Dr. Stefan Wolf, Vorstandsvorsitzender der ElringKlinger AG in Dettingen an der Erms
Marco Henry Neumueller: Lieber Herr Wolf, Sie sind seit 23 Jahren für das Familienunternehmen ElringKlinger tätig. Was motiviert Sie an diesem Unternehmen so, dass Sie auch noch nach dieser langen Zeit jeden Morgen gerne ins Büro fahren und wie gut aufgestellt sehen Sie das Unternehmen für die Zukunft?
Stefan Wolf: Zum einen, weil es natürlich ein total spannendes Unternehmen ist; in einer spannenden Branche. Die berühmte „Faszination Auto“ trifft auch auf mich zu. In so einer Branche tätig sein zu dürfen, ist für mich etwas Besonderes. Zweitens motiviert mich derzeit das Thema Transformation. Wir befinden uns in einer Phase, in der sich die Automobilindustrie komplett wandeln wird. Ich vergleiche das immer gerne mit der Zeit, in der wir die Pferdekutsche gegen das Auto eingetauscht haben. Diesen Wandel aktiv mitgestalten zu können, motiviert mich. Man könnte fast sagen, ich bin heute motivierter als vor 23 Jahren, als ich zu ElringKlinger kam, da wir in einer ganz besonderen Zeit leben. Vor uns liegen wahnsinnig interessante Zeiten. Wie entwickeln sich die verschiedenen Märkte? Was wird aus der Elektromobilität? Was wird sich durchsetzen, Brennstoffzellen- oder Batterietechnologie? Ich bin übrigens ein absoluter Verfechter der Brennstoffzelle. Wir in Deutschland haben in diesem Umfeld leider ein relativ schlechtes Image. Wir müssen es schaffen, das Image dieser für Deutschland wichtigen Industrie wieder auf Vordermann zu bringen. In diesem Umfeld finden sich auch sehr viele Familienunternehmen, das Rückgrat der deutschen Industrie. Hier möchte ich meinen Teil dazu beitragen. Hier nutze ich auch meine Verbandsarbeit im VDA oder bei der Südwestmetall. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in der Zuliefererindustrie für den Verbrennungsmotor führend in Deutschland sind. Wir wollen und müssen jedoch auch in den neuen Antriebskonzepten in der Zukunft führen sein. Dafür arbeite und kämpfe ich.
„Ich bin übrigens ein absoluter Verfechter der Brennstoffzelle. Wir in Deutschland haben in diesem Umfeld leider ein relativ schlechtes Image. Wir müssen es schaffen, das Image dieser für Deutschland wichtigen Industrie wieder auf Vordermann zu bringen.“
Dr. Stefan Wolf
ElringKlinger sehe ich sehr gut aufgestellt für das, was vor uns liegt. Dies liegt aber auch daran, dass wir die Weichen schon vor vielen Jahren richtig gestellt haben. Im Unternehmen haben wir im Grunde zwei Geschäftsfelder: Das klassische Geschäft, rein auf den Verbrennungsmotor ausgerichtet. Dies sind Zylinderkopfdichtungen, alle anderen Dichtungen im Motor, Getriebe; Abschirmteile dort, wo Heißteile wegen Hitzeempfindlichkeit abgeschirmt werden müssen, aber auch Kunststoffgehäuseteile wie Ölwannen, Ventilhauben – das ist klassisches Verbrennungsmotorgeschäft. Dazu zähle ich im Übrigen auch unser sehr erfolgreiches Ersatzteilgeschäft. Hinzu kommt, dass wir schon vor 20 Jahren gemerkt haben, dass sich etwas ändern wird. Irgendwann wird es neue Antriebskonzepte geben: Ob es der Klimawandel sein wird oder der allgemeine gesellschaftliche Wandel sei dahingestellt. Für uns war klar, dass wir, auf Grund der Abhängigkeit zum Verbrennungsmotor, etwas tun müssen. Wir bei ElringKlinger waren es, die als erster in die Brennstoffzellenentwicklung eingestiegen sind, wo wir heute führend sind und einen der sicherlich leistungsfähigsten Brennstoffzellen-Stacks anbieten können. Vor etwa 15 Jahren waren wir dann unsicher, ob sich tatsächlich die Brennstoffzelle als alleinige Zukunftstechnologie entwickeln würde und sind zudem in die Entwicklung von Komponenten der Lithium-Ionen-Batterie eingestiegen. Heute haben wir in diesem Bereich bereits verschiedene Aufträge, unter anderem zur Herstellung von Batteriemodulen. Wir haben also einmal vor etwa 20 Jahren und vor 15 Jahren die Weichen für das Thema Mobilität gestellt.
Sicherlich hat auch Dieselgate die Automobilwelt komplett verändert. Das Thema alternative Antriebe hat dadurch nochmal eine ganz andere Dynamik erhalten. Somit sehe ich unser Unternehmen als einen Zulieferer, der mit am besten aufgestellt ist.
Marco Henry Neumueller: Herr Wolf, Sie hatten eben erwähnt, dass die „Faszination Auto“ auch Sie angesteckt hat. Darf ich fragen, welchen Dienstwagen Sie fahren?
Stefan Wolf: Natürlich. Ich habe zwei Dienstwägen. Zum einen habe ich eine Mercedes S-Klasse für die langen Strecken und einen Tesla X für die Kurzstrecken.
Marco Henry Neumueller: Corona hat die deutsche Wirtschaft auf eine Bewährungsprobe gestellt. Wie sind Ihre Eindrücke als Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall. Wie ist die aktuelle Stimmung unter den Unternehmen?
Stefan Wolf: Ich unterscheide hier mal zwischen Lage und Stimmung. Die Lage ist derzeit besonders schwierig; besonders bei vielen Zulieferern, da wir mit massiven Einbrüchen zu kämpfen hatten. Wir hatten Werkschließungen weltweit, die Monate April und Mai waren heftig. Der Juni war etwas besser. Die Märkte, insbesondere China, sind über Plan, da läuft es wieder richtig gut. Auch in den USA läuft es recht gut. Dort waren schlichtweg die großen Parkplätze der Händler leer. Allerdings muss man bedenken, dass in den USA auch ein anderes Käuferverhalten herrscht. Dort überlegt die Familie morgens beim Frühstückstisch „oh I buy a new car today“, gehen zum local dealer, laufen über den Hof und lassen am Ende ihr Wunschfahrzeug zu. Deswegen findet man in den USA riesige Parkplätze mit vielen Auto, damit man eine Auswahl hat. Es gibt Untersuchungen, dass die Parkplätze nur noch zu 20% bestückt waren. Die Frage ist natürlich nun, ob dann auch Autos gekauft werden. Während China und die USA wieder gut laufen, ist Europa praktisch auf null und liegt total darnieder. Dies ist sicherlich zum einen klar coronabedingt. Hinzu kommt die Schwierigkeit der fehlenden Planbarkeit. Wir alle wissen nicht genau, ob es zu einer zweiten Welle kommen wird.
Die Stimmung hingegen ist verhalten positiv. Egal mit welchem Unternehmer ich spreche; ich ermutige alle dazu, ihre Leute zu motivieren und ihnen zu klar zu machen, die Situation wird nicht die nächsten zehn Jahre so bleiben, wir schaffen das gemeinsam. Daher bin ich der Überzeugung: Die Stimmung ist besser als die aktuelle Lage.
Marco Henry Neumueller: Eine überdurchschnittlich lange Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter ist in Familienunternehmen meist üblich. Bei ElringKlinger haben sich darüber hinaus alle Vorstände im Unternehmen hochgearbeitet, was durchaus nicht üblich ist. Was macht ElringKlinger hier anders?
Stefan Wolf: Wir haben immer sehr früh erkannt, wen wir entwickeln wollen, und das gilt auch für meinen Vorgänger Herrn Dr. Lerchner. Er hat das Unternehmen nicht nur sehr lange geführt, sondern sich auch sehr frühzeitig überlegt, wen er als Nachfolger haben möchte und hat mich dann auch richtig gut aufgebaut. Das war manchmal brutal, das war eine harte Schule, aber da muss man durch, wenn man in eine solche Position kommen möchte; das war für mich klar. Dasselbe gilt für Herrn Becker, meinen langjährigen Produktionsvorstandskollegen, welcher sehr eng mit dem früheren Produktionsvorstand zusammen gearbeitet hat und von ihm gezielt auf diese Position vorbereitet wurde. Er sah in Herrn Becker einen richtigen „Produktioner“. Unsere beiden Vorgänger hatten uns sehr intensiv entwickelt und schon sehr früh die Idee, dass sie uns nominieren werden. Man achtet ganz besonderes darauf, dass Menschen zueinander passen. Sie dürfen und sollten komplett andere Themenfelder besetzen, aber menschlich zueinander passen; dann gibt es auch keine Reibereien. Herr Becker hat mir niemals irgendwo in mein Ressort reingeredet und umgekehrt genauso nicht, da ich es auch nicht konnte, zumal mir die Kenntnisse in der Produktion, in Verfahren, in Materialien fehlen.
Die beiden anderen amtierenden Vorstandskollegen, Herr Jessulat und Herr Drews wurden über viele Jahre von Herrn Becker und mir aufgebaut. Wenn man so einen Weg geht, hat man den Vorteil, dass dann Menschen im Vorstand sitzen, die das Unternehmen zu 100% kennen, die wissen, wie das Unternehmen und die Menschen ticken und wie man mit ihnen umgehen muss.
Ein Unternehmen ist immer nur so gut wie die Mitarbeiter. Der Bezug zu Menschen ist mit das Wichtigste. Ein Vorstand muss akzeptiert werden. Die Mitarbeiter müssen Vertrauen in ihn haben, dass er der Richtige für den Job ist, dass er Ideen hat, dass er den Arbeitsplatz sichert. Wenn man als Führungskraft keine Akzeptanz in der Position findet, hat man ein richtiges Problem.
Marco Henry Neumueller: Wann ist man Ihrer Meinung nach für eine Karriere in einem Familienunternehmen geeignet?
Stefan Wolf: Die Menschen müssen ein Gespür dafür haben, wie Unternehmerfamilien und Familienunternehmen ticken. Wenn Sie ein reiner Technokrat sind, wenn Sie so ein Mensch sind, der über viele Jahre in der Unternehmens- und Strategieberatung unterwegs war, der ist da meist völlig fehl am Platz. Obwohl die Familie Lechler vor 141 Jahren den Grundstein für das Unternehmen gelegt hat und nur noch mit einer Person im Aufsichtsrat vertreten ist, brennen sie auch noch heute für das Unternehmen. Die Menschen sind ihnen wichtig. Ihnen ist auch wichtig, dass es keine abgehobenen, harten und nicht nachvollziehbaren Managerentscheidungen gibt. Wenn Sie nicht ein gewisses Gespür und Gefühl haben, wenn Sie nicht das Herzblut mitbringen, wenn Sie nicht so ticken, wie Familienunternehmer ticken, dann sind Sie als externer Manager in einem Familienunternehmen völlig verloren. Sie werden dann in der Belegschaft keine Akzeptanz finden. War davor eine Person am Ruder, der sich um die Mitarbeiter gekümmert hat und dem die Mitarbeiter besonders am Herzen lagen, wird jemand, dem nur Zahlen wichtig sind, nicht ankommen. Ich möchte damit nicht sagen, dass Zahlen nicht wichtig seien. Sie sind sogar extrem wichtig, um ein Unternehmen zu steuern und es profitabel wachsen zu lassen. Als familienexterner Manager müssen Sie jedoch auch eine Portion Empathie mitbringen. Mit Empathie lässt sich jeder auch noch so harte Schritt erklären, selbst notwendige Einsparungen auf der Zahlenebene werden dann verstanden und akzeptiert. Hier sehe ich viele externe Manager in Familienunternehmen scheitern, wenn ihnen die empathische Ebene fehlt.
„Als familienexterner Manager müssen Sie jedoch auch eine Portion Empathie mitbringen. Mit Empathie lässt sich jeder auch noch so harte Schritt erklären, selbst notwendige Einsparungen auf der Zahlenebene werden dann verstanden und akzeptiert. Hier sehe ich viele externe Manager in Familienunternehmen scheitern, wenn ihnen die empathische Ebene fehlt.“
Dr. Stefan Wolf
Marco Henry Neumueller: Familienunternehmen und Mittelständlern wird vielfach fehlende Innovations- und Digitalisierungsfähigkeit unterstellt. Was glauben Sie, wie kommt es zu dieser negativen Einschätzung?
Stefan Wolf: Weil sie zum Teil stimmt. Es gibt ja durchaus verschiedene Aspekte dieser aktuellen Coronakrise, die auch positiv sind. Ein positiver Aspekt davon ist, dass es schonungslos aufgedeckt hat, dass Digitalisierung wichtig ist, dass viele Dinge digital gemacht werden können und dass wir da Fortschritte brauchen. Sie glauben gar nicht, wie viele Familienunternehmen bei Südwestmetall plötzlich kein Problem mehr mit einer virtuellen Mitgliederratssitzung haben; das wäre vor einem Jahr noch ganz anders gewesen. Wir haben nun eine Situation, die wirklich dazu geführt hat, dass auch ältere Unternehmer mit dem Thema Digitalisierung ganz anders umgehen. Das ist gut so und das ist der große Vorteil dieser Corona-Krise.
In Bezug auf die Innovationsfähigkeit und die Innovationen, die bei uns im Land entstehen, ist es manchmal schon ungerecht zu sagen, die Deutschen und insbesondere die Familienunternehmen sind nicht mehr innovationsfähig. Es gibt ganz viele tolle technische Innovationen, die aus deutschen Familienunternehmen kommen. Es liegt aber immer auch an den handelnden Personen. Die Familienunternehmer wissen ganz genau, dass es ohne Innovation kein Wachstum und kein Fortbestand gibt. Da empfinde ich es manchmal etwas ungerecht, wie da mit unseren Familienunternehmen umgegangen wird.
Marco Henry Neumueller: Worauf sind Sie in Ihrem Leben richtig stolz?
Stefan Wolf: Ich bin stolz darauf, dass ich das Unternehmen ganz gut weiterentwickelt habe. Ich habe es seinerzeit als Vorstandsvorsitzender mit 450 Millionen Euro Umsatz übernommen. Wir hatten letztes Jahr einen Umsatz von 1,7 Milliarden Euro. Wir haben die Profitabilität deutlich gesteigert, wir haben die Mitarbeiterzahl deutlich anwachsen lassen, wir haben das Unternehmen mit den Themen Brennstoffzelle und Batterietechnologie sehr innovativ ausgerichtet, so dass wir heute an einem Punkt sind, wo wir sehr positiv in die Zukunft blicken können. Da bin ich schon stolz darauf, dass ich da die richtigen Entscheidungen getroffen habe, die richtigen Themen angesprochen habe; vor allem zu einer Zeit, in der noch keiner über alternative Antriebstechnologien gesprochen hatte. Vor 20 Jahren hatten mich alle als verrückt erklärt, dass ich so viel Geld für die Brennstoffzellenentwicklung ausgegeben habe. Heute sind unsere Brennstoffzellen-Stacks sehr gefragt am Markt. Natürlich sind das aber immer auch Gemeinschaftsentscheidungen zusammen mit Bereichsleitern und Entwicklern; aber am Ende tragen sie als Vorstandschef die Verantwortung dafür.
Privat bin ich stolz darauf, dass ich mich öffentlich zu meinem Lebensgefährten bekannt habe und wir jetzt auch eine schöne Zeit miteinander haben können.
Marco Henry Neumueller: Bitte vervollständigen Sie den Satz: In einem Familienunternehmen tätig zu sein, bedeutet für mich….
Stefan Wolf: …nah bei den Menschen zu sein, empathisch zu sein, aber trotzdem klar und hart Regeln zu definieren, Zahlen zu definieren, Vorgaben zu machen und diesen Drahtseilakt erfolgreich zu meistern.
Marco Henry Neumueller: Herr Wolf, ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses Gespräch.
Über Dr. Stefan Wolf
Dr. Stefan Wolf (Jg. 1961) schloss eine Banklehre ab und studierte anschließend Rechtswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. 1994 wurde er unter Herrn Prof. Oppermann zum Dr. jur. promoviert.
Dr. Stefan Wolf war von 1994 bis 1997 als Rechtsanwalt bei der Kanzlei Thümmel, Schütze & Partner beschäftigt. Im Jahr 1997 trat er als Syndikusanwalt in die Elring Klinger GmbH ein. Von 1998 bis 2000 war er Bereichsleiter Recht und Personal bei der Elring Klinger GmbH. Mit dem Börsengang der ElringKlinger AG im Jahr 2000 übernahm Dr. Stefan Wolf zusätzlich die Leitung der Abteilung Investor Relations und Kapitalmarktbetreuung. 2004 wurde er zum Generalbevollmächtigten des Vorstands der ElringKlinger AG berufen und 2005 zum Sprecher des Vorstands ernannt.
Seit 2006 ist Dr. Stefan Wolf Vorsitzender des Vorstands und verantwortlich für die Konzerngesellschaften, die Zentralbereiche Business Development, Recht, Personal, Investor Relations und Unternehmenskommunikation, den Geschäftsbereich Ersatzteile sowie den Vertrieb Erstausrüstung.
Weitere Mandate
- Mitglied im Aufsichtsrat der Allgaier Werke GmbH, Uhingen
- Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Südwestmetall
- Mitglied im Vorstand des Verbands der Automobilindustrie (VDA)
- Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen/Tübingen/Zollernalb
- Mitglied im Aufsichtsrat der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW)
Bildquelle: ElringKlinger