von Dr. Johannes Bohnen, geschäftsführender Gesellschafter von BOHNEN Public Affairs in Berlin.
Viele Unternehmen erleben dieser Tage so etwas wie ein politisches Erwachen: Infolge des Bekanntwerdens von „Remigrationsplänen“ im Umfeld der AfD und dem gleichzeitigen Höhenflug der Partei in Wahlumfragen haben sich viele deutsche Unternehmensführer öffentlich zur Demokratie und ihren Werten bekannt. Darunter waren auch prominente Familienunternehmer wie Reinhold Würth und der dm-Geschäftsführer Christoph Werner. Eine bemerkenswerte Entwicklung, wenn man bedenkt, dass die Wirtschaft bisher weitestgehend versucht hat, auf Distanz zur Politik zu bleiben.
Trotz des starken Engagements zahlreicher Bürger und Unternehmen zeigt der große Zuspruch für extremistische Parteien bei der Europawahl, dass einmalige Bekenntnisse nicht ausreichen werden und die Wirtschaft bereit sein muss, sich langfristig an die Seite der Demokratie zu stellen.
Die große Frage heißt also „Wie geht es jetzt weiter?“. Meine Antwort darauf lautet Corporate Political Responsibility, kurz CPR. Im Kern geht es darum, sich systematisch damit auseinanderzusetzen, welche Stärken und Ressourcen ein Unternehmen hat und wie diese am besten zum Wohle der Demokratie eingesetzt werden können.
Es handelt sich bei CPR um eine Weiterentwicklung bestehender Verantwortungskonzepte wie CSR, die überwiegend soziale und ökologische Faktoren betonen. Dies springt insgesamt aber zu kurz, da wichtige Voraussetzungen erfolgreichen Wirtschaftens wie stabile politische Institutionen, Rechtstaatlichkeit sowie die Verfügbarkeit funktionierender Kollektivgüter politischer Natur sind. Solch ein dauerhaftes Engagement für die politische Stabilität des eigenen Standorts ist für Familienunternehmen besonders relevant, da sie grundsätzlich eine Langfristorientierung haben und oft stark in ihrer Heimatregion verwurzelt sind.
Wenn Unternehmen die Demokratie stärken, investieren sie dadurch also in die Vorbedingungen ihres eigenen Erfolges. Aber auch mittelfristig ist CPR ein Business Case, da es wesentlich zur Schärfung der Unternehmensmarke beiträgt. Glaubwürdiges politisches Engagement schafft Differenzierung im Wettbewerb und eröffnet neue Verbindungen mit wichtigen Stakeholdern wie Kunden, Geschäftspartnern und politischen Entscheidern.
Angesichts des in Deutschland herrschenden Fachkräftemangels ist auch das Potential von CPR als Recruiting-Tool nicht zu unterschätzen. Arbeitnehmer erwarten zunehmend, dass Unternehmen ihren gesellschaftlichen Zweck („Purpose“) erklären und zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung beziehen. Das wurde zuletzt von einer Studie des amerikanischen Kommunikationsunternehmens Weber Shandwick bestätigt, laut der 65% der Arbeitnehmer sich wünschen, dass ihr Arbeitgeber sich zu solchen Themen äußert, selbst wenn diese kontroverser Natur sind. Diese Einstellung ist besonders ausgeprägt in der jungen, derzeit auf den Arbeitsmarkt drängenden Generation. Mit CPR gelingt es Unternehmen daher, strategisch denkende Top-Talente verstärkt anzuziehen – eine unerlässliche Facette einer zukunftsfähigen Recruiting-Strategie, da politisch-strategische Weitsicht eine zentrale Eigenschaft von Entscheidern in der zunehmenden Komplexität der Weltwirtschaft ist. So wird für ein global agierendes mittelständisches Unternehmen ein Verständnis von geopolitischen Entwicklungen immer wichtiger.
Die Vorteile von CPR liegen auf der Hand. Wie aber setzt man das Konzept in die Praxis um? Dafür gibt es einen erprobten Prozess, der es ermöglicht, die politischen Facette einer Unternehmensmarke herauszuarbeiten und zur Geltung zu bringen. Dieses „Political Branding“ erweitert den klassischen Markenbegriff, nach dem eine Marke wahr zu sich selbst, differenzierend im Wettbewerb und relevant für die Zielgruppe sein soll, um eine vierte Komponente: Welchen gesellschaftspolitischen Mehrwert hat das Unternehmen?
Beim Political Branding wird zwischen politischer Markenbildung und, im zweiten Schritt, politischer Markenführung unterschieden. Im Rahmen des Markenbildungsprozesses werden Stärken und Kompetenzen des Unternehmens so gebündelt, dass sie bestmöglich zum Wohle der Demokratie eingesetzt werden können, und anschließend in ein politisches Leitbild überführt, das im Einklang mit der Gesamtmarke steht. Der Spezialchemiekonzern Evonik hat jüngst (mit Hilfe des Autors) als erstes deutsches Unternehmen ein solches Leitbild verabschiedet.
Im darauffolgenden Schritt der Markenführung geht es darum, die erarbeitete Marke glaubhaft und in konkreten Formaten mit Leben zu füllen. Unternehmen stehen vielfältige Optionen offen, aber es gibt Maßnahmen, die alle Unternehmen zügig ergreifen können, um unsere Demokratie zu stärken. Hier vier „low hanging fruits“:
Intelligente Formate derpolitischen Bildung bzw. des Demokratie-Coaching können enorme Hebelwirkung für die gesellschaftliche Stabilität haben: Je mehr Bürgerinnen und Bürger die Demokratie und ihre Institutionen verstehen und mit Überzeugung unterstützen, desto größer ist die Chance, den Gefahren des politischen Extremismus wirksam zu begegnen. In Deutschland gibt es bereits einige Beispiele von betrieblichen Angeboten in diesem Bereich, aus denen der Business Council for Democracy (BC4D) besonders hervorsticht. Diese u.a. von den Hertie und Bosch Stiftungen getragene Initiative bietet ihren über 200 Mitgliedern kostenlose Schulungen im Umgang mit Hassrede, Desinformation und Verschwörungserzählungen für die Belegschaften an.
Eng damit verknüpft sind Maßnahmen zur Stärkung der öffentlichen Debattenkultur. Die Fähigkeit, unterschiedliche Meinungen zu respektieren und in Höflichkeit zu widersprechen, ist für das demokratische Zusammenleben unabdinglich. Unternehmen gehören zu den letzten verbliebenen sozialen Begegnungsorten, an denen wir gezwungen sind, unsere Filterblasen zu verlassen und den Umgang mit Andersdenkenden zu suchen. Diesen Umstand könnte man produktiv nutzen, indem man z.B. einen firmeninternen Debattierklub gründet.
Ein dritte Maßnahmenoption nennen Amerikaner CEO-Activism, also öffentliche Stellungnahmen von Unternehmensführern zu relevanten gesellschaftspolitischen Themen. CEOs können mit ihren „Einmischungen“ eine Vorbildfunktion nach Innen und Außen ausfüllen. Wichtig ist jedoch, dass sie dabei das Wohl der freiheitlichen Demokratie und nicht etwaige Partikularinteressen befördern. Denn CPR bedeutet nicht, dass Unternehmen als Instrument für Parteipolitik missbraucht werden. Unternehmen müssen den Primat des politischen akzeptieren; und die Akzeptanz von Staat und Politik stärken.
Das Gegenstück zu CEO-Activism ist der Employee-Activism. Hier geht es darum, das Vorangehen der Unternehmensleitung durch ein breites Engagement der Belegschaft zu flankieren. Das schafft Rückhalt im Unternehmen und verleiht der politischen Marke Legitimität. Dieses Engagement kann darin bestehen, dass motivierte Mitarbeitende als Multiplikatoren der politischen Marke des Unternehmens auftreten, z.B. indem sie sich in den Sozialen Medien oder innerhalb der Firma zu politischen Themen äußern. Außerdem könnten Employee-Activists nach entsprechender Schulung dazu ermutigt werden, demokratische Werte in ihrem sozialen und familiären Umfeld zu verbreiten.
Wir stehen in vielerlei Hinsicht noch am Anfang einer notwendigen Entwicklung hin zu mehr demokratischer Verantwortung von Unternehmen. Eines ist jedoch jetzt schon klar: Wer in einen leistungsfähigen Staat und eine robuste Demokratie investiert, stärkt die eigenen Geschäftsbedingungen und schärft seine Marke. Familienunternehmen sind mit ihrer besonderen Zukunftsorientierung und ihrem ausgeprägten Gefühl für lokale Verantwortungsübernahme bestens gerüstet, um Vorreiter in Sachen CPR zu werden.
Über den Autor Dr. Johannes Bohnen
Dr. Johannes Bohnen ist geschäftsführender Gesellschafter von BOHNEN Public Affairs in Berlin. Die Beratung ist auf die Entwicklung von politischen Leitbildern für Unternehmen spezialisiert.
Vor neun Jahren hat Bohnen den Begriff der Corporate Political Responsibility (CPR) in die öffentliche Debatte eingeführt und vor 4 Jahren mit einem Buch konzeptionell begründet: “Corporate Political Responsibility (CPR). Wie Unternehmen die Demokratie und damit sich selbst stärken.”
Zuvor war er unter anderem als Geschäftsführer von Scholz & Friends Berlin sowie in der Politik als Redenschreiber eines Bundesbildungsministers tätig.