von Matthias Aumann, CEO von Mission Mittelstand
“Matthias, ich finde keine neuen Mitarbeiter – der Fachkräftemangel ist schuld!” Das höre ich als erfolgreicher Unternehmer, der Beratung macht, fast täglich. Ein Blick in die Medien genügt, um zu sehen, wie die Wirtschaftsverbände Alarm schlagen und ein gesamtgesellschaftliches Problem heraufbeschwören. Ist der Mittelstand überhaupt noch zu retten?
Der Mythos Fachkräftemangel ist ein allgemein anerkannter Vorwand zum Nichtstun
Eins ist Fakt: Jammern bringt den Mittelstand nicht weiter. Denn wer jammert, nimmt automatisch eine passive Rolle ein. Wir Unternehmer können aber nicht erwarten, dass uns top-ausgebildete Fachkräfte einfach aus Mitleid ihre Bewerbungsunterlagen zusenden. Wer im Jahr 2024 ein Unternehmen unter Zweifeln und Ängsten führt, hat den Arbeitsmarkt noch immer nicht verstanden.
Was wir seit Jahren erleben, ist vor allem eins: eine Entwicklung von einem Arbeitsmarkt zu einem Arbeitnehmermarkt. Das heißt: Arbeitgeber können nicht mehr problemlos aus unzähligen Bewerbern auswählen. Sie müssen sich anstrengen, denn die Zeiten des dankbaren und buckelnden Bewerbers sind vorbei. Endgültig.
Klar, es ist der angenehme Weg, die Schuld woanders zu suchen als bei sich selbst. Doch die Konsequenz ist pure Machtlosigkeit. Wenn ich als Geschäftsführer keine Schuld am ausbleibenden Unternehmenserfolg habe, weil ich keinen aktiven Einfluss auf meine Situation nehmen kann, was bleibt mir dann noch übrig? Genau: Warten auf bessere Zeiten. Und das, obwohl meine Aufgabe ja im Kern daraus besteht, Innovationen voranzutreiben und Veränderungen zu initiieren.
Der Fachkräftemangel mutiert so zu einer unaufhaltsamen Naturgewalt. Fast wie ein Mythos, der sich als gesellschaftlich akzeptierter Glaubenssatz festsetzt. Wer ihn hinterfragt, gilt als weltfremd. Wer an ihm rüttelt als verrückter Visionär. Nur eine höhere Macht kann dann noch etwas ändern – und Krisen beenden. Ein Irrglaube.
Man muss kein Unternehmensberater sein, um zu erkennen, dass diese Einstellung nicht zum Erfolg führt. Und doch höre ich immer wieder das kollektive Klagen über den Fachkräftemangel. In der Beratung muss ich zuallererst diesen Dämon austreiben. Denn Veränderung beginnt immer bei uns selbst. Mit einem positiven Glauben sind plötzlich ganz neue Lösungen denkbar. Und genau die braucht der Mittelstand mehr denn je.
Es sind top-ausgebildete Fachkräfte auf dem Markt – sie arbeiten nur bei der Konkurrenz
Was ist also die Lösung? Ganz einfach: Wir müssen die Jobs attraktiver gestalten – sozusagen den Mittelstand wieder sexy machen. Das klingt plakativ – ist aber die Wahrheit. Der Fachkräftemangel wurde zur bequemen Ausrede von Unternehmern, die nicht bereit oder in der Lage sind, Recruiting und Mitarbeiterführung zu modernisieren.
Die einzige Fachkraft, die fehlt, ist ein guter Chef, ein fähiger Personaler oder ein smarter Social-Media-Manager. Ich mache daraus kein Geheimnis: Viele meiner Mitarbeiter haben vorher bei der Konkurrenz gearbeitet. Sie waren unzufrieden und sahen in den Social-Media-Kanälen meiner Unternehmen, wie erfüllend der gleiche Job bei einem anderen Arbeitgeber sein kann.
Der Obstkorb, die kostenlosen Getränke und “eine faire Vergütung” werden heute nur noch müde belächelt. Herausfordernde Aufgaben, ein tolles Team, überzeugende Werte, eine Sinnhaftigkeit im Tun und – das ist klar – ein ansprechendes Gehalt entscheiden über den attraktivsten Arbeitgeber.
Ich brauche also keine teuren Headhunter, um die Fachkräfte von der Konkurrenz abzuwerben. Nein, die kommen von ganz allein zu mir. Da kann ich nur sagen: Danke, dass ihr nicht verstanden habt, wie man sein Team wertschätzt. Mitarbeiter sind die wertvollste Ressource in jedem Unternehmen. Wer das nicht versteht, der wird langfristig untergehen.
Es gibt kein Grundrecht auf Fachkräfte – aber die Pflicht, sie zu gewinnen
Nochmal: Wir haben als Mittelstand keinen Anspruch darauf, dass Fachkräfte in Scharen zu uns kommen. Nur noch 20 Prozent der Betriebe bilden aus – eine erschreckende Zahl. Trotzdem verlangen fast 100 Prozent der Unternehmen nach Fachkräften. Absurd. Die Verantwortung liegt nicht beim Staat, nicht bei der Gesellschaft, nicht bei den jungen Menschen – sondern bei uns.
Es ist natürlich leicht, über die junge Generation zu meckern. “Die jungen Leute wollen gar nicht mehr richtig arbeiten.” Das sagten auch schon unsere Eltern über uns. Wir können die neuen Generationen verteufeln. Und deshalb keine neuen Fachkräfte gewinnen. Oder wir lernen, sie zu verstehen und zu begeistern.
Das ist gar nicht so schwierig. Sowohl in meinem Garten- und Landschaftsbaubetrieb als auch in meinem Beratungsunternehmen bilde ich zahlreiche junge Menschen aus. Fordere und fördere. Die Erfahrung zeigt: Wenn sich meine Azubis von Anfang an ernst genommen fühlen, wollen sie auch nach ihrem Abschluss in meinen Unternehmen bleiben. Ich ziehe mir meine Fachkräfte quasi selbst heran.
Bei aller Konkurrenz, die es im Wettbewerb braucht: 80 Prozent der Betriebe dürfen sich nicht komplett auf die 20 Prozent Ausbildungsbetriebe verlassen. Wir müssen gemeinsam mehr Ausbildungsplätze schaffen und junge Menschen für unsere Unternehmen und ihre Arbeit begeistern. Wir müssen alle an einem Strang ziehen, damit der Mittelstand weiterhin das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bleibt. Die Lösung liegt allein bei uns: auf der Führungsebene.