Werner Guthier ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender und CFO der Pepperl+Fuchs SE in Mannheim.
Marco Henry Neumueller: PEPPERL+FUCHS feierte im Coronajahr 2020 sein 75jähriges Jubiläum. Das Familienunternehmen hat gerade in der jüngsten Vergangenheit häufig von sich Reden gemacht. Im Fokus stand die Umwandlung zur SE und ein anorganisches Wachstum durch diverse Übernahmen. Wie steht das Unternehmen heute aus Ihrer Sicht da?
Werner Guthier: Ja, das Unternehmen ist zwar 75 Jahre alt, aber ich würde keineswegs sagen, dass es ein altes Unternehmen ist, sondern wir fühlen uns jung und wir versuchen, unsere Aufstellung sowohl durch Innovation als auch durch Zukäufe zukunftsfähig und zukunftssicher zu machen. Da kommt ein Begriff ins Spiel, der im Moment sehr stark von der Ökologie besetzt wird, das Thema Nachhaltigkeit, der aber eben nicht nur eine ökologische sondern auch eine soziale und auch eine betriebswirtschaftliche Dimension hat. Wir versuchen in der Zusammenarbeit mit unseren Aktionären, von einer Strategie auf ein tragfähiges, nachhaltiges Geschäftsmodell zu kommen und formen daraus permanente Veränderungsprozesse im Hinblick auf unsere Organisation und Abläufe. Insofern ist einer der wesentlichen Aspekte unsere Veränderungskultur also die Fähigkeit und die Bereitschaft sowohl des Managements als auch der Belegschaft, sich den Herausforderungen und Veränderungen zu stellen – die disruptiven Situationen rund um Pandemie und Engpässe bei Warenversorgung sind ja allenthalben bekannt.
Marco Henry Neumueller: Welche mittel- bis langfristigen Ziele verfolgt das Familienunternehmen? Gibt es ein Szenario, wo das Unternehmen in 5 bis 10 Jahren stehen möchte?
Werner Guthier: Nun, wir steuern im Moment die Umsatzmilliarde an. Wir wollen zwar nicht Wachstum um jeden Preis, aber es geht uns auch nicht darum, in der Nische auskömmlich zu leben und den Profit zu optimieren, sondern diese beiden Aspekte, Wachsen und Profitabilität, gehören zusammen. Daraus leiten sich konkrete Maßnahmen und Themen ab. Wir glauben beispielsweise, dass wir Wachstum nur sinnvoll abbilden können, wenn wir Technologieführer sind. Und zur Technologieführerschaft gehört Innovation und zu Innovation gehört eigene R&D-Leistung, eine eigene Mannschaft, die neue Applikationen, neue Technologien, neue Produkte zutage bringt und vermarktungsreif macht. Wir geben gut acht Prozent unseres Umsatzes für R&D aus. Zweites Thema: Sie können mit den schönsten, besten und tollsten Produkten auf den Markt gehen, wenn diese aber keine wettbewerbsfähigen Preise haben, dann ist das schwierig und deswegen sehen wir als weiteren Aspekt das Thema der Kostenführerschaft für relevant. Wir begegnen diesem Thema, indem wir eine besonders hohe Fertigungstiefe haben. Das ist ein typisch mittelständischer und zugleich typisch familienunternehmensorientierter Ansatz. Wir glauben , wir können alles selbst am besten und außer den Schrauben machen wir auch tatsächlich fast alles selbst. Es gibt also eine Menge an Fertigungsverfahren und Fertigungsthemen, die wir tatsächlich nicht an Fremdfirmen vergeben. Und wegen des doch extrem teuren Lohnstandorts Deutschland haben wir den größten Teil unserer Fertigung in Südostasien oder in Osteuropa. Dort wachsen wir auch sehr stark. Wir sind zum Beispiel gerade dabei, ein weiteres Werk in Vietnam aufzubauen. Und last but not least sollen diese beiden Elemente, Kostenführerschaft auf der einen Seite und Technologieführerschaft auf der anderen Seite, der Garant sein, dass wir uns in den Märkten zumindest in der vorderen Reihe der Anbieter bewegen. Wir sind sicherlich in einigen Bereichen – darauf sind wir auch stolz – beispielsweise im eigensicheren Explosionsschutz und auch in einigen Sensorik-Applikationen Weltmarktführer. Aber wir sehen eben doch in beiden Divisionen, Fabrikautomation-Sensorik, Prozessautomation-Explosionsschutz, dass wir nur dann nachhaltig erfolgreich sein können, wenn wir diese starke Marktposition auch aufrechterhalten.
Marco Henry Neumueller: Digitalisierung ist in aller Munde. Sensorik klingt per se schon sehr digital. Was bedeutet diese Herausforderung für PEPPERL+FUCHS? Der Presse war beispielsweise zu entnehmen, dass das Unternehmen Gründungsmitglied der Anwender-Vereinigung Industrial Digital Twin wurde und seit etwa einem Jahr mit dem KI-Hersteller Symate kooperiert.
Werner Guthier: Digitalisierung gehört genau genommen zu unserer DNA. Wir unterscheiden zwei große Bereiche: Das eine ist die Digitalisierung im Unternehmen, wo es darum geht, Prozesse, Verfahren, interne Abläufe – sei es in der Administration, aber auch in der Entwicklung und natürlich auch in der Produktion – nicht nur zu automatisieren, sondern auch zu digitalisieren. Da haben wir vor einigen Jahren eine interne, gesamtheitliche digitale Agenda ausgerollt, sind schon einige Schritte deutlich nach vorne gekommen, aber da gibt es noch «still space for improvement» und deswegen sind wir auch gerade dabei – wir nennen das hausintern jetzt eine Digitale Agenda 2.0 umzusetzen, welche neue Schwerpunkte setzt. Aber der längere Hebel, auch im Hinblick auf den volkswirtschaftlichen und ökologischen Nutzen, sind natürlich unsere Produkte und unser Leistungsangebot. Da stehen die Zeichen viel stärker auf der Softwarelastigkeit und der Digitalisierung dieser Produkte und wir versuchen, mit unseren Kunden zusammen solche digitalen Leistungsangebote zu schnüren. Wir haben beispielsweise mit einem kleinen Start-up solche Themen in eine Einheit gebracht, die flexibler, agiler agieren kann. In diesem Bereich sind wir mit ersten wirklich erfolgreichen Ansätzen unterwegs. Das wird sich sicherlich auch in der Zukunft erweitern und der Hebel, von dem ich sprach, ist gerade in der aktuellen ökologischen Diskussion ganz wichtig, da eine stärkere Automatisierung und Digitalisierung der Prozesse zu einer deutlichen Reduzierung beispielsweise der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs führen. Wenn man also in der Lage ist – beispielsweise ist im Moment das Thema Warenverteilzentren in aller Munde, auch nicht zuletzt durch die Pandemie begründet – Förderstrecken, die bislang komplett elektrifiziert waren und die gesamte Zeit über Strom aufgenommen haben, jetzt nur partiell immer nur dort mit Strom zu versorgen, wo auch tatsächlich Ware bewegt wird, dann kann man das nur über Digitalisierung, über Automatisierung tun. Das sind genau die Komponenten, die wir entwickeln und liefern und damit leisten auch wir unseren Beitrag zur Nachhaltigkeit.
Marco Henry Neumueller: Familienunternehmen zeichnen sich für gewöhnlich durch eine besondere Unternehmenskultur aus. Wie würden Sie diese bei PEPPERL+FUCHS beschreiben? Welche Rolle spielt die Gesellschafterfamilie heute noch?
Werner Guthier: Die Frage, welche Eigenschaften uns in besonderer Weise kennzeichnen, haben wir uns vor einigen Jahren unter anderem gestellt, als es um das Thema Employer Branding ging und wir überlegt haben, mit welchem Profil wir denn eigentlich am Arbeitsmarkt auftreten wollen. Wie wollen wir wirken? Und bevor wir uns die Frage stellen, wie wollen wir wirken, sollten wir uns vielleicht mal die Frage beantworten: Wie sind wir denn? Und das haben wir durch eine Befragung in unserer Belegschaft mal ein bisschen genauer hinterfragt und kamen auf vier wesentliche Säulen unserer Kultur. Das war zum einen Vielfalt oder Diversity. Das ist in unserem Unternehmen kein Wunder, weil trotz Familienunternehmen sehen wir uns als Global Player. Der weitaus größte Anteil unserer Belegschaft spricht nicht Deutsch als Muttersprache und lebt und arbeitet nicht hier und insofern ist das eine Selbstverständlichkeit. Das zweite Thema, das uns kennzeichnet, ist Neugierde. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der ein bisschen anschließt an das, was wir vorhin zum Thema Veränderungswille und Veränderungsbereitschaft gesagt haben, dass wir einfach neugierig sind, wie kann man etwas morgen anders machen, dass es übermorgen noch besser ist. Und das zahlt auch ein auf dieses Thema Innovation. Ein weiterer Punkt, der uns in unserer Kultur wichtig ist, ist das Thema Freiraum. Begrenzung im Management, in der Belegschaft, das Silodenken, nach dem Motto „das ist deins, das machst du, dafür bist du verantwortlich und das macht ein anderer, dafür ist der verantwortlich“ – diese Denkweise ist uns relativ fremd. Das ist schon im Vorstand so, wo wir natürlich eine klare Geschäftsordnung und Geschäftsressorts haben, aber wir versuchen, die Lösungen für eine Fragestellung immer in dem Kreis zu realisieren, der am ehesten dafür geeignet ist. Und ob das dann jemand aus der Hierarchie oder jemand aus der Funktion ist und ob das aus der Abteilung A oder B ist, ist sekundär. Wir gehen da hierarchie- und funktionsübergreifend vor und das sorgt dafür, dass eben sowohl Vorstand als auch, so denke ich, die einzelnen Funktionen über deutlich mehr Managementfreiraum verfügen, als das in Großunternehmen beispielsweise üblich wäre. Und last but not least ist der vierte Baustein unserer Kultur das Thema Respekt. Das zahlt nochmal auf das Thema Diversity vom Anfang ein. Wenn man mit unterschiedlichen Kulturen in unterschiedlichen Regionen zu tun hat, dann ist der respektvolle und tolerante Umgang miteinander ein ganz wichtiges Gut. Und zu glauben, wir sitzen im Headquarters und wissen alles besser, das ist schon der erste Fehler, da gibt es schon die ersten Probleme. Diskussionen mit den Personen, die draußen vor Ort sind und ihre Probleme gelöst wissen wollen und uns, die wir versuchen, eine entsprechende Strategie aufzusetzen, müssen von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet sein. Und wenn das der Fall ist, glaube ich, gelingt es auch, gute Lösungen zu finden.
Sie haben nach der Rolle der Gesellschafter, unserer Aktionäre, in diesem Zusammenhang gefragt. Die Aktionäre sind auch gleichzeitig Mitglieder des Aufsichtsrats und insofern schon über die Rolle des reinen Familieninvestors hinaus in die Geschicke des Unternehmens so tief eingebunden, dass sie nicht nur Einblick haben, sondern auch Verantwortung mittragen. Dies war eine ganz bewusste Entscheidung der Aktionäre. Und dann geht es natürlich auch um die Frage, welchen Themen man sich aufgrund der eigenen Präferenzen eher widmet und an solchen Stellen tauchen die Aktionäre dann auch schon mal tiefer ein. Aber die Frage der großen Strategie und vor allen Dingen die Frage der Werte, die ich vorhin ansprach, der Kultur – das ist das, was den Aktionären durchaus am Herzen liegt.
Marco Henry Neumueller: Sie sind selbst Fremdmanager. Welche Eigenschaften benötigt Ihrer Meinung nach ein familienexterner Manager auf C-Level in einem Familienunternehmen um erfolgreich zu sein?
Werner Guthier: Dass die funktionalen Fähigkeiten, also, dass jemand in seinem Ressort weiß, was zu tun ist, «conditio sine qua non» sind, ist selbstverständlich. Aber worauf es dann ankommt, ist, dass diese Person eine gewisse Empathie hat und damit in der Lage ist, ein gemeinsames Werteverständnis zu erspüren, es zu definieren, zu konkretisieren und dann darüber zu einem Commitment zu kommen. Wie wollen wir miteinander umgehen? Welche Ziele wollen wir uns setzen und wie wollen wir diese erreichen? Diesen Prozess aktiv zu moderieren und es nicht ausschließlich der Idee einzelner zu überlassen, das Thema auch genauso wenig als Laissez-faire zu sehen, das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt. Das heißt letztlich, das C-Level ist das Bindeglied zwischen den Aktionären auf der einen Seite und dem operativen «Doing» in der Führungsriege oder in der Belegschaft auf der anderen Seite.
Wir müssen die Transformationsfähigkeit haben, das, was uns operativ im Tagesgeschäft drückt und beschäftigt, so zu abstrahieren, dass wir das auf dem Level mit den Aktionären vernünftig besprechen können. Wir müssen umgekehrt die Fähigkeit haben, das, was wir abstrakt als Strategie mit den Aktionären besprechen, so herunterzubrechen, dass es für Führungskräfte und Belegschaft operationalisierbar wird, verstanden werden und umgesetzt werden kann. Und in dieser Mittlerrolle kommt es nicht nur auf die fachlichen Fähigkeiten an, sondern mehr auf die persönlichen Eigenschaften. Das Ganze würde ich dann noch überschreiben mit dem Stichwort «Building trust», also Vertrauen aufbauen. Eine solche Vertrauensbasis ist auf beiden Seiten wichtig. Dass einerseits die Belegschaft darauf vertraut, dass der Vorstand einen ordentlichen Job macht, gerade wenn mal kritische Zeiten sind, und dass andererseits das Vertrauen von der Aktionärsseite da ist, dass die Fremdmanager in der Lage sind, das Unternehmen auch durch schwierige Zeiten erfolgreich zu führen. Dieses Vertrauen, das entsteht ja nicht von alleine, das braucht nicht nur Zeit, sondern auch mehr als nur Lippenbekenntnisse, nämlich aktive Beweise im Tun, dass dieses Vertrauen gegenseitig gerechtfertigt ist.
Marco Henry Neumueller: Bitte vervollständigen Sie den Satz: In einem Familienunternehmen tätig zu sein, bedeutet für mich…
Werner Guthier: …die Unmittelbarkeit zwischen meinem unternehmerischen Handeln auf der einen Seite und dessen Auswirkungen auf der anderen Seite spüren zu dürfen. Das ist nicht nur familienunternehmensspezifisch, sondern das ist auch mittelstandsspezifisch und war genau der Grund, warum ich von der Großindustrie in ein zumindest damals vergleichsweise kleines Unternehmen gewechselt bin. Ich wollte stärker den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung meines Tuns erleben, im positiven – wenn es erfolgreich ist – aber auch im negativen Sinne. Wenn es nicht erfolgreich ist, weiß ich auch, was ich falsch gemacht habe. Und eine souveräne Kultur im Umgang mit Fehlern ist eine Qualität, die Sie im Mittelstand, in Familienunternehmen in ganz anderer Weise erleben als in einem Großunternehmen. Auch wenn wir jetzt schon mit der Schwelle zur Milliarde nicht mehr ganz klein sind, kann man aber genau diese kulturellen Eigenschaften im Unternehmen bewahren, was ich für sehr wichtig empfinde.
Marco Henry Neumueller: Herr Guthier, ganz herzlichen Dank für dieses angenehme Gespräch.