von Gustl F. Thum, Partner und Experte für Familienunternehmen bei Dr. Wieselhuber & Partner GmbH, München
Wenn sich Gesellschafter aus der operativen Führung in die Gremien zurückziehen, gewinnen Fremdmanager zunehmend an Bedeutung. Die Herausforderung: Das gemeinschaftliche Committment der Familie, diesen Schritt zu gehen und die richtige „Passung“ beim Fremdmanager inkl. Onboarding hinzubekommen. Doch der Schritt kann sich durchaus lohnen, denn: Die neue Rolle der Familiengesellschafter schafft Potenzial für neue Aufgaben und Schwerpunkte.
Rückzug von der Frontlinie – eine weitere Option?
Familienunternehmen waren lange Zeit klassischerweise geprägt durch „Mächtige Macher“, sprich ein hoher Einflussgrad durch Kapitalbesitz gekoppelt mit Führungsverantwortung auf der Geschäftsführungsebene prägten das Unternehmen.
Das hat sich zuweilen geändert: Mit zunehmender Unternehmensgröße und wachsender Gesellschafteranzahl in Mehr-Generationen-Unternehmen verlieren diese „Mächtigen Macher“ Einfluss und wechseln oftmals in die Kategorie „mächtiger Einflussnehmer“ aufgrund des Kapitalbesitzes, aber ohne Führungsverantwortung. An ihre Stelle treten dann zumeist mit der operativen und strategischen Bewältigung des Tagesgeschäfts erfahrene und kompetente Fremdmanager, während Gesellschafter ins Gremium wechseln, ob Beirat oder Gesellschafterausschuss.
Die Motivation für diese Entwicklung kann vielfältig sein: Selbstverständlich spielen auch die sich veränderten Rahmenbedingungen für die Führung von Organisationen eine Rolle. Die Informationstechnologie hat zu einer hohen Transparenz des Markt- und Unternehmensgeschehens geführt bei gleichzeitig überproportional gestiegener Komplexität der Strukturen, Prozesse, Methoden und Produkte. Führung kraft „Herrschaftswissen“ und Informationsmonopol ist nicht mehr möglich. Die Ansprüche an Aufgabeninhalte und Kompetenzen und an Leadership sind entsprechend stark gestiegen. Und dabei hat sich bei einigen Gesellschaftern die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Besten und Geeignetsten das Unternehmen führen sollten, um neben Wettbewerbsfähigkeit, Ertragskraft und Unternehmenswert auch die Dividendenfähigkeit und das Familienvermögen zu sichern und zu steigern.
Bei in der Regel gleichbleibend hoher Verbundenheit zum Unternehmen, verspüren auch einige Familiensprösslinge eine geringere moralische Verpflichtung, das Unternehmenserbe fortzuführen und es über die eigenen beruflichen Ziele zu stellen. Es geht vielmehr darum: Will ich es? Kann ich es? Und darf ich es auf meine Art?
Weiterhin sind viele Junioren als Kinder der Multioptionsgesellschaft in materieller und akademischer Vielfalt aufgewachsen und streben heute weniger nach Prestige und Status, sondern nach lebenslangem Lernen und einer selbstbestimmten Balance von Beruf und Freizeit mit einer sinnhaften Lebenserfüllung im Vordergrund.
Dass dies nicht für alle Familienunternehmen und deren Gesellschafter zutrifft, zeigen Beispiele namhafter Familienunternehmen wie Viessmann, Rossmann, Fielmann, Uzin Utz, Liebherr, aber auch neue junge Unternehmen, wie etwa Flixbus und Celonis.
Aber in Abhängigkeit der Verfügbarkeit entsprechend motivierter und befähigter NachfolgerInnen aus dem Familienkreis, kann der Rückzug für eine Generation eine Option auf Zeit sein, mit der Möglichkeit des Re-Entry in der Folgegeneration.
Fremdmanagement ist mehr als Lückenfüller
Stehen die Zeichen auf Rückzug, dann heißt es oftmals „Neue Besen kehren gut“ – aber hoffentlich passt der Besen zum Unternehmen und zur Strategie und hoffentlich kehrt er an der richtigen Stelle. Familienunternehmen brauchen professionelles Fremdmanagement, das sich nicht kraft Hierarchie und Titel, sondern durch überlegene Fach- und Führungskompetenz und eine gehörige Portion Feingespür für die Schnittstelle von Familie und Unternehmen auszeichnet. Das bedeutet auch mehr Führung mit „Herz und Verstand“ und nicht nur technokratisches Management. Dies setzt voraus, dass das Fremdmanagement gelegentlich auch in die Niederungen des Tagesgeschäftes hinabsteigt, um sich mit den Kernprozessen und den Erfolgsfaktoren persönlich vertraut zu machen – wie dies ein Erfolgsfaktor vieler Familienunternehmer in operativer Verantwortung über Generationen hinweg war.
Beim Übergang der operativen Führung auf das Fremdmanagement ist wie bei der klassischen Nachfolge von Senior- auf Juniorgeneration ein Diskurs über Tradition und Moderne enorm wichtig – denn die Erhaltung und Weiterentwicklung der Familienmarkenkraft durch einen externen Nachfolger ist eine Herausforderung, die nicht durch Verträge gelöst werden kann.
Gesellschafter und Fremd-Management können und müssen hierfür konkrete Maßnahmen ergreifen, damit Integration und Einsatz des Fremdmanagement nachhaltig erfolgreich ist und bleibt. Familienunternehmen wie Henkel, Haniel und Freudenberg sind nur einige der zahlreichen Beispiele, die dies seit langem erfolgreich vorführen.
New Roles und das neue Zusammenspiel
Frei von der Last der strategischen und operativen Alltagsbewältigung im – je nach Verfassung des Organs – beratenden oder kontrollierenden Gremium, kann der Fokus der Familiengesellschafter neu gelegt werden: Auf das „Big picture“ des Unternehmens. Ob Value Creation, Nachfolgefähigkeit, Diversität, Nachhaltigkeit und SociaI Impact, Portfolioüberlegungen – die Brandbreite an für das Unternehmen hochrelevanten Themen auf der Agenda der Familiengesellschafter in ihrer neuen Rolle ist enorm und definitiv weit weg vom Mäzenatentum und Privatier-Hobbies.
Die Kunst des Familien-Repräsentanten in der neuen Rolle besteht darin, die eigene Marken- und Kapitalmacht produktiv im Sinne der Unternehmens- und Vermögenswertsteigerung langfristig und nachhaltig einzusetzen – und das in Abstimmung mit der Unternehmensstrategie und Top-Management-Agenda. Diesen Balanceakt zwischen menschlichen Machtinteressen von nicht aktiven Familienmitgliedern und der dem Fremdmanagement überlassenen Entscheidungsmacht für das Unternehmen ist auch eine Managementleistung der beteiligten Personen, die häufig nicht sichtbar, wenig geschätzt, aber bei erfolgreichen Familienunternehmen feststellbar ist.
Dabei darf die neue Führungskonstellation aus Fremdmanagement und familienbesetzten Gremien nicht zur Entscheidungsfalle werden. Schließlich soll es schon vorgekommen sein, dass Vorlagen zwischen den Organen hin und her kreisen und fortwährend darauf hingewiesen wird, wer noch mitgenommen und abgeholt werden muss und ob die Vorlage abgestimmt ist. Entscheidender Erfolgsfaktor in diesem „neuen Rollenzusammenspiel“ ist, dass Entscheidungsqualität und Entscheidungsgeschwindigkeit weiterhin einer der elementaren Wettbewerbsvorteile in dynamischen und komplexen Märkten ist – gerade für Familienunternehmen.
Fazit
Die DNA von Familienunternehmen ist auf generationenübergreifende Kontinuität angelegt. Der wachsenden Komplexität des Geschäftes und der mittlerweile vielfältigen Gestaltungsthemen jenseits der strategischen und operativen Agenda der Unternehmensführung geschuldet, macht es für viele Familienunternehmen Sinn, eine neue Aufgabenteilung zwischen Familienunternehmer und Top-Management anzugehen. Voraussetzung hierfür? Eine klare Familienstrategie, eine verbindlich geklärte und dokumentierte Family und Business Governance und die Grundbereitschaft der Familiengesellschafter zum Loslassen.
Über den Autor
Gustl F. Thum ist Partner bei der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH und Experte für Familienunternehmen. Der Diplom-Kaufmann (LMU München/HSG St. Gallen) ist Mitglied in diversen Wirtschaftsvereinigungen, Lehrbeauftragter für Entrepreneurship sowie Autor und Referent zahlreicher Publikationen zu den zentralen Gestaltungsfeldern von Familienunternehmen.
Bildquelle: Dr. Wieselhuber & Partner
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