Dr. Mathias Krisam

Vielleicht können nur noch Familienunternehmen das deutsche Gesundheitssystem retten?!

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von Dr. Mathias Krisam, Gründer und Geschäftsführer der läuft GmbH.

„Der Kipppunkt unseres Sozialsystems ist bald erreicht. Die Regierung muss handeln.“ Zu diesem Schluss kommen die Professoren Fetzer und Hagist in einem kürzlich veröffentlichten Gutachten im Auftrag von DIE JUNGEN UNTERNEHMER und DIE FAMILIENUNTERNEHMER. Dort heißt es, die Pflegeversicherung und Rentenversicherung seien bereits nicht mehr finanzierbar, die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stiegen fortlaufend. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag soll Schätzungen zufolge im kommenden Jahr erstmalig über zwei Prozent liegen. Im westeuropäischen Vergleich geben wir sowohl relativ zum BIP als auch absolut am meisten Geld für Gesundheit aus, haben aber die geringste Lebenserwartung und diese sinkt sogar noch. Was läuft falsch? Und was können wir dagegen tun?

Als Arzt und seit sieben Jahren Berater von Gesetzlichen Krankenkassen (GKVen) bin ich der Überzeugung, dass wir nur mit einem kompletten Neuanfang unser Gesundheitssystem wieder zukunftsfähigmachen können. Das heißt, so überraschend und neu es für einige klingen mag: Die Gründung einer neuen gesetzlichen Krankenkasse, um technologisch und mit einem neuen Selbstverständnis auf der grünen Wiese – ohne Altlasten – Gesundheitsversorgung neu zu gestalten. Gesetzlich ist die Gründung nur noch als Betriebskrankenkasse (BKK) möglich. Dies bedeutet: Mutige, verantwortungsbewusste und innovative Unternehmen können, ja müssen nun aktiv werden. Warum sollten sie das tun?

Betriebskrankenkassen im historischen Kontext

Das Konzept einer Betriebskrankenkasse ist nicht neu. Die erste „Fabrikkasse“ wurde 1717 im sächsischen Aue gegründet. In der Folge reihten sich viele bedeutende Unternehmen ein, darunter auch zahlreiche Familienunternehmen: Bertelsmann, Miele, Würth – um nur einige wenige zu nennen – gründeten BKKen, die bis heute bestehen.

In den letzten Jahren haben wir jedoch einen gegenläufigen Trend erlebt: Die letzte Gründung liegt bereits über 20 Jahre zurück und die Krankenkassenzahl ist von über 1000 in den 90ern auf nunmehr 95 (Stand Juli 2024) gesunken. Der Markt hat eine Phase der Konsolidierung hinter sich. Warum sollten Unternehmen also ausgerechnet jetzt eine BKK gründen?

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Infobox: Welches Unternehmen kann eine BKK gründen

Nur das Beste für Mitarbeiter und Arbeitgeber

Die Gründung einer Betriebskrankenkasse fußte eigentlich immer auf dem Verantwortungsgefühl und Nähe des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern, einer möglichen Reduktion gesundheitsbedingter Ausfälle und dem Versuch, Mitarbeiter mit einem besonderen Angebot für das eigene Unternehmen zu gewinnen. An diesen Vorzügen hat sich bis heute nichts geändert. Denn die Gründung einer neuen BKK bietet genau diese Vorteile. Zum Einen hat es positive Auswirkung für das Employer Branding und Image: Arbeitgeber differenzieren sich mit einer eigenen BKK von Wettbewerbern. Das Zugehörigkeitsgefühl der Arbeitnehmer steigt. Gleichzeitig, und das ist nicht zu unterschätzen, ist Aufmerksamkeit und die Positionierung in der Öffentlichkeit als verantwortungsbewusster Unternehmer nach zwei Jahrzehnten ohne BKK-Gründung sicher.

Zum anderen ist eine effiziente Reduktion von Fehlzeiten möglich: Durch intelligente Patientensteuerung erfreuen sich Mitarbeiter nicht nur einer besseren Gesundheit, sondern können auch Fehlzeiten effizient reduziert werden, was sowohl dem Trägerunternehmen als auch der BKK zu Gute kommt.

Zuletzt profitiert das Trägerunternehmen finanziell von einer wesentlichen Reduktion von Sozialabgaben: Durch eine digitalisierte und automatisierte Verwaltung, sowie Einsparung unnötiger Leistungsausgaben ist es sehr wahrscheinlich, dass eine neue BKK einen günstigeren Zusatzbeitrag erzielt als der GKV-Durchschnitt. Dies bedeutet direkte Einsparungen für den Arbeitgeber, der den GKV-Beitrag zu 50 Prozent bezahlen muss.

Aber wir haben doch schon BGM?

So gut wie alle großen Unternehmen bemühen sich bereits um Angebote im betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM). Das ist schön und gut, aber eine eigene BKK hat demgegenüber zwei entscheidende Vorteile.
Während die BKK sich selbst aus Mitteln finanziert, die ohnehin aufgebracht werden müssen, erfordert BGM in der Regel fortlaufende finanzielle Zuschüsse.
Außerdem fokussiert sich BGM in der Regel auf Prävention, Arbeitsschutz und berufliches Eingliederungsmanagement. Der große Teil der optimalen Versorgung und Begleitung im Krankheitsfall bleibt jedoch in Händen des öffentlichen Gesundheitssystems. Hier erhält man mit einer eigenen BKK auch durch kürzlich verabschiedetes Gesetze viel besseren Einfluss. Es geht hierbei auch nicht um ein Entweder-Oder, sondern darum, alle Angebote synergistisch zu kombinieren.

Fazit: Zeit zu handeln – Zeit für Mut

Familienunternehmen fühlen traditionell eine große Verantwortung für Ihre Mitarbeiter. Zudem sind die Entscheidungswege kürzer und das innerbetriebliche gegenseitige Vertrauen größer. Denn es braucht Mut, Herz, Zusammenhalt und Vision, um in der aktuellen Phase, die von vielen Herausforderungen und Unsicherheiten geprägt ist, einen solchen Schritt zu gehen. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass Familienunternehmen genau diese Verantwortung übernehmen, die weit über die Grenzen des eigenen Werksgeländes hinausgeht.

Wir können unsere Sozialversicherungssysteme nicht mehr weiter betreiben wie bisher. Es braucht die Disruption und zwar so schnell wie möglich. Ich befürworte daher vieles aus dem eingangs erwähnten Gutachten, komme aber zu einem anderen Schluss: „Das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht zukunftsfähig. Die (Familien)Unternehmen müssen handeln.“

Über den Autor

Dr. Mathias Krisam (Jahrgang 1989) ist Gründer und Geschäftsführer der läuft GmbH, Berlin. Mit der 2019 gegründeten Unternehmensberatung hat sich der promovierte Mediziner das Ziel gesetzt, aktiv zu einer zeitgemäßen Gesundheitsversorgung beizutragen. Schwerpunkte der Beratung sind Kundenkommunikation und -Navigation, Prävention und digitale Gesundheitskommunikation sowie Customer Experience für Unternehmen aus der Gesundheitsbranche. Krisam hat neben seiner unternehmerischen Tätigkeit zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten in diversen nationalen und internationalen Zeitschriften veröffentlicht. Vor der Gründung von läuft war er Strategieberater bei der Boston Consulting Group, wo er gesetzliche Krankenkassen beriet. Krisam hat an der Berliner Charité Medizin und an der HU Berlin Sozialwissenschaften studiert und über Versorgungsforschung promoviert.