Prof. Dr. Norbert Wieselhuber ist Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH.
Marco Henry Neumueller: Lieber Herr Wieselhuber, Sie haben mit der Gründung von Dr. Wieselhuber & Partner 1986 eine Beratungsunternehmen mit dem Schwerpunkt Familienunternehmen gegründet? Was führte seinerzeit zu dieser Gründung?
Norbert Wieselhuber: Die Gründung hat folgenden Hintergrund, bzw. folgende persönliche Motivation. Ich war davor mehr als 10 Jahre in einer Beratungsboutique tätig, die von einem der deutschen Beratungspioniere gegründet worden war. Im Rahmen meiner Tätigkeit hatte ich alle Funktionen und Stationen der Beraterlaufbahn durchlaufen und den Beraterberuf von der Pike auf gelernt. Vor der Beratung war ich in einem international tätigen und marktführenden Unternehmen der Markenartikelindustrie aus der Nahrungsmittelwirtschaft im Marketing tätig. Parallel zu meiner Beratertätigkeit absolvierte ich mein Zweitstudium zum Diplom-Kaufmann und promovierte als externer Doktorand zum Dr.rer.pol.
Theoretisch, wissenschaftlich aktuell und mit langjähriger erfolgreicher Beratungspraxis hatte ich klare Vorstellungen und Ziele das Beratungsunternehmen zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Leider konnte ich mich mit dem Inhaber darüber nicht einigen und ich musste am eigenen Leib den Generationskonflikt erfahren und erleiden. Dies sollte ich in der Beratung von Familienunternehmen noch häufiger erleben. Insofern waren meine eigenen Erfahrungen nicht umsonst.
Nachdem ich zwischenzeitlich ein „infizierter“, überzeugter und leidenschaftlicher Berater und Unternehmer geworden war, kamen für mich auch attraktive Alternativen als Führungskraft in der Industrie und auch eine Anstellung bei einem anderen Beratungsunternehmen nicht mehr in Frage. Ich wollte meinen eigenen Weg gehen und meine Ideen verwirklichen, mit all den Chancen und Risiken, auch mit einer jungen Familie.
Mir war auch bewusst, dass keiner auf mich und einen weiteren Anbieter gewartet hat und dass es keinen zusätzlichen Berater ohne klaren Fokus und eindeutiger Differenzierung braucht. Meine langjährige Beratertätigkeit für Familienunternehmen unterschiedlicher Betriebsgröße, Branchenzugehörigkeit, in verschiedensten Gesellschafter- und Führungskonstellationen und Unternehmenssituationen erschienen mir ein gutes Fundament für die Beratung dieser Unternehmensspezies. Auch die Analyse des Beratungsmarktes zeigte mir, dass die zwingend notwendige Verbindung zwischen Gesellschaftersphäre, Unternehmen und deren Führung nicht, oder nur kaum berücksichtigt wurden. Es war also naheliegend den Fokus meiner Beratung auf eine ganzheitliche Betrachtung und Beratung von Familienunternehmen zu legen.
Offensichtlich fand dieser Beratungsansatz hohe Zustimmung, Akzeptanz und Nachfrage und auch erhebliche Unterstützung von namhaften Familienunternehmern, deren Standesvertretern, Rechtsanwälten, Steuerberatern und Bankern. Eine sehr große Hilfe beim Start meines Unternehmens. Entscheidend für den erfolgreichen Markteintritt waren aber auch die qualifizierten, engagierten, loyalen Berater mit ihrem Pioniergeist, die sich mit unserer Zielgruppe identifizierten, diese respektvoll und mit einer verständlichen Sprache und hoher Situationskompetenz begegneten.
Mit unserer Beratungsphilosophie „Beratung ist mehr als nur Rat geben“ und unserer konsequenten Umsetzungsorientierung fanden und finden wir großen Zuspruch bei den Entscheidungsträgern und Verantwortlichen in Familienunternehmen.
Marco Henry Neumueller: Wenn man sich die Entwicklung Ihres Beratungsunternehmens ansieht, haben Sie offenbar das Richtige richtig getan. Was ist das Erfolgsgeheimnis von Dr. Wieselhuber & Partner und wie grenzen Sie sich von den großen Beratungsfabriken ab?
Norbert Wieselhuber: Wie bereits erwähnt, hatte ich immer die Motivation der Eigentümerseite von Familienunternehmen mit allen Pros und Cons im Blick und zu berücksichtigen. Da gibt es auch viele Herausforderungen. Das aktive Loslassen ist so eine. Wir kennen alle das Sprichwort „wer zahlt, schafft an“, die sogenannte Kapitalmacht. Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt und auch den einen oder anderen Auftrag wegen unserer Ehrlichkeit verloren. Wenn das Problem nicht im Markt oder in der Wertschöpfung, sondern in der Führungskonstellation liegt, so muss man das auch ansprechen. Sehr gute, selbstkritische Unternehmer haben diesen Ball immer gern aufgenommen und daraus Konsequenzen für sich und ihre Rolle gezogen, auch wenn dies nicht immer leicht war, so stand bei diesen „Unternehmertypen“ das Wohl des Unternehmens im Vordergrund und nicht eigene Befindlichkeiten.
Hinzu kommt, dass ich immer darauf geachtet habe, dass die Unternehmensgröße nicht dazu führt, dass man jeden Auftrag annehmen muss. Ich hatte mir damals Gedanken darüber gemacht, wo eigentlich die Grenze liegt, ab wann ein gewisser Korruptionsgrad aufgrund der auszulastenden Beratungskapazitäten entsteht oder man sich in einem Auftragsgutachten findet. Das persönliche Motiv der Unabhängigkeit war mir immer wichtig. Ich möchte mich als Dienstleister nicht prostituieren, sondern gemeinsam mit meinen Kunden arbeiten und eine Lösung finden. Ich möchte auch nicht den Oberlehrer spielen, der einem Unternehmer mit erhobenem Zeigefinger gegenübersitzt und ihn darauf hinweist, was er alles nicht weiß und nicht kann. Es gibt ja durchaus so Beratertypen, deren „überbordende Intelligenz“ sich leider nicht in emotionaler Intelligenz widerspiegelt. Aber das macht den Unterschied aus. Die großen Beratungsfabriken sind intellektuell sehr gut. Sie sind fachlich gut, aber sie haben einen Anspruch nach dem Motto, wir wissen es sowieso besser als der Kunde. Diesen Beratern sitzt dann aber ein gestandener Unternehmer gegenüber, dem es gelungen ist, ein Unternehmen mit 1.500, 5.000 oder gar 10.000 Mitarbeitern aufzubauen, mit hohem Exportanteil und vielleicht sogar 2 Milliarden Euro Umsatz – ohne Summa-cum-laude-Promotion und drei Fremdsprachen fließend. So dumm kann dieser Unternehmer wohl nicht gewesen sein. Bloß weil er nicht die neuesten Methoden der Unternehmensführung kennt, darf ich kein solches Verhalten an den Tag legen. Das habe ich auch immer meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermittelt. Man braucht einen großen Respekt vor der unternehmerischen Leistung.
Ein weiterer Grund ist sicherlich auch, dass ich von Anfang an Glück hatte. Ich hatte Mitarbeiter, die nicht nur sehr qualifiziert, sondern besonders engagiert und loyal waren und oft selbst die Initiative ergriffen haben. Es gibt viele gute, intelligente Menschen. Den Unterschied macht aber, wenn es gelingt, diese Intelligenz zu kapitalisieren über Initiativen. Aber inwieweit gelingt es auch, die Hungrigen von den Satten zu trennen? Und das haben wir bei uns zur Kultur entwickelt. Man spricht heutzutage ja gerne von der work-life-balance. Aber ich habe noch keinen erfolgreichen Unternehmer oder erfolgreiche Führungskraft gesehen, die mit geringem Einsatz erfolgreich war. Einen erfolgreichen Unternehmer zeichnen ein unheimlicher Fleiß, Neugierde, Initiative, Mut und – wie man heute auch gerne sagt – besondere Resilienz aus. Sie kennen sicher den Spruch: Sieger ist der, der einmal mehr aufsteht als es ihn niedergeschlagen hat. Man findet immer gerne tausend Gründe um liegenzubleiben, sei es der böse Wettbewerb, der dumme Kunde oder der faule Mitarbeiter. Das muss bereits bei der Personalauswahl entsprechend berücksichtigt werden. Nicht der Einserkandidat, nicht der Einser-Abiturient ist zwingend der beste Arzt. Er mag vielleicht der beste Mediziner sein; wir haben viele gute Mediziner, aber wenig gute Ärzte. Man stößt dann an Grenzen, wenn man das Geschäft, und die Dienstleistung ist people business, entpersonalisiert. Wenn jemand ausschließlich mit dem Methodenkoffer kommt – und bitte verstehen Sie mich nicht falsch, Methoden sind absolut wichtig und notwendig –, und damit den absoluten Erfolg verspricht, werde ich hellhörig. Es gibt keinen empirischen Nachweis, keinen kausalen Zusammenhang zwischen Methodeneinsatz und Unternehmenserfolg. Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen Entscheidungsqualität oder Risikominimierung. Das ist letztlich wie mit dem Klavierspiel. Ich kann fleißig üben, aber ich werde vermutlich nie Konzertpianist. Aber wir haben beide dasselbe Instrument, wir spielen beide auf einem Steinway-Flügel. Das ist fast schon eine philosophische Betrachtung bei der zunehmend technokratisierten und methodenverliebten Welt.
Marco Henry Neumueller: Familienunternehmen sind das Wurzelgeflecht einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft. Es wurde ihnen in der Vergangenheit hohe Innovationskraft bescheinigt. Nun wird ihnen in neueren Studien vielfach fehlende Innovations- und Digitalisierungsfähigkeit unterstellt. Was glauben Sie, wie kommt es zu dieser negativen Einschätzung?
Norbert Wieselhuber: Eine sehr gute Frage. Wahrscheinlich gibt es auf diese Frage nicht nur eine einzige Antwort. Ich sehe es auf der einen Seite als große Chance der nächsten Generation, die etwas hinzufügen kann auf diesem Gebiet, beispielsweise mit cross-border Innovationen, dass sie den Blickwinkel über das Unternehmen hinaus lenkt, dass sie sich fragt, wie können wir Technologien anwenden, die momentan in unserer Branche noch nicht angewandt werden? Das heißt, sie gehen einen neuen Weg. Das sehe ich als Herausforderung, als Chance, aber auch als Aufgabe, um sich im Familienunternehmen zu differenzieren von den „Seniorengenerationen“. Es mag schon sein, dass sich die Risikoneigung in Familienunternehmen in Relation zu einem Pionierunternehmen geändert hat. Pionierunternehmer hatten mehr zu gewinnen als zu verlieren. Und heute haben wir die Situation – auch gesellschaftlich -, dass immer mehr Menschen mehr zu verlieren haben als zu gewinnen. Das hat auch etwas mit der Demografie zu tun.
Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass viele Familienunternehmen zunehmend durch ein Fremdmanagement geführt werden. Diese Fremdmanager haben natürlich einen anderen Erfolgsdruck. Aber ein solcher Fremdmanager hat in der Regel auch ein anderes Risikoprofil als der Eigentümer. Der Eigentümer hat früher immer getreu dem Motto agiert: wenn es nicht funktioniert, war es mein Geld. Also gerade bei der Digitalisierung ist das ein Phänomen, das ich bei vielen mittelständischen Unternehmen sehe. Ich habe jetzt nicht die großen Familienunternehmen vor Augen. Sie sind oft nicht weniger professionell als die Konzerne. Bei den klassischen mittelständischen Unternehmen fehlt es an der Zuversicht und an der Einschätzung, wie man solch ein Digitalisierungsthema angeht. Wo fängt man an, wo hört man auf? Wo wird das Risiko nicht mehr beherrschbar, weil ich zu viel auf einmal will? Das erinnert mich an die Einführung von IT vor 30 oder 40 Jahren. Die guten Unternehmen hatten eine klare Roadmap. Den anderen wurde eine überdimensionierte Hard- und Software „aufgeschwätzt“, die sie gar nicht benötigten. Das hat dann natürlich nicht funktioniert.
Dieser Befund, den Sie mit Recht ansprechen, stimmt mich schon nachdenklich, weil er nicht finanzielle Aspekte beinhaltet. Er beinhaltet vielmehr kulturelle Aspekte, er hat das Risikoprofil des Unternehmens zum Gegenstand. Wir alle kennen auch sehr große Familienunternehmen, die sehr professionell und erfolgreich sind. Wenn ich mir so manches börsennotierte Unternehmen anschaue, das ist in der Digitalisierung oder in Sachen Innovation nicht besser. Es gibt aber auch ein Phänomen, dass in innovationsengen, reifen Märkten die Innovationsrate nicht mehr so hoch ist.
Ich glaube, es kommt aber noch etwas hinzu: das sogenannte Narrativ. Ich habe früher immer wieder Unternehmer kennengelernt, die Geschichten erzählen konnten. Das vermisse ich heute. Heute spricht man über alles Mögliche, aber früher waren diese Geschichten packender. Gelingt es uns, diese Geschichte fortzusetzen? Gelingt es uns, eine neue Geschichte zu erzählen? Welche Geschichten hören wir denn heute. Wir führen neue Methoden, Systeme, Software, optimierte Prozesse, etc. ein. Das ist nicht die Geschichte, die ich meine. Wir gehen immer davon aus, dass der Mensch sehr rational sei. Dabei wissen wir doch aus der Gehirnforschung, wieviel Emotionen bewirken können. Führung braucht Herz und Verstand. Auch aus dem Spitzensport ist doch hinlänglich bekannt, dass die Extrameile nicht vom Verstand kommt. Wenn ich außer Atem bin, wenn mir die Puste ausgeht, sagt die Ratio, dass es Zeit wäre aufzuhören. Ich werde dann immer Argumente sammeln, warum ein Weitermachen unsinnig ist. Ich denke, das kann man auch ganz gut auf die Unternehmen anwenden. Mitarbeiter spüren, wenn in Projekten Herzblut steckt, wenn ein Unternehmer mit Leidenschaft ein Thema vorantreiben möchte und sind dann auch eher bereit, die Extrameile mitzugehen.
Marco Henry Neumueller: Familienunternehmen und börsennotierte Konzerne unterschieden sich als Arbeitgeber sehr deutlich. Wann ist jemand für eine Karriere im Familienunternehmen gemacht?
Norbert Wieselhuber: Eine Grundvoraussetzung ist, dass dem Fremdmanager klar ist, dass es einen Eigentümer gibt und man diesen nicht einfach zur Seite schieben darf, sondern akzeptiert, dass er – egal ob operativ tätig oder als reiner Gesellschafter – eine Rolle hat.
Erfolgreiche Fremdmanager in Familienunternehmen haben das berücksichtigt, in ihrem Kommunikationsverhalten, in der Art der Integration des Eigentümers, aber auch in sämtlichen Ritualen, egal ob es eine Weihnachtsfeier oder eine Betriebsfeier ist. Auch das extreme Gegenbeispiel habe ich erleben dürfen: Fremdmanager, fachlich sicherlich Profis, waren nicht sensibel genug, um diese kulturellen Rahmenbedingungen wahrzunehmen, haben dagegen verstoßen und dann war lediglich in der Pressemeldung zu lesen, dass man sich aus unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich der Strategie getrennt habe. Entscheidend war aber vielmehr die fehlende Passung. Ich bezeichne das gerne als schleichende Vergiftung. Irgendwann explodiert es. Ein erfolgreicher Fremdmanager akzeptiert diese besondere Konstellation und stellt sich auch in das Interesse der Familie.
Ein weiterer Punkt ist mehr ein kultureller Aspekt. Von einem Fremdmanager wird natürlich Professionalität erwartet, die Anwendung moderner Methoden, mit Systematik und Objektivität das Unternehmen zu gestalten. Diese Person muss auch zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens passen. Wenn ein Familienunternehmen sich eher in einer Angriffsposition befindet, muss ich einen Angreifer und keinen Verteidiger einstellen. Das wird häufig missachtet. Wenn ein Fremdmanager scheitert, sieht man allzu oft ratlose Gesichter. Warum scheiterte er denn? Er war doch Diplom-Kaufmann oder Diplom-Ingenieur, bestens ausgebildet, 45 Jahre alt etc., warum ging das denn schief? Das kann dann viele Gründe haben. Vielleicht kam er aus dem Konzern, war zwar ein Profi, hat aber vielleicht noch nie zu einer Bank gehen müssen, sich kritischen Fragen der Eigentümer und von Stammkunden stellen müssen. Vielleicht ist er auch nicht der Angreifer, der gebraucht wird. Möglicherweise brauche ich auch eher einen Verteidiger. Ich habe eine international führende Marktposition und muss intelligent verteidigen. Oder vielleicht muss ich auch kooperieren, weil ich eine zu kurze Kapitaldecke habe und nicht alles selbst machen kann.
Zum Erfolg und Misserfolg gehören in dieser Konstellation immer zwei. Ein guter Unternehmer sucht sich eher eine Führungskraft die komplementär zu ihm ist. Bin ich beispielsweise in einer Branche tätig, in der Kreativität, Geschmack oder Design wichtig sind und ich bin das nicht, dann muss ich jemanden mit diesen Talenten einstellen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Bühnenwechsel. Wer geht heute auf die Bühne? Es können nicht immer beide oben stehen. Der Eigentümer und der Manager. Das muss austariert werden.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es selten an den hard facts scheitert, es sind eher die soften Kriterien.
Marco Henry Neumueller: Bitte beenden Sie den Satz: An Familienunternehmen fasziniert mich…
Norbert Wieselhuber: … Unternehmertum, Mut, Neugierde und der Wille zum Erfolg.
Marco Henry Neumueller: Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch, Herr Wieselhuber.