Prof. Dr. Birgit Felden ist Unternehmensberaterin der TMS GmbH in Köln und Professorin für Mittelstand und Unternehmensnachfolge an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.
Marco Henry Neumueller: Liebe Frau Felden, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Familienunternehmen und Unternehmensnachfolge. Was hat die Faszination für Familienunternehmen bei Ihnen ausgelöst und können Sie sich an einen entscheidenden Moment erinnern?
Birgit Felden: Ja, das liegt schon etwas länger zurück. Als ich meinen ersten Job hatte. Ich habe BWL und Jura studiert und nach dem Studium in einem Unternehmen begonnen, in dem der damalige Inhaber seine Nachfolge zu regeln hatte. Da wurden die Paragrafen ziemlich lebendig und die BWL, die ich eher mathematisch kennengelernt hatte, wurde plötzlich emotional. Und da ich ganz ursprünglich mal Psychologie studieren wollte, was mir meine Eltern aber erfolgreich ausgeredet hatten, habe ich diesen Dreiklang – Recht, BWL und Psychologie – nun ganz hautnah erleben können. Somit müsste man streng genommen sagen: Eigentlich haben Familienunternehmen mich gefunden. Gerade mein erster Job in einem inhabergeführten Familienunternehmen zeigte mir, was es bedeutet, wenn Emotionen eine Rolle spielen. Das fand ich damals extrem spannend. Seitdem lässt mich das Thema nicht mehr los.
Marco Henry Neumueller: Familienunternehmen zeichnen sich in der Regel durch eine langfristige Ausrichtung aus. Dies zeigt sich auch darin, dass das Unternehmen oft innerhalb der Familie vererbt wird. Nehmen Sie in den letzten Jahren verstärkt war, dass Unternehmen tendenziell eher verkauft als in der Familie weitergegeben werden?
Birgit Felden: So drastisch würde ich es nicht formulieren. Die Statistiken zeigen, dass immer noch die Mehrheit aller Familienunternehmen familienintern übergeben wird. Aber es sind inzwischen weniger als die Hälfte und mit abnehmender Tendenz. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Erwartungshaltung von früher, der älteste Sohn übernimmt das Unternehmen, der zweitälteste geht zum Militär und der dritte geht ins Kloster, gibt es so nicht mehr. Auch, dass Töchter überhaupt nichts zu sagen haben, gehört zum Glück der Vergangenheit an. Die Freiheitsgrade sind größer geworden. Das führt auch dazu, dass die Kinder heute eher mal sagen, dass sie etwas anderes machen wollen, dass sie bessere oder vielmehr andere Alternativen haben, die ihnen möglicherweise mehr liegen. Ein weiterer Aspekt ist die deutlich andere Art der Ausbildung der heutigen Generation. Sie sind bestens ausgebildet, waren im Ausland, lernen andere Dinge kennen, das wiederum erhöht die Freiheitsgrade. Zeitgleich ist die Erwartungshaltung der abgebenden Generation nicht mehr, dass das Unternehmen nun unbedingt jemand aus der Familie führen muss. Eine häufige Überlegung ist, das Unternehmen langfristig in der Familie zu halten und jemanden zu finden, der das Unternehmen besser führen kann als der familieneigene Nachwuchs. Das dient dann ja eigentlich der Langfristigkeit, die Sie gerade erwähnt haben. Dann werden die Kinder eben nur Eigentümer und gehen nicht ins operative Management. Diese stärkere Trennung zwischen Eigentum und Management nehmen wir in der Beratung auch sehr deutlich wahr, dass immer häufiger Mitarbeiter in Managementpositionen gelangen, die dann teilweise auch eine kleinere Beteiligung am Unternehmen erhalten. Oder das Unternehmen wird eben direkt komplett veräußert.
Marco Henry Neumueller: Wenn wir über die übernehmende Generation aktuell sprechen, so fällt häufig das Schlagwort „NextGen“ oder „Next Generation“ – wie unterscheidet sich diese Generation von früheren Generationen, die Unternehmen übernommen haben?
Birgit Felden: Ich glaube, sie unterscheidet sich massiv. Es ist eine Generation, die gut ausgebildet ist, es ist eine Generation, die teamerfahren ist, sie ist deutlich weniger patriarchalisch und nicht mehr davon überzeugt, dass sie alles selbst wissen und können muss. Das sind Menschen, die es gewohnt sind, in Teams vernetzt zu arbeiten. Das sind aber auch Menschen, die ein ganz anderes Selbstbewusstsein haben. Sie diskutieren nun auf Augenhöhe mit ihren Eltern und schauen nicht mehr ehrfurchtvoll zu einem Patriarchen hoch. Das ändert eine Menge.
Marco Henry Neumueller: Wo liegen heute die Herausforderungen bei der Übernahme durch die nächste Generation?
Birgit Felden: Die Herausforderungen muss man unterteilen. Einmal sind es wirtschaftliche Herausforderungen. Da erleben wir im Moment Umbruchzeiten, die wir seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr erfahren haben. Die Ereignisse, die wir in den letzten zwei Jahren gesehen haben und noch sehen werden, sind heftig und wirken sich massiv auf die Unternehmen aus. Ein zweiter Aspekt: Es gibt immer schnellere Zyklen, die Entwicklungszyklen, das wissen Sie als Ingenieur ganz genau, haben sich vervielfacht. Darauf muss man reagieren können und das ist, so glaube ich, etwas, was die jüngere Generation auch gelernt hat. Sie geht anders damit um. Wenn wir nun über traditionelle Familienunternehmen sprechen, mit einer wachsenden Gesellschafterzahl, sind diese Unternehmen deutlich größer geworden. Das heißt, wir sprechen nicht mehr über die 20-, 50- oder 100-Mann-Betriebe, die man als Nachfolger bzw. Nachfolgerin vielleicht noch alleine leiten kann. Es sind vielmehr größere Gebilde, die andere Strukturen benötigen. Das sind ein paar wirtschaftliche Herausforderungen. Ansonsten haben wir über die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bereits gesprochen. Ich möchte noch einen Aspekt anführen, der beides verknüpft. Sie haben eben nach den Unterschieden der NextGen gefragt. Die meisten von ihnen sind auslandserfahren und die meisten Familienunternehmen haben heute einen globalen Bezug, den es in dieser Form in der vergangenen Generation noch nicht gab. Auch hier kann die NextGen einen guten Beitrag leisten.
Marco Henry Neumueller: Welche Rolle sollte dabei die abgebende Generation spielen und (wann) sollte sich diese komplett aus dem Unternehmen verabschieden?
Birgit Felden: Ich möchte eines vorweg betonen: Egal, wie die Lösung aussieht, ist sie in Familienunternehmen naturgemäß immer sehr individuell. Es gibt hier auch kein „richtig“ oder „falsch.“ Aber die Lösung sollte, wie auch immer sie aussehen mag, klar kommuniziert werden. Die schlimmste Situation ist die, wenn der Sohn oder die Tochter gefühlt jedes halbe Jahr die Eltern fragt, wann sie denn nun das Unternehmen übergeben würden und sie daraufhin immer mit einem „morgen“ antworten. Ein Fahrplan in der Kommunikation ist ein sehr wesentlicher Punkt. Dann kann man sich als NextGen überlegen, ob man da mitspielen möchte oder eben nicht. Wenn die abgebende Generation zusammen mit der nachfolgenden weiter im Unternehmen ist, kann das eine unglaubliche Bereicherung sein, denn man kann Bewährtes mit Innovativem verbinden. Allerdings nur, wenn der Respekt und die Wertschätzung auf beiden Seiten vorhanden ist. Wenn die Erkenntnis vorhanden ist, dass dieses Miteinander ein Gewinn ist, dann kann das eine sehr erfolgversprechende Kombination sein. Dann ist die abgebende Generation ein gutes Korrelativ. Dabei muss die abgebende Generation darauf achten, dass sie nicht zu dogmatisch wird. Sprüche wie „das haben wir früher auch schon versucht und das hat nie funktioniert“ sind dann eher kontraproduktiv. Auch eine Art Mentor/Mentoring kann eine gute Rolle sein, die die abgebende Generation einnehmen kann. Sie fragen ja auch, wann man ganz rausgehen sollte? Ich sage, wenn genau diese Voraussetzung nicht gegeben ist; sei es, wenn die Wertschätzung, der Respekt fehlt. Eine gute Zwischenlösung kann ein Beirat oder Aufsichtsrat sein, in der die abgebende Generation einzieht; allerdings dann bitte nicht als Vorsitzender, sonst ist die Gefahr groß, dass man wieder in sein altes Rollenverständnis fällt. Aber als Beiratsmitglied ist man häufig weit genug vom Unternehmen weg und trotzdem noch mit dabei. Das kann eine gute Position sein.
Marco Henry Neumueller: Wie lassen sich dabei zwei gegensätzlich klingende Dinge wie „Innovation“ und „Tradition“ sinnvoll verbinden?
Birgit Felden: Sie haben ja den Beitrag von mir gelesen: Das funktioniert nur, wenn man im Prinzip das Wechselspiel von Bewährtem und Neuem beherrscht. Dies lässt sich auch auf eine alte und neue Generation übertragen. Man muss allerdings diesen dynastischen Anspruch ablegen. Ich kann nicht 100 oder 200 Jahre dasselbe machen wollen, wenn sich das Umfeld verändert. Jeder dynastische Anspruch muss unbedingt auch Anpassungsbereitschaft beinhalten, ansonsten kann das nicht funktionieren.
Marco Henry Neumueller: Ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses Gespräch.