Dr. Toralf Haag ist CEO und Vorsitzender der Konzerngeschäftsführung der Voith Group in Heidenheim an der Brenz.
Marco Henry Neumueller: Lieber Herr Haag, Voith feiert in diesem Jahr seinen 155. Geburtstag. Es gibt nicht allzu viele Familienunternehmen, die das von sich behaupten können. Glaubt man dem Zitat in Thomas Manns Buddenbrooks schaffen es wenige Familienunternehmen über die 3. Generation hinaus. Was ist Ihrer Meinung nach das Erfolgsgeheimnis von Voith?
Toralf Haag: Wir sind natürlich stolz auf unsere 155-jährige Geschichte. Wenn Sie sich Technologieunternehmen in Deutschland ansehen, ist Voith eines der wenigen, das seit so langer Zeit in denselben Technologien aktiv ist. Es sind viele Faktoren, die das Erfolgsgeheimnis von Voith ausmachen. Wir waren schon immer im Bereich der Wasserkraft tätig und wir haben von Anfang an Papiermaschinen hergestellt. Unsere langfristige Orientierung ist ein wesentlicher Teil unseres Erfolgs. Voith war immer in Familienbesitz und nie an der Börse. Wir haben immer auf Technologieführerschaft gesetzt und konnten dadurch eine Weltmarktposition aufbauen. Und last but not least sind unsere langfristigen Kundenbeziehungen zu nennen. Voith hat über Jahrzehnte mit vielen Kunden im Papiermarkt, im Wasserkraftmarkt, aber auch im Bereich Antriebstechnik langfristige Kundenbeziehungen aufgebaut, die ebenfalls dafür sorgen, dass es Voith heute noch gibt und dass die Kunden Voith weiter Vertrauen schenken.
Marco Henry Neumueller: Wir erleben aktuell herausfordernde Zeiten. Wie geht es den drei Konzernbereichen Hydro, Paper und Turbo aktuell? Konkret nachgefragt: Wie stark ist Voith von Lieferkettenengpässen und den steigenden Energiepreisen betroffen? Vor kurzem war der Presse zu entnehmen, dass Sie im ersten Halbjahr den Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 14% steigern konnten. Damit müssen Sie relativ zufrieden sein?
Toralf Haag: Mit der Umsatzentwicklung sind wir unter den gegebenen Umständen natürlich zufrieden. Wir sind in allen drei Bereichen stabil unterwegs. Sicherlich sind wir auch von den Verwerfungen bei den Lieferketten betroffen, aber nicht in dem Maße wie andere. Denn wir haben uns frühzeitig regional aufgestellt, das heißt in Europa, in Asien, in Nordamerika und in Südamerika. Voith hat langfristige lokale und regionale Lieferantenbeziehungen aufgebaut und einen regionalen Produktionsfußabdruck. Als Anlagenbauer spielen Energiekosten prozentual für uns keine so große Rolle, wie beispielsweise für die Chemieindustrie. Mittelfristig sind wir relativ gut gegen schwankende Energieverfügbarkeiten abgesichert, sowohl mengenmäßig als auch vom Preis her. Aber es sind natürlich für alle Unternehmen, auch für uns, sehr herausfordernde Zeiten.
Nun konkret zu den drei Konzernbereichen. Der Wasserkraftmarkt hat durch Corona am stärksten gelitten, da einige Projekte im Ausland gestoppt wurden und wir große Herausforderungen auf den Baustellen zu bewältigen hatten. Aufgrund der steigenden Nachfrage nach erneuerbaren Energien, steigt auch unser Auftragseingang wieder. Wasserkraft hat die positive Eigenschaft, dass sie nicht nur eine erneuerbare Energie ist, sondern über Pumpspeicherkraftwerke auch zur Energiespeicherung genutzt werden kann und damit die Volatilität von Wind und Sonne ausgleicht.
Papier läuft im Moment sehr gut. Die Nachfrage nach Papiermaschinen ist hoch. Die Papierhersteller profitieren davon, dass der Onlinehandel enorm zugenommen hat. Darüber hinaus werden vermehrt Plastikverpackungen durch Papierverpackungen ersetzt, da sie eine bessere Recyclingfähigkeit besitzen – ein absoluter Zukunftsmarkt. In diesem Bereich forschen wir auch intensiv.
In der Antriebstechnik waren wir in den letzten Jahren glücklicherweise nicht so stark von der Volatilität betroffen wie der PKW-Markt, da wir die Bereiche LKW, Schiene und Marine bedienen. Hier sind wir dabei, das Portfolio umzuschichten und konsequent auf elektrische und alternative Antriebstechnologie auszurichten, will heißen, dass wir hier inmitten einer Transformationsphase stecken. Also insgesamt stabil, aber in einem schwierigen Umfeld.
Marco Henry Neumueller: 2016 gründete das Unternehmen mit „Voith Digital Solutions“ einen neuen Geschäftsbereich. Was hat es mit diesem Bereich auf sich und welche Pläne verfolgen Sie damit?
Toralf Haag: Digital Solutions wurde seinerzeit gegründet, um unsere Digitalisierungsaktivitäten zu bündeln und Produkte und Dienstleistungen übergreifend für den gesamten Konzern zu entwickeln. Gleichzeitig sollte die Aufmerksamkeit für digitale Produkte und Dienstleistungen im Unternehmen erhöht werden. Nachdem wir dies erfolgreich umgesetzt hatten, war die Zeit reif, die separate Division zurück in die angestammten Konzernbereiche zu führen. Das heißt, die einzelnen Konzernbereiche vermarkten nun ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen selbst: Sie bieten dem Kunden nicht nur die Papiermaschine oder die Wasserkraftanlage, sondern gleich ein Digitalpaket im Gesamtauftrag mit an. Den Erfolg sehen wir im Umsatz. Wir erzielen mit unseren digitalen Produkten und Dienstleistungen mittlerweile über 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr und wollen diesen Anteil in den nächsten Jahren weiter steigern.
Marco Henry Neumueller: Wie steht es bei Voith um das Thema Nachhaltigkeit? Dies scheint für das Unternehmen ein besonders wichtiges Thema zu sein. Wo stehen Sie hier aktuell mit Ihren Bemühungen?
Toralf Haag: Nachhaltigkeit steht für uns nicht erst seit kurzem auf der Agenda, sondern für Voith war das schon immer ein wichtiges Thema. Wir haben dies auch in unserer DNA fest verankert, die da heißt: „Nachhaltige Technologie für zukünftige Generationen“. Nachhaltigkeit ist bei uns also kein Modewort, sondern wir leben diese seit Jahrzehnten. Mittlerweile haben wir unser gesamtes Geschäftsmodel auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Voith hat in den letzten Jahren auch sehr viel investiert, um nachhaltiger zu wirtschaften, das heißt, den Energieverbrauch zu senken, den CO2-Ausstoß und den Wasserverbrauch zu reduzieren sowie weniger Abfall zu erzeugen. Und das mit Erfolg: Wir produzieren seit diesem Jahr an allen Standorten weltweit CO2-neutral. Das heißt, wir verursachen nahezu keine CO2-Emissionen mehr, lediglich noch einen kleinen Teil, den wir durch den Zukauf von Zertifikaten kompensieren.
Wir haben uns zudem angeschaut, welchen Fußabdruck unsere Produkte bei unseren Kunden hinterlassen: In Summe haben unsere Produkte in der Nutzungsphase im Geschäftsjahr 2019/20 mehr CO2 eingespart; allen voran die Wasserkraft als erneuerbare Energie, aber auch die elektrischen Antriebe hatten diesen positiven Effekt. Unser Rechenmodel wurde vom TÜV SÜD verifiziert. Das Resultat unserer Bemühungen ist ein sehr gutes Nachhaltigkeitsrating. Wir haben von der unabhängigen Ratingagentur ISS ESG bereits zum zweiten Mal in Folge ein B- erhalten – das höchste Rating, das derzeit im Bereich Maschinen- und Anlagenbau vergeben wird. Damit gehören wir hier zu den Top 3 weltweit. Meiner Meinung nach wird das Nachhaltigkeitsrating in Zukunft mindestens genauso wichtig werden wie das Finanzrating von Standard & Poor’s. Ein schöner Erfolg, der nicht nur bei unseren Kunden, sondern auch bei unseren anderen Stakeholdern gut ankommt. Es hilft uns auch im Recruiting, denn viele junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen für ein nachhaltiges Unternehmen arbeiten.
Marco Henry Neumueller: Nicht nur der Fachkräftemangel belastet Unternehmen in Deutschland zunehmend, auch der Markt für Führungskräfte wird immer enger. Die demographische Entwicklung ist bekannt. In den nächsten Jahren werden sich viele Babyboomer in den Ruhestand verabschieden. Eine aktuelle Studie aus diesem Jahr kommt zum Ergebnis, dass derzeit fast jeder vierte Beschäftigte in Deutschland über 55 Jahre alt sei. Wie geht Voith mit dieser Herausforderung um?
Toralf Haag: Das ist ein sehr ernstzunehmendes Thema, das Sie da ansprechen, auch für Voith. Um dem zu begegnen, haben wir verschiedene Maßnahmen und Programme aufgesetzt. Priorität Nummer eins ist für uns die Ausbildung. Wir haben auch in Coronazeiten unsere Ausbildung nicht reduziert oder gestoppt. Unsere Ausbildungsquoten sind, wenn auch regional unterschiedlich, im hohen einstelligen Bereich. Allein hier in Heidenheim haben wir derzeit rund zweihundert Auszubildende. Die meisten Auszubildenden werden anschließend in ein festes Beschäftigungsverhältnis übernommen.
Wichtig ist uns, dass wir alle Phasen des Mitarbeiterlebenszyklus im Blick haben. In der weltweiten Situation von Fachkräftemangel und inzwischen generellem Arbeitskräftemangel arbeiten wir kontinuierlich an der Stärkung unserer Employer Brand, um attraktiv aufzutreten. Seit vielen Jahren arbeiten wir konsequent und auch kreativ am ganzen Themenspektrum rund um Diversity & Inclusion. Um Menschen, die auf uns aufmerksam geworden sind, auch an Bord zu bekommen, arbeiten wir kontinuierlich an der Verbesserung der Candidate Experience im Zuge des Rekrutierungs- und Onboardingprozesses.
Insgesamt liegt der Schlüssel zum Erfolg darin, unsere Mitarbeitenden stärkenorientiert einzusetzen und auch Gelegenheiten zu schaffen, Neues auszuprobieren und zu erlernen. Darüber hinaus legen wir großen Wert auf die Flexibilität unserer Arbeitsbedingungen. Wir sind wesentlich beweglicher geworden, was die Arbeitszeitgestaltung oder auch die Altersteilzeit angeht. Denn ein gesunder Mix aus älteren, erfahrenen und jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist wichtig für den Unternehmenserfolg.
Zusammenfassend ist es uns sehr wichtig, dass unsere Führungskräfte durch gute Führung eine Atmosphäre schaffen, die Leistung fordert und fördert, Beziehungen baut und festigt und in der Lernen stattfindet.
Marco Henry Neumueller: Bitte vervollständigen Sie den Satz: An Familienunternehmen fasziniert mich….
Toralf Haag: …die langfristige Orientierung, die Nachhaltigkeit in der unternehmerischen Zielsetzung und eine kooperative Unternehmenskultur.
Marco Henry Neumueller: Herr Haag, ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses Gespräch.