabe ist es daher, Tradition nicht als starres Konstrukt zu sehen, sondern als Fundament, auf dem wir Neues aufbauen können.

Ich ziehe da gerne den Vergleich zum Fußball: Die Vereinsgeschichte ist wichtig, aber sie gewinnt kein Spiel. Entscheidend ist, wie wir uns heute aufstellen – wie schnell, flexibel und mutig wir agieren. Und das gilt auch für Bürkert. Wir müssen uns immer wieder fragen: Was bedeutet unser traditionelles Selbstverständnis in einer Welt, die sich technologisch und geopolitisch permanent verändert?

Ich sehe den eigentlichen Wert der Tradition darin, dass sie uns daran erinnert, was alles möglich ist. Unser Gründer ist in den 60er-Jahren nach Frankreich gegangen, in den 70ern in die USA und später nach Asien – ohne digitale Tools, ohne internationale Ausbildung. Er ist einfach losgezogen, weil er davon überzeugt war. Diese Haltung, dieser Mut – das ist etwas, worauf wir heute aufbauen können. In einer Welt, in der chinesische Anbieter 50 Prozent günstiger sind, fragen sich viele, ob wir als deutsche Mittelständler da noch mithalten können. Ich sage: Ja! Wir haben in der Vergangenheit schon mehrfach bewiesen, dass wir aus wenig viel machen können. Und genau darin liegt unsere Chance. Die Innovationskraft steckt in unserer Geschichte – wir müssen sie nur wieder aktivieren.

Marco Henry Neumueller:  Für Sie ist die digitale Transformation ein zentrales Thema. Was bedeutet das konkret für einen Fluidikspezialisten wie Bürkert? Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie in der Digitalisierung – sowohl in Ihren Produkten als auch in internen Prozessen?

Georg Stawowy: Digitalisierung ist für uns kein nice-to-have, sondern absolute Notwendigkeit – sowohl um wettbewerbsfähig zu bleiben als auch, um unseren Kunden neue Mehrwerte bieten zu können. Intern bedeutet das vor allem, Prozesse zu automatisieren, Abläufe zu verschlanken und Daten intelligent zu nutzen. Wir haben in den letzten Jahren stark in IT und digitale Infrastruktur investiert – viele neue Mitarbeitende eingestellt, neue Systeme eingeführt. Was dabei oft übersehen wird: Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es geht um saubere, konsistente Stammdaten, um standardisierte Prozesse und um Grundlagenarbeit, die nicht sofort sichtbar wird, aber langfristig überlebenswichtig sind.

Ein gutes Beispiel: Wir haben aktuell über 50.000 Kunden und mehr als eine Million verkaufsfähige Artikel. Allein die Pflege dieser Daten ist eine Herkulesaufgabe – aber ohne sie funktioniert keine Automatisierung, keine KI, keine digitale Innovation. Es braucht also Menschen, die jahrelang Grundlagen schaffen, ohne dass man sofort einen ROI (Anm. d. Red.: Return on Invest) sieht. Das sorgt intern natürlich auch mal für Unruhe: Da wird gefragt, warum wir gerade so viel im Bereich Digitalisierung investieren, während andere Bereiche sparen müssen. Aber ich bin überzeugt: Wenn wir das jetzt nicht tun, zahlen wir in fünf Jahren den Preis dafür.

Auf der Produktseite verfolgen wir zwei große Linien. Zum einen arbeiten wir an digitalen Zwillingen – also der Möglichkeit, Anlagen schon vor dem physischen Aufbau virtuell in Betrieb zu nehmen. Das spart Zeit, Geld und erhöht die Planungssicherheit. Dafür brauchen wir detaillierte digitale Modelle unserer Komponenten – und natürlich die Kooperation mit unseren Kunden und Lieferanten. Der zweite Punkt ist die Intelligenz in unseren Produkten: Ein Ventil ist kein banales Bauteil, sondern sitzt an der Schlüsselstelle eines Prozesses. Wenn wir es schaffen, dieses Ventil intelligent zu machen – etwa in Abhängigkeit von Temperatur, Druck oder Viskosität dynamisch zu regeln –, entsteht echter Mehrwert. Heute haben erst wenige Prozent unserer Produkte eine digitale Schnittstelle, weil viele Kunden noch sehr konservativ agieren. Aber ich bin sicher: Das wird sich bald ändern. Und darauf bereiten wir uns aktiv vor.

Marco Henry Neumueller: Bürkert gilt als werteorientiertes Unternehmen mit starker Kultur und als attraktiver Arbeitgeber. Welche Aspekte dieser Unternehmenskultur haben Sie besonders beeindruckt? Und wie pflegen oder entwickeln Sie diese Werte im Unternehmensalltag weiter?

Georg Stawowy: Was mich bei Bürkert wirklich beeindruckt hat, ist die Tiefe der gelebten Kultur. Es gibt ein ehrliches Miteinander, eine echte Orientierung an Werten wie Respekt, Vertrauen und Augenhöhe – und das ist nicht nur eine Folie auf der PowerPoint. Vor allem in der Geschäftsführung habe ich erlebt, wie sachlich und unaufgeregt Themen diskutiert werden. Es gibt keine versteckten Agenden, kein Gegeneinander – sondern ein echtes gemeinsames Interesse an der Sache. Das ist nicht selbstverständlich.

Aber natürlich gibt es auch Felder, an denen wir arbeiten müssen. Eine solche wertschätzende Kultur kann in manchen Bereichen auch zu einer gewissen Behäbigkeit führen. Es ist schön, wenn alle miteinander auskommen – aber es muss auch sichtbar werden, wer Leistung bringt. Wir müssen noch stärker eine Leistungskultur etablieren, in der Anstrengung, Einsatz und Erfolg nicht nur gesehen, sondern auch benannt und gewürdigt werden. Es geht dabei nicht um Ellenbogenmentalität, sondern um Fairness. Wer sich reinhängt, soll das Gefühl haben, dass es gesehen und geschätzt wird. Daran arbeiten wir – mit Fingerspitzengefühl, aber auch mit Klarheit.

Marco Henry Neumueller:  Nachhaltigkeit ist für Bürkert ein zentrales Anliegen. Was bedeutet für Sie persönlich nachhaltiges Wirtschaften? Und welche Initiativen haben Sie angestoßen, um das Unternehmen auf diesem Weg voranzubringen?

Georg Stawowy: Nachhaltigkeit beginnt für mich mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme: Wo stehen wir, was sind unsere größten Hebel, und wie können wir sie effizient nutzen? Bei Bürkert liegt der größte Einfluss nicht im eigenen Gebäude, sondern in den Anwendungen unserer Produkte bei den Kunden. Wenn wir also dafür sorgen, dass ein Prozess beim Kunden energieeffizienter läuft, dann sparen wir dort CO₂ in einer Größenordnung, die mit unserer eigenen Photovoltaikanlage nie erreichbar wäre. Deshalb ist unser Fokus: Produkte entwickeln, die helfen, Emissionen im Betrieb zu senken.

Aber natürlich nehmen wir auch unsere eigene Verantwortung ernst. Wir haben mit der Science Based Targets Initiative (SBTI) einen klaren Fahrplan, der auf wissenschaftlichen Grundlagen beruht – keine wohlklingenden Absichtserklärungen, sondern konkrete Reduktionsziele. Und wir wissen genau, was wir investieren müssen, um diese Ziele zu erreichen. Ich habe das mit den Gesellschaftern transparent besprochen: Es braucht etwa 27 Millionen Euro Investitionen, um bis 2030 signifikante Fortschritte zu machen. Aber schon mit 7 Millionen erreichen wir 80 Prozent unseres Ziels. Und da kam von den Gesellschaftern ganz klar: Dann mach das. Worauf wartest du?

Was mir besonders wichtig ist: Nachhaltigkeit muss nicht nur in Excel-Sheets auftauchen, sondern im Denken der Menschen. Wir müssen unsere Mitarbeitenden sensibilisieren, ihnen Möglichkeiten geben, sich einzubringen – von Biodiversitätsprojekten bis hin zu nachhaltigem Materialeinsatz in der Produktentwicklung. Und das geht nur, wenn wir Vorbild sind und das Thema ernsthaft verankern.

Marco Henry Neumueller: Die Wirtschaft und Ihre Branche befinden sich in einer Phase großer Unsicherheit und schnellen Wandels. Wie gehen Sie persönlich mit dieser Dynamik um? Und wie schaffen Sie es, Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Veränderungen mitzunehmen und zu motivieren? 

Georg Stawowy: Es gibt ein schönes Zitat von Immanuel Kant: „In schwierigen Zeiten ist Zuversicht eine Pflicht.“ Das nehme ich mir sehr zu Herzen. Denn ja, wir leben in einer Zeit, in der Unsicherheiten und Veränderungen an Tempo zunehmen. Das kann belasten – auch mich persönlich. Deshalb achte ich stärker als früher auf meine Balance: Sport, Rückzug, Reflexion. Ich versuche, mich innerlich zu sortieren, bevor ich nach außen gehe.

Denn meine Überzeugung ist: Wer führt, muss Zuversicht ausstrahlen. Die Menschen im Unternehmen haben ein Recht darauf, dass ihre Führungspersönlichkeiten Orientierung geben. Auch – oder gerade – wenn die Lage komplex ist. Und ich versuche das, indem ich Entscheidungen treffe, auch wenn sie unangenehm sind. Indem ich offen kommuniziere, was wir wissen – und was wir (noch) nicht wissen. Und indem ich zeige: Wir investieren in die Zukunft. Allein in den letzten Monaten haben wir an drei Standorten große Investitionen getätigt. Das ist ein klares Signal: Wir glauben an das, was kommt.

Veränderung ist nie einfach. Aber sie ist nötig. Und ich glaube, wenn wir sie gemeinsam gestalten, dann kann aus Unsicherheit sogar Energie entstehen.

Marco Henry Neumueller: Herzlichen Dank für dieses zuversichtliche Gespräch.