Dr. Klaus F. Erkes ist Geschäftsführer der Zollern GmbH & Co. KG in Sigmaringen.
Marco Henry Neumueller: Die Zollern GmbH kann auf eine lange Tradition zurückblicken: Mit ihrer über 300-jährigen Geschichte ist sie das älteste noch existierende Familienunternehmen Baden-Württembergs. Was zeichnet Zollern aus?
Klaus F. Erkes: Ich glaube, die Antwort kann man aus der Natur übernehmen. Was zeichnet eine Art aus, die heute noch lebt und die es vor Millionen von Jahren auch schon gab? Die Anpassungsfähig-keit, also die Fähigkeit zur positiven Evolution. Was meine ich damit: Wir haben hier am Standort, wo ich mich gerade befinde, im Jahre 1708 angefangen, Bodenerze abzubauen, die sich darüber befindlichen Bäume abzusägen, mit den Bäumen ein Feuerchen zu machen und Eisenerz zu schmelzen. Das war der Beginn einer langen industriellen Tradition. Naturgemäß wäre das schnell zu Ende gewesen, wäre man nicht auf die Idee gekommen, sich evolutionär weiterzuentwickeln. Sich ständig weiterzuentwickeln liegt in der DNA dieses Unternehmens. Vom Eisen kam man zur Kupferlegierung und dann überlegte man, was man daraus für Produkte machen könnte. So kam man zu den Gleitlagern. Also von der Metallkompetenz über eine Legierungskompetenz hin zur Metallgießerei und zum Schmieden. Darauf folgte der Feinguss.
Irgendwann musste man sich die Frage stellen, welche Weiterentwicklung mit den Produkten möglich ist, da man naturgemäß mit jedem Produkt natürliche Grenzen in seinen Wachstumsmöglichkeiten erfährt. In den 1970er Jahren fing man dann an, sich auf die Antriebstechnik zu fokussieren. Man startete ein neues Geschäftsfeld „from the scratch“. Auch das ist eine Kompetenz, die man entwickelt: Von Null mit einem neuen Thema zu starten. Die Antriebstechnik ist mittlerweile unser größtes Geschäftsfeld, mit dem wir heute auch international tätig sind.
Ein weiterer Vorteil ist, dass wir in der Organisation nicht alles unter ein Dach geholt haben, sondern auch neuen Unternehmen die Luft geben, die sie brauchen, um sich anders zu entwickeln als das Mutterhaus. Märkte sind nun mal unterschiedlich. Das ist die eine Säule, die Evolution, der Mut für Neues und natürlich auch die Akzeptanz unterschiedlicher Kulturen unterhalb eines Daches
Dies gepaart mit der Tradition dynastischer Familien, die eine gewisse Gelassenheit mitbringen, auch Dinge jenseits der Quartalberichte zu tun. Das ist sicherlich die zweite Säule. Jenseits von Quartalsdenken denkt man langfristig und zeichnet sich nicht durch „short-term thinking“ aus. Wenn man von etwas überzeugt ist, dann fängt man auch mit etwas Neuem an.
Marco Henry Neumueller: Seit etwa 13 Jahren sind Sie nun Geschäftsführer. Was muss Ihrer Ansicht nach ein familienfremder Manager mitbringen, um langfristig in einem Familienunternehmen erfolgreich sein zu können?
Klaus F. Erkes: Zunächst einmal sind Familienunternehmen immer sehr stark regional, mitarbeiterorientiert und auch sozial orientiert. Das heißt, wenn sich jemand für ein Familienunternehmen entscheidet, muss er zunächst auch diese Werte akzeptieren. Dort hat soziale Kompetenz einen besonders hohen Stellenwert. Soziale Kompetenz den Mitarbeitern gegenüber. Wir haben hier bei uns Mitarbeiter in der achten Generation. Es werden Arbeitsplätze quasi vererbt. Man muss diese ganzen Usancen mögen. Man muss die Strukturen mögen, man muss die Menschen mögen. Man muss auch dieses nicht urbane Umfeld mögen. Ganz viele Familienunternehmen findet man in nicht urbanem Umfeld. D.h., dort findet ein anderes soziales Leben statt. Da ist die Werksfeuerwehr wichtig, da ist die Hüttenkapelle wichtig, da sind die Jubilarfeiern wichtig. Man kommuniziert mit den Menschen auf einer anderen Ebene. Man begrüßt sich auch mit Handschlag. All das muss man mögen. Ich persönliche mag das. Wenn jemand ein zahlengetriebener Mensch ist und von sich selbst behauptet, dass er amerikanisch reportingorientiert denkt, ist er im Familienunternehmen falsch; das wird man dann meist auch nicht überleben. Darüber hinaus ist auch eine gewisse soziale Kompetenz den Eigentümern gegenüber wichtig. Dies hat mehrere Aspekte. Einerseits muss den Unternehmerfamilien ein natürlicher Respekt gezollt werden, andererseits muss man auch in dosierter Weise Innovationen hineinbringen und Überzeugungsarbeit leisten. So lebt man im positiven Sinne den zukunftsorientierten Konflikt. Gleichzeitig gilt es, sicherzustellen, dass die Werte nicht verloren gehen. Schwinden die Werte, verlassen Mitarbeiter das Unternehmen, erkennen Eigentümer ihr Unternehmen nicht mehr. So entstehen große Konflikte. Insofern bedarf es in einem Familienunternehmen immer Personen, die über eine höhere soziale Kompetenz verbunden mit einer natürlichen Authentizität und Autorität verfügen, um die unterschiedlichen Stakeholder im positiven Sinne bespielen zu können.
Marco Henry Neumueller: Welche Rolle spielt die fürstliche Familie, aber auch die Familie Merckle, und wie autonom können Sie Entscheidungen treffen?
Klaus F. Erkes: 50% des Unternehmens gehört dem Fürsten von Hohenzollern und die anderen 50% Ludwig Merckle. Insofern haben wir hier zwei unterschiedliche Unternehmerfamilien. Wobei, zugegeben, die Hohenzollern sicherlich den längeren Anteil in der Geschichte begleitet haben. Das Haus Hohenzollern ist die Identifikationsfigur, die Mitarbeiter sind stolz hier zu arbeiten. Das sagen sie hier auch im tiefsten Schwäbisch: „I schaff beim Fürschd“. Der Fürst ist eine besondere Respektsperson. Das hat unterschiedliche Gründe. Dem Unternehmen ging es auch mal sehr schlecht. Der Vater vom heutigen Fürsten hat damals große Teile seines Privatvermögens in das Unternehmen investiert. Das rechnen die Mitarbeiter der fürstlichen Familie heute noch hoch an. Das tägliche Geschäft überlässt der Fürst im hohen Vertrauen bewusst mir. Das ist auch eine Leistung des dynastischen Hauses Hohenzollern: extremes Vertrauen zu schenken. Bei den richtigen Menschen ist extremes Vertrauen der größte Motivator. Dennoch tauschen wir uns informell unregelmäßig aus. Gesellschafterversammlungen sind hier deutlich seltener als woanders. Man hat hier einen besonders hohen Freiheitsgrad.
Die Unternehmerfamilie Merckle ist zwar erst seit 1989 dabei, sie stellt sich aber auch in diese Tradition. Das ist natürlich eher die Stuttgarter pietistische Tradition im Vergleich zum Fürstenhaus. Jede Sichtweise hat aber hier ihre Vorteile für das Unternehmen. Auch die Familie Merckle hält sich extrem zurück und lässt sehr hohe Freiheitsgrade. Mit großem Vertrauen bleiben beide Familien bewusst hinter den Kulissen.
Marco Henry Neumueller: Zollern ist über die vergangenen Jahre häufig durch anorganisches Wachstum aufgefallen. Welche Rolle spielt anorganisches Wachstum für Ihr Unternehmen und wie stellen Sie die anschließende Integration sicher?
Klaus F. Erkes: Das Thema anorganisches Wachstum hat gerade jetzt durch die Coronakrise in vielen Branchen an Bedeutung gewonnen. Wir stecken inmitten einer besonderen Transformations-situation. In jüngster Vergangenheit habe ich mit einigen Bankern und Beratern diskutiert. Man sieht das dort auf breiter Front. Ein Blick in die automobilistische Welt mit ihren Zulieferern und dem Maschinenbau zeigt schrumpfende Märkte. Es stellt sich die Frage, ob bei schrumpfenden Märkten organisches Wachstum allein überhaupt möglich ist oder es aus Notwendigkeit der Innovation wichtig wird, auch an anorganisches Wachstum zu denken.
Sicherlich gibt es da auf der einen Seite die Philosophie des „last man standing“. Das ist eine Philosophie, die man verfolgen kann. Dies bedeutet, in Märkte, die kleiner werden, zu konsolidieren, um zumindest ansatzweise Skaleneffekte zu generieren. Der Nachteil der Nische ist, hinten ist die Wand. Also braucht man doch wieder eine gewisse Größe, um auch in der Nische erfolgreich sein zu können. Preise sind entscheidend. Da es dann doch einer gewissen Größe bedarf, habe ich unser Gleitlagergeschäft in das Joint Venture mit Miba eingebracht. Sie müssen heute drei Mal so viel innovieren wie früher. Einerseits müssen die bestehenden Produkte weiterentwickelt werden, es müssen parallel neue Produkte geschaffen werden und zusätzlich kommt der Umweltschutz hinzu, welcher neue Materialien voraussetzt. Beispielsweise wird erwartet, dass man bleifrei entwickelt. Das sind drei Entwicklungsstränge bei gleichzeitig schrumpfenden Märkten. Wenn man in Märkten wie diesen unterwegs ist, kann man das alles nur leisten, wenn man eine gewisse Größe hat. Dazu bedarf es dann Zusammenschließungen von Unternehmen. Das ist eine Motivation für das anorganische Wachstum. Die Kleinheit der Nische ist eine andere. Sicherlich sind wir in der Vergangenheit durch die ein oder andere Übernahme in Erscheinung getreten. Man muss dabei natürlich immer das Augenmerk auf das Übernahmetarget richten und sich fragen, ob das Unternehmen auch zu einem passt. Wenn das Unternehmen gleiche Produkte herstellt, wird es auf eine intensivere Integration hinauslaufen, als wenn ich ein Unternehmen erwerbe, das ich als eigenständiges Geschäftsfeld weiterlaufen lassen kann.
Wenn wir ein Unternehmen kaufen, das zu einem unserer bestehenden Geschäftsfelder passt, dann sollten am Ende des Tages auch die Strukturen einheitlich sein. Das bedarf dann auch, dass man die Mitarbeiter des neuen Unternehmens in unsere bestehende Kultur einführt.
Wenn es Unternehmen sind, die in keinem ähnlichen Geschäftsfeld tätig sind, die also nicht integriert werden müssen, dann bin ich ein Freund von großen Freiheitsgraden. Es braucht dann ein funktionierendes Management vor Ort. Das Unternehmen hat seine eigene DNA und diese darf dann auch erhalten bleiben. Mein Motto lautet dann: „Don`t repair what is not broken.“ Warum soll man etwas ändern, was funktioniert? Dann geht es vor allem darum, dass das Leitungsteam des gekauften Unternehmens an mich und die Holding gewöhnt wird. Wir haben gewisse Reportingroutinen, Geschäftsfeldreviews. Diese sind nicht verhandelbar. Da hilft es immer, dass man von Anfang an offen anspricht, was man erwartet. Am Ende des Tages sollen das auch keine Einschränkungen sein, sondern eine Frage von Corporate Governance. Ich bin ein Freund davon, dass man diesen Unternehmen ihre Freiheit und Eigenständigkeit lässt. Ich lasse bewusst Unterschiede zu, wo sie dem Unternehmen helfen und nicht stören. Einem Unternehmen das Rückgrat zu brechen, ist das Gefährlichste was man machen kann.
Marco Henry Neumueller: Familienunternehmen und Mittelständlern wird seit einiger Zeit vielfach fehlende Innovations- und Digitalisierungsfähigkeit unterstellt. Wie kommt es zu dieser negativen Einschätzung und wie innovativ ist Zollern?
Klaus F. Erkes: Das ist eine recht komplizierte Frage. Woran liegt es, dass manche vielleicht nicht so innovationsfreundlich sind wie andere? Dazu muss man sich vor Augen führen, dass es in Deutschland ganz viele Unternehmen, darunter auch viele Familienunternehmen, gibt, die über Jahrzehnte hinweg gutes Geld verdient haben, die die Besten und Größten in dem waren, was sie taten – von ihren Kunden geliebt mit einem besonderen Geschäftsmodell. Denkt man nur an die vielen schwäbischen Automobilzulieferer, die teilweise gefühlt das My spalten und dies alles serienmäßig hinbekommen haben. Sicherlich haben diese Unternehmen in den letzten 30 Jahren alles richtig gemacht. Aus der Position der Stärke heraus grundlegenden Wandel anzustoßen, braucht Erkenntnis und Zeit. Im Gegenzug gibt es ganz viele Unternehmen, die erfrischend innovativ sind. Ich glaube, es gibt keine generelle Aussage. Es gibt ein paar Unternehmen, die gerade erst aufwachen und andere wiederum, die da schon ein ganzes Stück weiter sind.
Auf der anderen Seite ist das Thema Digitalisierung auch nicht für alles und jeden der alleinige Heilsbringer. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Natürlich finden Sie in unseren Getrieben heute auch Sensoren, d.h. es handelt sich hier um „sprechende Komponenten“, seien es elektrische oder hydraulische Lösungen, mit entsprechender Auswerteelektronik. Das ist in der Industrie state of the art, wenngleich wir die ersten sind, die so etwas in diesen Applikationen anbieten. Auf den Messen wurden wir dafür sehr bestaunt. So muss man immer berücksichtigen, bei welchem Produkt es sinnvoll und machbar ist und wo nicht. Beispielsweise braucht ein Turboladerrad so etwas nicht. Insofern ist Digitalisierung bei dem einen Produkt geboten, beim anderen nicht möglich und beim dritten nicht nötig.
Darüber hinaus gibt es die Digitalisierung der internen Abläufe. Diese Form der Digitalisierung ist für jedes Unternehmen ein Muss, zumal die Kunden irgendwann wissen wollen, wie weit ihr Auftrag ist und eine gewisse Transparenz erwarten. Auch hier ist es so, dass einige Unternehmen schon vorne mit dabei sind und andere haben es noch nicht einmal auf dem Schirm und sind absolute Nachzügler. Soweit mein Befund der Situation. Dies gilt aber nicht nur für Familienunternehmen, das findet man auch bei Aktiengesellschaften vor.
Hinzu kommt, dass man berücksichtigen muss, dass die absolute Transparenz auch nicht jeder möchte. Zu gläsern möchte man auch nicht werden. Ein weiterer Aspekt, der hier berücksichtigt werden sollte, ist die Tatsache, dass man zwar viele Daten über Sensorik und Speicherkomponenten erheben kann, oft hier aber noch am Anfang der Auswertemöglichkeit, d.h. der zutreffenden Analyse steht. Die Frage, wem die Daten gehören und wer für die Informationen haftet, ist final auch nicht geklärt. Zollern ist hier schon relativ weit. Wir verfügen über die entsprechenden Komponenten, haben Servicekonzepte entwickelt, Servicekonfigurationen, Produktkonfiguratoren und Auslegungssoftware. Kunden können über das Internet Getriebe konfigurieren.
Marco Henry Neumueller: Bitte vervollständigen Sie diesen Satz: Für ein Familienunternehmen tätig zu sein, bedeutet für mich…
Klaus F. Erkes: …Mitarbeiter, Werte, Traditionen und dynastisches Denken mit der notwendigen Zahlenorientierung so zu kombinieren, dass langfristig auch auf Innovation basierende Zukunft entsteht, oder in einem kurzen Satz: Das Gegenteil zum Quartalsdenken.
Marco Henry Neumueller: Ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses Gespräch.
Über Dr. Klaus F. Erkes
Dr.-Ing., Dipl.-Wirt.-Ing. Klaus F. Erkes studierte Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften an der RWTH Aachen, wo er 1988 bei Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Dr. h.c. mult. Walter Eversheim promovierte. Er war 11 Jahre im Vorstand, die letzten 7 Jahre Vorstandsvorsitzender der Schumag AG in Aachen, danach CEO der Demag Plastics Group in Schwaig und ist ab 2008 Geschäftsführer der Zollern GmbH & Co. KG in Sigmaringen. Er hält Beirats- und Aufsichtsratsmandate und ist Präsident des Unternehmensverbandes Landkreis Sigmaringen (UVS).
Über das Familienunternehmen ZOLLERN
Die ZOLLERN-Gruppe gehört mit ihrer über 300-jährigen Firmengeschichte zu den Pionieren der Metallbranche.
2.400 Mitarbeiter entwickeln, produzieren, verkaufen und betreuen eine breite Palette hochwertiger Metallprodukte. Mit mehreren Werken und Tochtergesellschaften in Europa, Amerika und Asien ist ZOLLERN in allen Industrieregionen der Welt vertreten.
Die ZOLLERN-Gruppe mit Konzernsitz in Laucherthal, Deutschland setzt sich aus den fünf Geschäftsbereichen Antriebstechnik, Feinguss, Sandguss und Schmiede, Stahlprofile sowie Maschinenbauelemente zusammen.
Die Kernbranchen von ZOLLERN sind Energieerzeugung, Fahrzeugtechnik, Luft- und Raumfahrt, marine Industrie, die Baumaschinenindustrie und der Maschinenbau.